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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

© imago images / Metodi Popow

30 Jahre Mauerfall: Steinmeier fordert mehr gegenseitige Wertschätzung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wirbt am Jahrestag des Mauerbaus vor 58 Jahren für einen Solidarpakt, der nur Offenheit kostet.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu mehr Respekt und gegenseitiger Wertschätzung in Deutschland aufgerufen. Nach dem Solidarpakt, der seit 1990 den Wiederaufbau und den Neubau der Infrastruktur im Osten des wiedervereinigten Deutschland finanziert habe, brauche es jetzt “einen neuen, einen ganz anderen Solidarpakt – einen der offenen Ohren und des offenen Austauschs, einen Solidarpakt der Wertschätzung“, sagte Steinmeier in einer Rede am 13. August, an dem sich in diesem Jahr der Bau der Berliner Mauer zum 58. Mal jährte. Gerade die Geschichten der Ostdeutschen seien “immer noch kein so selbstverständlicher Bestandteil unseres „Wir“ geworden wie die des Westens“, sagte Steinmeier.

Sie seien entweder nie erzählt, im Westen schlicht nicht gehört oder „längst schon wieder vergessen“ worden. Im 30. Jahr des Mauerfalls sei es höchste Zeit, dass sich das ändert. Er wolle dazu seinen Beitrag leisten – mit einer Serie von deutsch-deutschen Podiumsgepsrächen, von denen zunächst vier bis zum Jahrestag des Mauerfalls, dem 9. November, geplant waren. Steinmeier kündigte nun während der ersten Veranstaltung in Schloss Bellevue an, dass die Serie unter dem Titel „Geteilte Geschichte(n)“ bis zum Jahrestag der Einheit im kommenden Jahr fortgesetzt werden soll. Am 3. Oktober 2020 wird auch die förmliche Vereinigung der beiden deutschen Staaten 30 Jahre zurückliegen.

Steinmeier: Jahrzehnte der Teilung prägten alle

In seinen Aufruf schloss der Bundespräsident ausdrücklich auch Eingewanderte und ihre Nachkommen in Ost und West ein: Auch deren Leistung müsse von allen “in Ost und West” anerkannt werden. Menschen, die aus Südeuropa, der Türkei, Polen und anderen Ländern eingewandert sind, hätten dazu beigetragen, die Einheit gesellschaftlich und wirtschaftlich zu schaffen. “Und vor allem: Auch sie prägen das geeinte Deutschland – heute und sicherlich auch in Zukunft.“

Der Bundespräsident plädierte zugleich ausführlich für Vielfalt und begründete sie aus der Geschichte von Teilung und Wiedervereinigung: Die deutsche Einheit bestehe aus „unendlich vielen“ und vielfältigen Geschichten. Sie ließen sich nicht alle „über denselben Leisten“ schlagen. Jahrzehnte der Teilung hätten die Menschen in Ost und West unterschiedlich geprägt. „Es war und ist nicht dasselbe, ob einer auf der einen oder der anderen Seite groß geworden ist, ob Russisch die erste Fremdsprache war oder Englisch, oder die Muttersprache vielleicht eine ganz andere.“

"Heute wie 1989: Wer Menschenrechte mit Füßen trifft, steht auf der falschen Seite"

So sei es auch ein Irrtum, dass es die eine Geschichte der deutschen Einheit gebe. Es gebe sie nicht „und es wird sie niemals geben“, sagte Steinmeier. Er bedaure, dass 30 Jahre nach dem Mauerfall immer noch viele die Vielfalt der Sichten auf damals als etwas empfänden, was der inneren Einheit im Wege sei. Er selbst sei fest vom Gegenteil überzeugt: „Demokratie und Diktatur, Teilung und Vereinigung, Friedliche Revolution und das Zusammenwachsen zweier Systeme – welches andere Land bringt so viele, so unterschiedliche Erfahrungen in seiner jüngsten Vergangenheit zusammen? 

Und welches andere Land kann deshalb so erfahrungsreich und erfindungsreich in die Zukunft schauen?“ Das „große Glück der Einheit“ verlange aber heute etwas: „Neugier, Offenheit und die Bereitschaft, die eigene Prägung nicht für die einzig gültige zu halten.“

Und sie verlange auch die Absage an Hass und Spaltung, sagte Steinmeier: „Wer die Menschenwürde mit Füßen trat, der stand 1989 auf der falschen Seite der Geschichte.“ Das gelte bis heute: „Wer Mitmenschen verunglimpft oder bedroht, wer das Gift des Hasses in die Sprache und in die Gesellschaft trägt, der steht auch heute auf der falschen Seite!“

Ohne die AfD ausdrücklich zu nennen, wandte sich Steinmeier auch gegen die Vereinnahmung des Erbes von 1989 „für Angstparolen“. Das sei „eine perfide Verdrehung der Geschichte.“ Damals hätten . „Demokratie und Freiheit“ gesiegt, „nicht Nationalismus und Abschottung“.

Das Wort haben die Damaligen

Die Auftaktdiskussion, die Steinmeiers Rede einleitete, wurde an diesem Dienstag von Journalisten bestritten, Georg Mascolo (West) und Siegbert Schlefke (Ost). Die Moderation hatte eine weitere Kollegin, die Schriftstellerin und Hörfunkjournalistin Marion Brasch. Mascolo und Schlefke hatten in Leipzig und Berlin den Herbst 1989 mit der Fernsehkamera begleitet.

Die anschließende Diskussion – im Publikum saßen auch nicht prominente Zeitzeuginnen und Zeugen von damals und Schulklassen – gehörte gleich zum Auftakt erst einmal den den Männern der friedlichen Revolution und der ersten Jahre der Wiedervereinigung. Bis Moderatorin Brasch mit einem kleinen Seitenhieb auf die Reihe zuvor ("Eine Frau!") einer unbekannten Zeitzeugin das Wort erteilen konnte, hatten noch einmal die Bürgerrechtler Werner Schulz, Markus Meckel, der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Gerhards Schröders ehemaliger Kanzleramtsminister und Ostbeauftragter Rolf Schwanitz das Wort ergriffen, um ihre Sicht auf damals und Deutschland heute zu schildern.

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