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Weggeworfene Einweg-Kaffeebecher im Gras.

© picture alliance

2,8 Milliarden Einwegbecher im Jahr: Coffee-to-go soll bald ohne Müll funktionieren

Mehrweg- statt Einweg: Umweltministerin Schulze will Handel und Gastronomie überzeugen. Notfalls setzt sie selbst die Preise hoch.

Es ist ein sonniger Tag im Juli, als Berlin den Becher abgibt. Männer mit Zylindern ziehen über den Alexanderplatz und die Friedrichstraße, um den „Coffee-to-go“-Becher symbolisch zu Grabe zu tragen. Passanten, die mit umweltschädlichen Einweg-Bechern erwischt werden, bekommen an diesem Tag Mehrwegbecher geschenkt.

Das war vor einem Jahr. Die Straßenparty sollte Werbung machen für die Berliner Initiative „Better World Cup“. Sie will Berliner dazu bewegen, auf den Einwegbecher zu verzichten und stattdessen eigene Tassen oder Mehrwegbecher in den Coffee Shop mitzubringen.

2,8 Milliarden Wegwerfbecher im Jahr

Doch trotz aller Bemühungen ist der „Coffee-to-go“-Einwegbecher nicht tot – weder in Berlin noch anderswo. 2,8 Milliarden Wegwerfbecher nutzen die Bundesbürger im Jahr, pro Kopf sind das 34, hat eine am Dienstag veröffentlichte Studie des Umweltbundesamts ergeben. Hinzu kommen 1,3 Milliarden Deckel.

In Berlin sind es 170 Millionen Einwegbecher im Jahr, 20.000 pro Stunde, berichtet Benjamin Bongardt von der Senatsverwaltung für Umwelt. Die Becher verstopfen die Mülleimer und vermüllen die Parks.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze will das ändern. Die „Coffee-to-go“-Becher seien ein „Symptom unserer Wegwerfgesellschaft“, sagte die SPD-Ministerin am Dienstag in Berlin. Schulze will, dass die Menschen von Ein- auf Mehrweg umsteigen. Dazu will sie die Hersteller von Einwegbechern zur Kasse bitten. Sie sollen höhere Lizenzentgelte im Rahmen der Verpackungsverordnung zahlen.

Das Geld soll in einen „Littering-Fonds“ fließen, der für die Müllbeseitigung und Aufklärungskampagnen verwendet werden soll.

Auslaufmodell: Bis 2021 sollen Plastikteller und -bestecke in der EU verschwunden sein.
Auslaufmodell: Bis 2021 sollen Plastikteller und -bestecke in der EU verschwunden sein.

© imago/Anka Agency International

Die besonders umweltschädlichen Polystyrol-Becher will die Umweltministerin komplett verbieten. Das erlaubt ihr die neue Einwegplastikverordnung, die auch Plastikhalmen, Einweggeschirr und -besteck den Kampf ansagt.

Am Dienstag hat der Ministerrat dafür endgültig grünes Licht gegeben, bis 2021 sollen die Plastikprodukte vom Markt verschwinden. Schulze drückt aufs Tempo. „Ich will früher anfangen“, kündigt sie an.

Ungeliebtes Plastik: Seitdem man für die Tüten zahlen muss, werden weniger verbraucht.
Ungeliebtes Plastik: Seitdem man für die Tüten zahlen muss, werden weniger verbraucht.

© dpa

Dabei sucht die Ministerin den Dialog mit der Wirtschaft – so wie bei den Plastiktüten. Statt 29 pro Kopf wie im Jahr 2017 haben die deutschen Konsumenten 2018 nur noch 24 verbraucht, weil viele Läden inzwischen Geld für die Tüten nehmen oder sie ganz aus ihrem Sortiment verbannt haben.

Nun hofft Schulze auch in ihrem Einsatz gegen Einwegkaffeebecher auf Unterstützung aus der Wirtschaft. Handel und Gastronomie sollen primär Mehrwegbecher anbieten, fordert Schulze. Kaffee in Wegwerfbechern soll teurer werden als die Mehrwegvariante.

Sollte es keine Vereinbarung geben, will Schulze regulatorische Maßnahmen ergreifen. Wie diese aussehen könnten, hat das Umweltbundesamt in seiner Studie durchgespielt. Die Behörde schlägt Abgaben für Einwegbecher und -deckel vor: 20 Cent pro Becher, zehn Cent pro Deckel.

Der Handel sieht das kritisch. Die Unternehmen seien bereits sehr aktiv dabei, Mehrwegsysteme zu unterstützen, sagte der Geschäftsführer des Handelsverbands HDE, Kai Falk, dem Tagesspiegel. Man solle diesen Bemühungen erst einmal Raum geben, bevor man über regulatorische Maßnahmen nachdenkt.

Ausgezeichnet: der "FairCup" aus Göttingen

Tatsächlich gibt es inzwischen eine Vielzahl regionaler Initiativen, die die Trinkgewohnheiten der Menschen verändern wollen. Dazu zählt etwa der „FairCup“, den die Berufsschullehrin Sibylle Meyer mit ihren Schülern in Göttingen entworfen hat. Die bunten Kunststoffbecher taugen nicht nur für Kaffee oder Tee, sondern auch für Salate oder andere Snacks.

Einige Supermärkte in der Region nehmen die Becher sogar in ihren Leergutautomaten zurück. Von Göttingen aus hat sich der „FairCup“ bereits bis nach Amrum und Föhr verbreitet, Gespräche werden auch in Berlin geführt, berichtet Meyer. Am Dienstag erhielt das System die Umweltauszeichnung, den „Blauen Engel“.

Passt sogar in einige Leergutautomaten: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD, r) gratuliert Sibylle Meyer, der Gründerin von FairCup.
Passt sogar in einige Leergutautomaten: Umweltministerin Svenja Schulze (SPD, r) gratuliert Sibylle Meyer, der Gründerin von FairCup.

© dpa

In Berlin will man das „Better World Cup“-System weiter ausbauen. Beim Start im Jahr 2017 waren 100 Verkaufsstellen dabei, inzwischen sind es über 900. Teilnehmende Bäckereien, Coffeeshops oder Supermärkte geben Kunden, die auf Einwegbecher verzichten, Rabatt. Nun will die Senatsverwaltung noch einen Schritt weitergehen. Sie will ein Mehrwegsystem etablieren, das mit Pfandbechern arbeitet.

Gesucht wird ein Anbieter, der die Logistik und das Handling bis hin zum Spülen übernimmt. Vor allem für kleine Kioske ist die Reinigung der Mehrwegbecher nämlich schwierig, sagt Senatssprecherin Dorothee Winden. Eine Ausschreibung wird vorbereitet.

Darf's ein bisschen mehr sein? Einkehren statt den Kaffee mitzunehmen, kann auch eine schöne Alternative sein.
Darf's ein bisschen mehr sein? Einkehren statt den Kaffee mitzunehmen, kann auch eine schöne Alternative sein.

© AFP

Auch Bettina Rechenberg vom Umweltbundesamt hält ein Pfandsystem für gut. Sie plädiert für ein Pfand zwischen 50 Cent und zwei Euro pro Becher. Das erhöhe den Anreiz, den Becher tatsächlich zurückzugeben oder häufig zu benutzen.

Mindestens zehn Mal müsse ein Mehrwegplastikbecher benutzt werden, damit er sich ökologisch rechnet, sagt sie, besser seien aber 25 und mehr Einsätze.

Was können Verbraucher bis dahin tun? Sie sollen Mehrwegbenutzer benutzen, sagt Rechenberg. Falls das nicht geht, sollte man zumindest auf die Deckel verzichten. Und man sollte sich etwas mehr Ruhe gönnen: Den Kaffee vor Ort trinken statt ihn auf der Straße herunterzustürzen: „to stay“ ist besser als „to go“, meint die Biologin.

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