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Die Soziologin Jutta Allmendinger ist seit April 2007 Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung.

© Mike Wolff

28-Stunden-Woche: Jutta Allmendinger: „Freie Zeit wird zu einem immer wichtigeren Gut“

Die Soziologin Jutta Allmendinger begrüßt die Forderung nach einer 28-Stunden-Woche der IG Metall und erklärt die Arbeitsbelastung der Deutschen.

Von Antje Sirleschtov

Frau Allmendinger, die IG Metall fordert das Recht auf eine zeitlich begrenzte 28-Stunden-Woche. Geht es den Metallern zu gut oder ist das der Einstieg in eine generelle Debatte über flexiblere Arbeitszeiten?

Wie viele Beschäftigte haben die Metaller einen harten Job, den sie sehr gut machen. Entsprechend sind sie zu entlohnen. Dabei besteht Lohn aus weit mehr als aus Geld. Die Arbeitsbedingungen sind wichtig, ebenso sichere Arbeitsplätze und Arbeitszeiten, die körperlich und sozial nicht zu belastend sind sowie die Möglichkeit bieten, sich weiterzubilden. Nur so können die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihren Beitrag dazu leisten, auch morgen noch eine gute Arbeit zu haben.

Gleichzeitig wird freie Zeit zu einem immer wichtigeren Gut, für die Beschäftigten wie für die Gesellschaft. Ich würde sogar noch weiter gehen: Auch die Wirtschaft profitiert von flexiblen Arbeitszeiten. Diese brauchen allerdings feste Strukturen. Das mag als Widerspruch erscheinen, ist es aber nicht. Unternehmen wie Arbeitnehmer müssen planen können. In diesem Sinne sind die Forderungen der IG Metall zu verstehen und zu begrüßen.

Ist die Arbeitsbelastung der Deutschen im internationalen Vergleich zu hoch?

Wenn wir allein den Durchschnitt der wöchentlichen Arbeitszeit betrachten, befindet sich Deutschland im europäischen Mittelfeld. Dabei darf man aber nicht den Unterschied zwischen den Geschlechtern übersehen: Die wöchentliche Erwerbsarbeit von Frauen liegt in Deutschland etwa neun Stunden hinter der von Männer. In kaum einem anderen europäischen Land ist diese Differenz so hoch. Und was die Lebensarbeitszeit betrifft, liegen wir Deutschen weit oben in Europa.

Viele Arbeitnehmer würden, etwa zur Pflege Angehöriger, ihr Recht auf Teilzeitarbeit wahrnehmen. Sie tun es aber nicht, weil sie kein Recht zur Rückkehr in Vollzeit haben. Sollte das im nächsten Koalitionsvertrag der Bundesregierung stehen?

Unbedingt. Aber dieses Recht auf Rückkehr in Vollzeit darf nicht nur im Vertrag stehen, das hatten wir ja schon in der letzten Legislaturperiode. Es muss auch umgesetzt werden und sollte nicht ein weiteres Mal scheitern.

Die Arbeitgeber stöhnen über zu große Belastungen aus dem Wunsch der Menschen, flexibler zu arbeiten. Haben sie recht?

Arbeitgeber müssen klare Rahmenbedingungen setzen, innerhalb derer flexible Arbeitszeiten genutzt werden können. Die Vorbereitungen, um betriebliche Abläufe und die entstehenden Anforderungen an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter planen zu können, brauchen eine gewisse Zeit. Das werden die Beschäftigten auch verstehen.

Vor allem aber müssen sich Arbeitgeber klar machen, dass die Menschen in ihrer freien Zeit selten die Beine hoch legen oder sich auf ihren Sofas lümmeln, sondern weiter sehr hart, wenngleich ohne Entlohnung arbeiten. Sie erziehen Kinder, sie pflegen ihre Eltern und andere Angehörige, sie bilden sich weiter, sie kümmern sich um ihre Gesundheit. All das kommt den Betrieben doch zu Gute. Flexible Arbeitszeiten in diesem Sinne sind ein Stück präventiver Gesundheits-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Muss der Staat in Deutschland mehr Verantwortung für den Ausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern übernehmen?

Die Familienpolitik besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher und sehr teurer Maßnahmen. Nicht alles kommt bei den Menschen an, die Unterstützung brauchen, das haben Untersuchungen zur Wirksamkeit familienpolitischer Maßnahmen gezeigt. Zudem sind die Leistungen noch immer stark auf Kinder ausgerichtet, die Pflege wird vergleichsweise wenig unterstützt. Von daher ist es eine notwendige Weiterentwicklung bestehender Maßnahmen, auch Pflegezeiten finanziell auszugleichen. Das brauchen die Beschäftigten, aber auch die Millionen Menschen in Deutschland, die auf Pflege angewiesen sind und nicht auf das gesellschaftliche Abstellgleis geschoben werden dürfen.

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