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© dpa

31. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Fremdenfeindlichkeit zu spät in Betracht gezogen

Am 31. Verhandlungstag im NSU-Prozess ging es um die Frage, wann und in welchem Ausmaß die Ermittler den Faktor Fremdenfeindlichkeit miteinbezogen haben. Die Aussagen des befragten Polizisten deutet aber vor allem darauf hin, dass sie sich selbst aus der Schusslinie bringen wollen.

Von Frank Jansen

Die Ermittlungen waren einseitig und führten in die Irre, aber der Ansatz war womöglich nicht von Beginn an völlig unbegründet. Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München hat am Donnerstag ein hochrangiger Polizist geschildert, warum in den Fällen der von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Nürnberg erschossenen Türken Enver Simsek und Abdurrahim Özüdogru nach Tätern ohne politische Motivation gesucht wurde. Allerdings mit einer Akribie, die beim Blick auf ein rassistisches Motiv fehlte.

Verdacht lag auf Konkurrenz

Nach dem Mord am Blumenhändler Simsek im September 2000 geriet vor allem einer seiner Konkurrenten in Verdacht. Ein Schwager Simseks habe den Mann als möglichen Täter genannt, sagte der erste Kriminalhauptkommisssar aus der Nürnberger Polizei. Er verwies zudem auf eine V-Person der Behörde, die eine abenteuerliche Geschichte erzählt hatte: der Konkurrent aus der Blumenbranche habe einen Killer gesucht, „um Enver Simsek zu beseitigen“. Die Ermittler nahmen die Hinweise ernst - zumal 2001 in Süddeutschland ein Auftragsmörder festgenommen wurde, der einen türkischen Geschäftsmann erschossen hatte. 

Aus Sicht der Polizei waren zudem  Simseks Angehörige nicht genügend kooperativ. Es sei der Eindruck entstanden, dass bei der Familie „noch mehr Hintergrundwissen da war“, sagte der Polizist. Also wurden Hinterbliebene des Ermordeten einer Telefonüberwachung unterzogen. Als „Zielrichtung“ nannte der Beamte, „dass das Mordopfer möglicherweise in einer Gruppierung mit kriminellen Geschäften beteiligt war oder selbst das Opfer einer Erpressung“. Auch die Lauscherei brachte nichts.

Polizei nimmt sich aus der Verantwortung

Doch als wollte der Polizist die verfehlte Ermittlungsstrategie rechtfertigen, nannte er ein von Simsek begangenes Delikt. Er habe in einem Steuerverfahren 65 000 Euro nachzahlen und 3000 Euro Strafe zahlen müssen, sagte der Beamte. Und er erwähnte,  Simsek habe „am Muttertag 2000“ die Absicht geäußert, seinen Blumengroßhandel zu verkaufen, um in seiner Heimat, dem hessischen Schlüchtern, eine Koranschule zu eröffnen. Was diese Details mit dem Mord zu tun haben könnten, sagte der Polizist nicht.  

Es blieb auch unklar, warum er dem 6. Strafsenat erzählte, der im Juni 2001 in Nürnberg erschossene Schneider Abdurrahim Özüdogru sei nach Aussagen von Bekannten konservativ eingestellt gewesen. Und die Ehefrau habe berichtet, ihr Mann sei ihr gegenüber gewalttätig gewesen, 1997 habe man sich getrennt. Der Beamte kam anschließend darauf zu sprechen, dass in der Wohnung des  Schneiders eine Telefonnummer gefunden wurde, die „kam in einem englischen Rauschgiftverfahren vor“. Eine weitere Nummer sei außerdem in einem Verfahren in den Niederlanden aufgetaucht. Beweise, dass Özüdogru etwas mit Drogen zu tun hatte, fanden sich nicht.

Ermittlungen wegen Fremdenfeindlichkeit zu spät gestartet

Die Polizei ermittelte dennoch mit beträchtlichem Aufwand, ob es eine Rauschgiftconnection gegeben habe. Aus drei Koffern aus den Räumen Özüdogrus und vom Beifahrersitz seines Pkw wurde Staub abgesaugt und dem bayerischen Landeskriminalamt zur Analyse geschickt. Das LKA habe Restspuren von Drogen  festgestellt,  sagte der Beamte. Es habe sich um „feinste Spuren“ gehandelt. Der Beamte gab zu, „theoretisch konnten es auch Übertragungsspuren sein“. Damit meinte er offenbar minimale Reste, die man sich auch in einem Gedränge beim Kontakt mit der Kleidung einer anderen Person einfangen kann.

Erst mehrere Jahre nach dem Mord an den beiden Türken in Nürnberg begann die Polizei, sich stärker mit der Möglichkeit eines rassistischen Motivs zu befassen. Anlass war eine „Operative Fallanalyse“ der Polizei in München, nachdem allein in Bayern fünf Türken erschossen worden waren – alle mit der derselben Waffe, einer Pistole Ceska 83. In der Analyse sei eine „Serientäterthese“ vertreten worden, sagte der Beamte, „eine kleine Zelle, zwei bis drei Personen, die aus ideologischen und psychopathischen Gründen“ türkische Kleingewerbetreibende umbringe. Präziser war der NSU kaum zu beschreiben. Doch die 2006 begonnenen „strukturellen Ermittlungen zu Fremdenfeindlichkeit“, wie es der Beamte nannte, blieben ebenfalls erfolglos.

Womöglich kamen sie zu spät. Die Terrorzelle verübte im April 2006 die letzten beiden Morde an Migranten. Doch schon die Witwe des ersten Toten, Adile Simsek, hatte der Polizei mitgeteilt, sie vermute Fremdenfeindlichkeit. Aber es habe nie konkrete Hinweise auf rechtsextreme Täter gegeben, sagte der Polizist. „Aus Blumenhändlerkreisen“ hingegen sei die „Information“ gekommen, „Simsek habe eine Freundin gehabt“. Der Beamte nannte auch ein Indiz. In einem Fahrzeug Simseks sei ein Zettel gefunden worden, auf dem stand: „komm zurück, Liebling“.

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