zum Hauptinhalt
Der britische Premierminister Boris Johnson.

© dpa/Matt Dunham/AP

Update

211 zu 148 Stimmen: Boris Johnson übersteht Misstrauensvotum knapp

Der britische Premierminister gewinnt die Vertrauensabstimmung in seiner konservativen Fraktion. Doch nur 59 Prozent halten zu ihrem Parteichef.

Die Regierungskrise in Großbritannien geht weiter: Bei der Vertrauensabstimmung über Boris Johnson mochten am Montagabend lediglich 59 Prozent der konservativen Unterhausfraktion ihrem Parteichef den Rücken stärken. 148 von 359 Abgeordneten stimmten gegen den 57-Jährigen, der seit Juli 2019 das Land regiert und die Torys vor zweieinhalb Jahren zu einem klaren Wahlsieg führte. Damit hat sich die Fraktion der Aufforderung des Premierministers, durch ein klares Votum „einen Strich unter die wochenlangen Medienspekulationen“ zu ziehen, verweigert.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Nach den Statuten der Konservativen muss sich der Vorsitzende keiner routinemäßigen Wiederwahl stellen. Eine Abstimmung erfolgt nur dann, wenn mindestens 15 Prozent der derzeit 357 Tory-Abgeordneten dem Parteichef das Vertrauen entziehen. Dies geschieht schriftlich durch Mitteilung an den Chef des sogenannten 1922-Ausschusses, der seit 99 Jahren die Interessen konservativer Hinterbänkler repräsentiert.

Am Sonntag war das Quorum von 54 Misstrauenserklärungen erreicht, weshalb am Montag morgen 1922-Chef Graham Brady vor die Medien trat. Was die graue Eminenz mitzuteilen hatte, war bereits zuvor durchgesickert: In Absprache mit der Downing Street solle die Abstimmung noch am selben Tag erfolgen.

Damit tat Brady dem Premierminister den gleichen Gefallen wie im Dezember 2018 dessen Vorgängerin Theresa May. Allgemein gilt nämlich ein rascher Urnengang als vorteilhaft für den Amtsinhaber. Etwaige Absprachen zwischen unterschiedlichen Fraktionsgruppierungen und deren Anführern werden dadurch schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

Dass mit dem Ergebnis, wie von Johnson beschworen, die innerparteilichen Querelen beendet sein werden, gilt im Regierungsviertel Westminster als unwahrscheinlich. Zum einen ist der einst als Liberalkonservativer die Hauptstadt London regierende 57-Jährige in den vergangenen Monaten immer weiter nach rechts gerückt und hat damit die Geduld einstiger Weggefährten wie Jesse Norman überstrapaziert.

Zudem fallen viele Regierungsinitiativen vor allem durch großsprecherische Parolen und unzulängliche Durchführung auf. Wie kompetentes Regierungshandeln aussieht, hatte hingegen die Frau des Partei-Vordenkers Norman demonstriert: Kate Bingham leitete das Corona-Impfprogramm, mit dem das Land im vergangenen Jahr weltweit Eindruck machte.

Gleichzeitig nahm auch unter altgedienten Parlamentariern vom rechten Flügel die Ungeduld zu. Ende vergangenen Monats entzog etwa der Erz-Brexiteer John Baron dem Chef das Vertrauen mit der knappen Begründung, dieser habe „das Parlament getäuscht“.

Die „Partygate“-Affäre beeinträchtigt das Vertrauen

Der Vorwurf bezieht sich auf die mehr als ein Dutzend Corona-Partys am Regierungssitz in der Downing Street, die das Land seit Monaten empören. Johnson hatte zunächst behauptet, es habe keine Partys gegeben; später leugnete er jede Kenntnis von deren Vorbereitung und beteuerte, er habe Zusammenkünfte mit Alkohol und Snacks „für Arbeitstreffen gehalten“.

[Lesen Sie auch: „Corona ist noch nicht vorbei“: Wie gefährlich wird die Omikron-Variante BA.5? (T+)]

Die Spitzenbeamtin Sue Gray prangerte in einem Untersuchungsbericht das „Versagen von Führungsqualität und Urteilsvermögen“ an. Laut Untersuchungsbericht wurde in 10 Downing Street bis in den Morgen gefeiert und getrunken, es kam zu Schlägereien, Rotwein und Erbrochenes klebte an den Wänden. Es gibt ein Foto von Johnson, wie er bei einer solchen Party, ein Glas in der Hand, mit glasigen Augen eine Rede hielt.

Dieses vom britischen Cabinet Office herausgegebene Foto wurde anlässlich der Veröffentlichung des „Partygate“-Berichts veröffentlicht.
Dieses vom britischen Cabinet Office herausgegebene Foto wurde anlässlich der Veröffentlichung des „Partygate“-Berichts veröffentlicht.

© Sue Gray Report/Cabinet Office/PA Media/dpa

Mehrere Torys seit Beginn der Legislaturperiode in Skandale verwickelt

Den Torys stehen nach dem schweren Rückschlag bei der Kommunalwahl Anfang Mai schon bald neue Schlappen ins Haus, wodurch Johnsons Ruf als stetiger Wahlsieger weiter angekratzt wird. Landesweit liegen die Konservativen seit Monaten deutlich hinter der Labour-Party von Oppositionsführer Keir Starmer.

Am Sonntag erschreckten neue Hiobsbotschaften all jene Tory-Abgeordneten, deren Sitze bei der nächsten, voraussichtlich Mitte 2024 anstehenden Wahl gefährdet sind. Umfragen zufolge dürften die Konservativen bei zwei Nachwahlen am symbolisch wichtigen 23 Juni – dem sechsten Jahrestag des Brexit-Referendums – deutlich verlieren. Beide Mandatsträger mussten nach Sexskandalen zurücktreten.

Seit Beginn der Legislaturperiode waren mehr als ein halbes Dutzend Torys in Skandale verwickelt. Das ist womöglich ein Hinweis darauf, dass die Konservativen nach ihrem klaren Wahlsieg im Dezember 2019 und mittlerweile zwölf Regierungsjahren ihrer Sache allzu sicher geworden sind. Zu diesem Eindruck hat das Verhalten des Premierministers beigetragen.

Am klarsten hat dies schon vor einigen Wochen Jeremy Hunt benannt, unter David Cameron und Theresa May nacheinander Kultur-, Gesundheits- und Außenminister. Am Montag bekräftigte der 55-Jährige seine Meinung, wonach seine Partei unter Johnson das Land nicht auf integre und kompetente Weise führen könne: „Wir haben die Wahl zwischen dem Verlust der nächsten Wahl und einem Wechsel. Ich stimme für den Wechsel.“

Wie gereizt die Stimmung unter den Torys mittlerweile ist und auf absehbare Zeit bleiben dürfte, verdeutlichte später eine Reihe von Tweets der überaus Johnson-loyalen Kulturministerin Nadine Dorries. Darin bezichtigte sie Hunt der Doppelzüngigkeit und Unfähigkeit: „Sie hatten bei fast allem Unrecht, jetzt haben Sie wieder Unrecht.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false