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Unterstützer des Präsidenten Charles de Gaulle demonstrieren Ende Mai 1968 mit einem Transparent "Cohn-Bendit go home".

© AFP

1968 - 50 Jahre Studentenrevolte: Frankreichs Beinahe-Revolution

Die "Nacht der Barrikaden" im Pariser Quartier Latin wurde im Mai 1968 zum Wendepunkt der Studentenrevolte in Frankreich. Der Historiker Wilfried Loth zeichnet in einem Buch die Ereignisse im Nachbarland vor 50 Jahren nach.

Es gehört zu der französischen Besonderheit der Revolte von 1968, dass sie nicht nur die Studenten erfasste, sondern auch die Arbeiter in den Fabriken. Wenn man heute vom „Mai 68“ spricht, sind damit in erster Linie die Umwälzungen gemeint, die damals große Schichten der Gesellschaft in Frankreich erfassten. Ende Mai 1968 befanden sich fast zehn Millionen Arbeiter in Frankreich in einem wilden Generalstreik. Damals sprang der Funke der Bewegung, die an der Reformuniversität Nanterre vor den Toren von Paris mit einer Besetzung der Hörsäle begonnen hatte, auf die breite Bevölkerung über.

Es gärte 1968 in Frankreich

Die Unruhen kamen nicht von ungefähr: Die wirtschaftlich goldenen Nachkriegsjahrzehnte neigten sich dem Ende zu, im Land gab es bereits 500.000 Arbeitslose und zwei Millionen Menschen, die gerade einmal den Mindestlohn erhielten. Frankreich stand im Mai 1968 am Rande einer Revolution – die allerdings rasch in sich zusammenfiel, als Arbeitgeber, Gewerkschaften und Regierung eine Vereinbarung zur Erhöhung des Mindestlohns fanden. Zudem reagierte Präsident Charles de Gaulle auf den Studentenprotest und den Generalstreik mit der Auflösung der Nationalversammlung. Aus den anschließenden Parlamentswahlen im Juni gingen die konservativen Regierungsparteien gestärkt hervor.

Der Historiker und Frankreich-Kenner Wilfried Loth zeichnet minutiös nach, wie sich die Revolte nach und nach im ganzen Land ausbreitete. Besonders eindrücklich ist seine Schilderung der „Nacht der Barrikaden“, bei der vom 10. auf den 11. Mai im Pariser Quartier Latin mehr als 300 Polizisten und Studenten verletzt wurden. Wegen des rabiaten Vorgehens der Polizei solidarisierten sich viele Franzosen mit den Studenten. Die Nacht wurde zum Wendepunkt.

Cohn-Bendit spielte eine entscheidende Rolle

Gut arbeitet Loth auch die Bedeutung der Führungsfigur des „Mai 68“ heraus, des damals 23-jährigen Daniel Cohn-Bendit. „Wäre die Bewegung des Mai, wie man sie bald nennen sollte, auch ohne den Soziologiestudenten Daniel Cohn-Bendit zustande gekommen? Sehr wahrscheinlich ist das nicht“, lautet sein Urteil. Cohn-Bendit gewann in den Wochen der Revolte das nötige Charisma, zumal er von vornherein einige wichtige Eigenschaften mitbrachte: Lust an der Provokation, ein ungewöhnliches Maß an Humor und Geistesgegenwart.

Die Beschreibung der Demos gerät gelegentlich zu kleinteilig

Gelegentlich verliert sich Loth allerdings in der Beschreibung der Details von Demonstrationen, Marschrouten und der politischen Ausrichtung einzelner Gruppen und Grüppchen. Etwas zu kurz kommt wiederum die gesamtgesellschaftliche Stimmung, die Frankreich in jenen Monaten auszeichnete – und eine weitergehende Einordnung, warum am Ende des Mai 1968 ein Klima der Revolte in die allgemeine Angst vor allzu großer Veränderung umschlug.

Wilfried Loth: Fast eine Revolution. Der Mai 68 in Frankreich. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2018. 326 S., 29,95 €.

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