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Gestörte Kommunikation. Die Angeklagte Beate Zschaepe steht im Landgericht in München beim NSU-Prozess neben ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel. Mit ihren bisherigen Verteidigern (von Links nach rechts) Wolfgang Stahl, Anja Sturm und Wolfgang Heer wechselte sie kaum ein Wort.

© Sebastian Widmann/imago

Update

218. Tag im NSU-Prozess: Wilde Partys in der Chemnitzer Wohnung

Obwohl sie im Untergrund lebten, verhielten sie sich nicht leise: Ein Zeuge berichtet im NSU-Prozess von wüsten Partys der Mitglieder der Terrorzelle in ihrer Chemnitzer Wohnung. Doch dann versucht ein zynischer Rechtsextremist, Zschäpe zu entlasten.

Von Frank Jansen

Die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle NSU haben sich nach dem Gang in den Untergrund offenbar erstaunlich unvorsichtig verhalten. Ein Zeuge berichtete am Mittwoch im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München von wüsten Partys, die Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in einer Wohnung in Chemnitz gefeiert haben sollen. Seine Mutter habe im Sommer 2000 darüber geklagt, auf dem Balkon über ihr hätten Männer laut gegrölt und „Bier runtergeschüttet“, sagte der Zeuge. Die Mutter war Mieterin in dem Haus Wolgograder Allee 76, in dem Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe laut Anklage von April 1999 bis Juli oder August 2000 gelebt haben. Die Wohnung unter dem Dach soll der mitangeklagte Rechtsextremist André E. gemietet haben.

Der Zeuge schilderte auch  „Zusammenstöße“ zwischen seiner Mutter und Zschäpe. Als sich die Mutter über den Krawall beschwerte, sei sie von Zschäpe „abgekanzelt“ und beschimpft worden. Zschäpe soll der alten Frau gesagt haben, sie solle sich „um ihr eigenes Zeug kümmern“. Der Zeuge, der in einem anderen Haus lebte,  intervenierte aber nicht, obwohl er nach eigener Erinnerung Zschäpe einige Male im Treppenhaus begegnet sein will, als er seine Mutter besuchte.

Die alte Frau verzichtete offenbar darauf, die Polizei zu rufen. Hätte die Mutter es getan, wären Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe womöglich in eine heikle Situation geraten und hätten auffliegen können. Dass sie trotz dieser Gefahr wüst gefeiert haben sollen, zeigt offenbar, wie sicher sich die drei im Sommer 2000 in Chemnitz gefühlt haben.

Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe hatten sich im Januar 1998 aus Jena abgesetzt, als die Polizei in einer von Zschäpe gemieteten Garage halbfertige Bomben entdeckte. Die drei konnten sich mit Hilfe von Rechtsextremisten in Chemnitz verstecken, dort wechselten sie mehrere Male die Unterkunft. In der sächsischen Stadt begannen Mundlos und Böhnhardt zudem im Dezember 1998 mit der Serie von Raubüberfällen. Im Sommer 2000 zogen die drei dann aus ungeklärten Gründen nach Zwickau um. Dort verhielten sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe nach Angaben ehemaliger Nachbarn ruhig und fielen nicht auf.

Zschäpe folgte der Aussage des Zeugen zeitweise mit halboffenem Mund. Mehrmals redete sie auf ihren neuen Pflichtverteidiger ein, den Münchner Anwalt Mathias Grasel. Der junge, spröde wirkende Jurist antwortete nur kurz, in der Mittagspause beriet er sich dann mit Zschäpe. Die anderen drei Verteidiger wurden von der Hauptangeklagten weitgehend ignoriert.

Rechtsextremer Zeuge provoziert Gericht

Am Nachmittag provozierte ein rechtsextremer Zeuge mit einer Arroganz, die kaum zu übertreffen sein dürfte. Schon auf die Frage nach seinen Personalien gab Mario B. in herablassendem Ton nur unvollständige Antworten. Als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ihn ermahnte, kam die höhnische Antwort „beruhigen Sie sich mal“. Götzl wies den Zeugen in scharfem Ton zurecht, doch Mario B. schraubte seine Überheblichkeit nicht zurück. Und der szeneuntypisch wie ein Geschäftsmann im dunkelblauen Anzug und mit Krawatte auftretende Zeuge präsentierte ungeniert seine krude Gesinnung. In der selbst die NPD als zu lasch gilt.

Die Partei habe „das Wort ,demokratisch’ im Namen, das war für uns nicht zielführend für eine bessere Welt“, schwadronierte Mario B. Er war in den 1990er Jahren eine Art Vizechef der Neonazi-Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz (THS)“ und hielt nichts davon, sich in der NPD zu engagieren. Diese Einstellung teilte er offenbar mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Sie waren über die „Kameradschaft Jena“ mit dem THS verbunden. Im Gericht schilderte Mario B. nun häppchenweise seine Bekanntschaft mit den dreien – und versuchte, Zschäpe zu entlasten.

Sie habe vermutlich nicht gewusst, was in der zur Bombenwerkstatt umfunktionierten Garage in Jena „drin war“, meinte der Zeuge. Das Vertrauensverhältnis, das Mundlos und Böhnhardt zueinander hatten, „war stärker als das zu Beate“. Mario B. meinte sich zu erinnern, überrascht gewesen zu sein, als er 1998 mitbekam, dass Mundlos und Böhnhardt gemeinsam mit Zschäpe untergetaucht waren.

Die Aussage passt, womöglich von Mario B. auch so beabsichtigt, zu einem Punkt im Geständnis, das der Angeklagte Carsten S. im Juni 2013 kurz nach Beginn des Prozesses abgelegt hatte. Carsten S. schilderte, wie er die Pistole Ceska 83 zu Mundlos und Böhnhardt nach Chemnitz gebracht hatte und dass die beiden Männer ihm dort von einem Sprengstoffanschlag mit einer präparierten Taschenlampe in Nürnberg erzählten. Als Zschäpe sich näherte, hätten Mundlos und Böhnhardt „psscht gesagt, damit die das nicht mitbekommt“,  berichtete Carsten S. Dass er versucht haben könnte, gezielt Zschäpe zu entlasten, gilt angesichts seiner kompletten, auch ihn selbst und den Mitangeklagten Ralf Wohlleben stark belastenden Aussage als wenig wahrscheinlich. Offen bleibt allerdings, ob nun Mario B. in seiner zynischen Art  an die Tendenz der Aussage von Carsten S. anknüpfte, um Zschäpe zu helfen – oder ob die Angeklagte in der Anfangsphase des NSU tatsächlich nicht in jedes Verbrechen von Mundlos und Böhnhardt eingeweiht war.

Eine Chronik des NSU-Prozesses von unserem Reporter Frank Jansen finden Sie hier.

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