zum Hauptinhalt
Die neue Baureihe ICE 4. Vor 25 Jahren startete der erste ICE.

© dpa

25 Jahre ICE: Was uns Deutsche bewegt und bremst

Am 29. Mai 1991 startete der erste ICE. Seither wurde viel getan, um die Infrastruktur zu modernisieren. Aber nicht genug. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Deutschland, die Deutschen, sind Weltmeister im gleichzeitigen Jammern über Missstände und im Ertragen alltäglichen Unbills. Und dazu passt, dass sie in ihrer breiten Mehrheit unfähig sind, sich über Erfolge zu freuen, wenn es nicht um das siegreiche Platzieren des Runden im Eckigen geht.

Heute vor 25 Jahren, am 29. Mai 1991, steuerten erstmals ICE-Züge aus Bonn, Hamburg, Mainz, Stuttgart und München den neuen, extra für die superschnellen Züge gebauten Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe an. Dort eröffnete Bundespräsident Richard von Weizsäcker mit gebührender Feierlichkeit ein neues Bahnzeitalter. Mit der Wiedervereinigung kamen Dresden und Leipzig hinzu – und im Westen endlich Frankfurt am Main, um die Devise „Doppelt so schnell wie das Auto, halb so schnell wie das Flugzeug“ wirklich zu erden. Auch wenn wir uns inzwischen über nicht funktionierende Air-Condition und blockierte Toiletten in der dritten Generation der ICEs ereifern: Bahnverkehr in Deutschland ohne die ICEs kann sich keiner mehr vorstellen, und längst vergessen ist, dass die Industrienation Deutschland sehr spät dran war: In Japan werden die Shinkansen seit den Olympischen Spielen in Tokio 1964 eingesetzt, durch die Weiten Frankreichs rasen die TGVs seit 1981.

Es ist purer Zufall, dass ein noch weit größerer Schub für die Entwicklung der deutschen Verkehrsinfrastruktur auch vor 25 Jahren ausgelöst wurde: Am 9. April 1991 gab das Bundeskabinett die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit frei, mit denen das marode Straßen- und Schienennetz der DDR in die Jetzt-Zeit katapultiert und die getrennten Verkehrssysteme beider Deutschland wieder vereint werden sollten.

Die Zukunft des Güterverkehrs liegt auf der Schiene

Das geplante Investitionsvolumen von 39,4 Milliarden Euro (davon 20 Milliarden für die Schiene, 17,3 Milliarden für die Straße) schien damals gewaltig. Inzwischen sind 80 Prozent davon verbaut, und angesichts der Summen, die in die Euro-Rettung gesteckt werden, ist das ein überschaubarer und sehr gut angelegter Betrag, mit dem Deutschlands Verkehrsinfrastruktur modernisiert wurde. Dass heute zwischen Berlin und Hannover oder Hamburg keiner mehr das Flugzeug benutzt, weil Straße und Schiene so schnell geworden sind, zeigt, wie gerade die Hauptstadtregion profitiert hat.

Die Zukunft vor allem des großräumigen Güterverkehrs liegt jedoch auf der Schiene. Das demonstrieren die Schweizer, die am Mittwoch den längsten Eisenbahntunnel der Welt in Betrieb nehmen. Zwölf Milliarden Euro hat die 57 Kilometer lange Strecke unter dem Gotthardmassiv gekostet, die den Süden Europas mit dessen Mitte und Norden verbindet. Finanziert wird sie über Maut und Mineralölsteuer. Die Schweizer haben als Stimmbürger für die Investitionen votiert – sie wollen die Alpenregion vor dem massenhaften Straßenverkehr bewahren.

Die Deutsche Bahn aber ist nicht in der Lage, das schnelle Tempo der Schweizer aufzunehmen. Für die überfällige Modernisierung der Rheintalstrecke ab Basel fehlt seit Langem das Geld. Kundenorientiert ist sie auch nicht, sondern treibt die Fahrgäste durch zu hohe Ticketkosten auf die Straße. Selbst Fliegen ist oft günstiger. Und im Westen bröselt der Beton der Brücken. Die Politik hat nicht begriffen, dass eine kaputte Infrastruktur mehr als den Verkehr bremst. Um dafür kein Verständnis zu haben, muss man nicht einmal sonderlich missmutig sein.

Zur Startseite