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Beate Zschäpe am 46. Verhandlungstag des NSU-Prozesses.

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46. Verhandlungstag im NSU-Prozess: NSU hatte weitere muslimische Ziele im Visier

In vier Städten haben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sieben Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Doch das war den Neonazis womöglich nicht genug: Wie sich am 46. Verhandlungstag im NSU-Prozess zeigte, war die Zahl potentieller Angriffsziele, die die beiden dort interessant fanden, enorm hoch.

Von Frank Jansen

Die rechtsextremen Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben offenbar in mindestens 14 Städten Ziele für Attentate und Raubüberfälle gesucht. Das lässt sich aus den Angaben eines Polizisten des Bundeskriminalamts schließen, der am Dienstag als Zeuge im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München ausgesagt hat. Im Brandschutt der von der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im November 2011 in Zwickau angezündeten Wohnung seien Karten und Kartenreste zu 14 Städten gefunden worden. Außerdem war die Zahl der potenziellen Angriffsziele, die Mundlos und Böhnhardt interessant fanden, enorm hoch.
Allein in Nürnberg, München, Dortmund und Kassel seien in Stadtplänen sowie Adressenlisten „267 Einrichtungen und Institutionen“ vermerkt gewesen, sagte der BKA-Mann. In den vier Städten hatten Mundlos und Böhnhardt sieben Kleinunternehmer türkischer und griechischer Herkunft erschossen. Das war den Neonazis womöglich nicht genug: bei den 267 Einrichtungen seien Parteien, insbesondere die PDS (heute Linkspartei) sowie islamische Institutionen verzeichnet gewesen. Hinzu kamen Heime für Asylbewerber und Beratungsstellen für Migranten, aber auch Waffengeschäfte. Der NSU verfügte über 20 Waffen, bis hin zu Pumpgun und Maschinenpistole. Lediglich bei vier Waffen konnte die Polizei bislang klären, woher sie stammten.
Türkische und generell muslimische Institutionen und Personen, die der NSU ins Visier nahm, sind nach Angaben des Beamten im sichergestellten Material mit dem Wort „Ali“ markiert. Es finden sich zudem Bemerkungen wie „guter Sichtschutz, Person aber alt, über 60 Jahre“. Der Satz lässt ahnen, dass die Terrorzelle gezielt und demonstrativ Migranten umbrachte, auf die das Profil etablierter Kleinunternehmer jungen oder mittleren Alters passte. Möglicherweise kalkulierte der NSU, er könnte vor allem der türkischen Gemeinschaft den größtmöglichen Schrecken einjagen, wenn Personen ermordet werden, die sich in Deutschland eine geschäftliche Existenz aufgebaut hatten.

Im Prozess gibt es zudem erste Hinweise auf mutmaßliche Kontakte des Angeklagten André E. zum NSU. Zweimal seien Caravane auf den Namen André E. gemietet worden, berichtete eine Beamtin des BKA. Mundlos und Böhnhardt waren meist mit Wohnmobilen zu den Städten gefahren, in denen sie mordeten, sprengten und raubten. Die Bundesanwaltschaft wirft André E. vor, er habe dreimal solche Fahrzeuge für die Terroristen gemietet. Im Dezember 2000 sollen Mundlos und Böhnhardt ein von André E. besorgtes Fahrzeug für die Fahrt nach Köln genutzt haben. Dort deponierte einer der beiden Neonazis einen Sprengsatz, der in einer Christstollendose versteckt war, im Lebensmittelgeschäft eines Iraners. Dessen Tochter öffnete im Januar 2001 das Behältnis und wurde bei der Explosion schwer verletzt.

André E., der im Prozess beharrlich schweigt, wurde für die mutmaßlich geleistete Hilfe möglicherweise von Zschäpe belohnt. Im Brandschutt von Zwickau sei eine Buchungsbestätigung gefunden worden, die auf die Familie von André E. ausgestellt war, sagte die BKA-Frau. Es handelte sich um eine Reise von E., seiner Frau und den zwei Kindern zum Disneyland bei Paris, für drei Tage Ende Juli 2011. Die Kosten in Höhe von 916 Euro habe eine „Lisa Pohl“ bar bezahlt, sagte die Beamtin. Lisa Pohl ist einer der Aliasnamen, mit dem sich Zschäpe in den fast 14 Jahren im Untergrund getarnt haben soll. Das Geschenk an die Familie E. war nach Erkenntnissen des BKA als „Geburtstagsgeschenk“ für die Frau von André E. gedacht. Die Bundesanwaltschaft führt die Ehefrau als eine der weiteren Beschuldigten im NSU-Komplex.

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