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Grünen-Chef Omid Nouripour will mit einem 15-Punkte-Programm den Zivil- und Katastrophenschutz verbessern.

© Fabian Sommer/AFP

Exklusiv

15-Punkte-Plan für besseren Zivilschutz: Grüne fordern U-Bahnhöfe und Tiefgaragen als Schutzräume

Nichts ist mehr sicher. Daher pochen die Grünen auf eine Reform des deutschen Zivilschutzes: Auch mit mehr Sirenen, mehr Vorräten und mehr Katastrophenübungen.

Bunker und Sirenen galten bis zum 24. Februar als Relikte der Vergangenheit, Touren durch die Berliner Unterwelt als Zeitreise in den Kalten Krieg. Seit aber Wladimir Putin ukrainische Städte in Schutt und Asche bomben lässt und U-Bahnschächte und Stahlwerke dort zu Zufluchtsorten werden, wird auch in Deutschland das Thema einer Reform des Zivil- und Katastrophenschutzes immer virulenter.

Die Grünen wollen an diesem Montag in der Sitzung des Bundesvorstands hierzu ein 15-Punkte-Programm beschließen, das dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt. „Putins Angriffskrieg auf die Ukraine führt uns auf schreckliche Weise vor Augen, dass die bisherige Friedensordnung in Europa nicht mehr gilt“, sagte Grünen-Chef Omid Nouripour dem Tagesspiegel. „Die Folge daraus muss eine Konzentration der Bundeswehr auf ihre Kernaufgabe sein: die Landesverteidigung.“

Die Bewältigung der Coronapandemie oder die Hochwasserkatastrophe im Sommer sei ohne die Hilfe der Bundeswehr nicht möglich gewesen. Daher brauche es eine deutliche Stärkung des Bevölkerungsschutzes. „Der Schutz der Bevölkerung gehört in den Mittelpunkt jeder sicherheitspolitischen Debatte“, sagt Nouripour. Dafür müssten aber auch von der Bundesregierung die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden.

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Bunker, wie hier in Berlin, galten zuletzt als Museumsobjekt - nun könnten sie wiederbelebt werden.
Bunker, wie hier in Berlin, galten zuletzt als Museumsobjekt - nun könnten sie wiederbelebt werden.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tagesspiegel

Bunker mit Barrierefreiheit

Die Grünen fordern als eine Reaktion, dass deutlich mehr Schutzräume geschaffen werden. Diese seien in Deutschland kaum noch vorhanden, da sie mit Ende des Kalten Krieges zurückgebaut wurden. „Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, grundsätzlich geeignete Bauten wie U-Bahnhöfe, Tiefgaragen oder Keller in öffentlichen Gebäuden in Schutzkonzepte einzubeziehen“, heißt es in dem Programm. Dabei seien die Bedarfe besonders vulnerabler Gruppen sowie Barrierefreiheit zu beachten. Insgesamt müsse die gesamte zivile Verteidigung verstärkt werden: „Dazu gehört, dass umfangreiche Fähigkeiten zur Unterbringung und Versorgung von Menschen vorgehalten werden, ebenso wie der Ausbau von Notbrunnen zur Trinkwasserversorgung.“ Ferner müssten die aktuellen Vorschriften für Vorräte dringend reformiert werden, sie beschränken sich bisher auf wenige Bereiche wie die Grundversorgung mit Lebensmitteln oder die Erdölbevorratung.

Als erstes wird nun eine bessere Kontrolle der Gasspeicherung angegangen, eine Lehre daraus, dass viele Gasspeicher an russische Unternehmen verkauft wurden und die Füllstände vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine äußerst niedrig waren. Zudem sollen die medizinischen Reserven ausgebaut werden. „Bei geeigneter Schutzausrüstung, Medikamenten, medizinischem Material oder Technik braucht es in nationalen Krisen Vorhaltungen, auf die schnell zurückgegriffen werden kann.“ Zudem soll es im ganzen Land künftig regelmäßige, umfassende Katastrophenübungen geben.

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Ein neues Cyberhilfswerk

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) soll um eine Zentralstelle erweitert werden, zusammen mit den Ländern müsse künftig ein tagesaktuelles 360-Grad-Lagebild erstellt werden, damit im Krisenfall schnell reagiert werden kann. Um Angriffen auf die kritische Infrastruktur vorzubeugen und um den Katastrophenschutz zu digitalisieren, soll ein „Cyberhilfswerk“ beim Technischen Hilfswerk (THW) eingerichtet werden. Zu den Aufgaben könnten Hilfsleistungen beim Zusammenbruch wichtiger IT-Systeme gehören, der Aufbau von Behelfsstrukturen beim Ausfall von Strom- oder Kommunikationsnetzen und die Unterstützung öffentlicher Kommunikation.

Ukraine, Mykolajiw: Zivilisten warten in einem Schutzraum während eines russischen Beschusses.
Ukraine, Mykolajiw: Zivilisten warten in einem Schutzraum während eines russischen Beschusses.

© Celestino Arce Lavin/ZUMA Press Wire/dpa

1,7 Millionen ehrenamtliche Helfer

Als Lehre aus der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz 2021 soll die Warnung der Bevölkerung verbessert werden. „Zur Erweiterung des sogenannten Warn-Mixes gehört eine einheitliche Kommunikation verschiedener staatlicher Stellen, die Ausweitung und Beschleunigung des Förderprogramms für Sirenen sowie die zügige Umsetzung des Cell-Broadcasting“, wird in dem 15-Punkte-Programm betont.

Die aktuelle Hilfsbereitschaft bei der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zeige zudem, wie wichtig das Ehrenamt sei. Die rund 1,7 Millionen freiwilligen Helfer seien das Rückgrat des Zivil- und Katastrophenschutzes – die Bedingungen sollen weiter verbessert werden, die Details sollen in der Ampel-Koalition zügig erarbeitet werden.

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