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Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt am 07.10.2014 den Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München (Bayern).

© dpa

146. Tag im NSU-Prozess: Der patzige Zeuge

Bei den frechen Einlassungen eines Zeugen im NSU-Prozess zeigt sich, wie sich die Fronten in diesem Verfahren verschieben. Die Bundesanwaltschaft versucht, Fragen von Nebenklage-Anwälten nach rechten Strukturen zu unterbinden - im Gegensatz zum Vorsitzenden Richter.

Von Frank Jansen

Der Zeuge erscheint wie eine Kreuzung aus Skinhead, Salafist und Hobbygärtner. Der Schädel ist rasiert, den Stiernacken durchziehen markante Falten, am Kinn hängt ein schwarzer Rauschebart. Den kräftigen Oberkörper umspannt ein blau-weißer Ringelpulli, er quillt aus einer Latzhose aus dunkelblauem Jeansstoff. Thomas R. sieht aus wie ein bulliger Hanswurst.  Doch lustig ist der stark sächselnde Mittvierziger nicht. Und am Dienstag wird er sogar fast eine exemplarische Figur. Für die Mühen im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München, den monströsen Fall der Terrorzelle akribisch aufzuklären. Und die daraus resultierenden, sich zuspitzenden Konflikte zwischen den Prozessparteien.

Thomas R. hatte 1998 die kurz zuvor untergetauchten Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in seiner Wohnung in Chemnitz versteckt. Angeblich ohne zu wissen, dass die drei gesucht werden. Der Skinhead zählte allerdings zumindest damals auch zur rechtsextremen Szene, sein Spitzname lautete „Dackel“. Und er hielt noch Kontakt zu Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, als sie nach Zwickau umgezogen waren. Im Prozess, bei dem er schon mehrmals befragt worden ist, druckst Thomas R. auch am Dienstag wieder herum. Die Tonlage ist meist frech, „weeß ich doch nich’“.

Auf die Fragen eines Nebenklage-Anwalts gibt er zwar zu, für sein Skinhead-Blättchen „Sachsens Glanz“ ein Interview mit einem Neonazi gemacht zu haben, der in der Musikszene aktiv und dem Spektrum der braunen, international agierenden Vereinigung „Blood and Honour“ zuzurechnen war. Blood and Honour ist gefährlich, im September 2000 verkündete der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) das Verbot des deutschen Ablegers. Aus der Truppe erhielt Uwe Mundlos schon vor dem Gang in den Untergrund Sprengstoff. Vermutlich floss aus dem Blood-and-Honour-Milieu dann Geld, als Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe abgetaucht waren. Doch beim Thema Finanzen wird  Thomas R. wieder von Erinnerungslücken geplagt. Grund genug für Opferanwälte, nachzuhaken.

Der Verteidiger bekommt Unterstützung von seinem härtesten Gegner

„Ich hab’ mit Geld gar nichts zu tun gehabt“, sagt Thomas R. Er habe zwar ein paar Konzerte von Blood and Honour „gemacht“, aber „keine Kasse“. Ein Nebenklage-Anwalt insistiert, er will weiter vordringen. Da beanstandet, wie es oft vorkommt, ein Verteidiger Zschäpes die Fragen. Das Beweisthema derart auszuweiten, komme einem weiteren Ermittlungsverfahren gleich, moniert Wolfgang Stahl. Und er bekommt Unterstützung - von seinem härtesten Gegner.

Bundesanwalt Horst Diemer hält den Vertretern der Nebenkläger vor, „es kann nicht darum gehen, die ganze Blood-and-Honour-Szene aufzuklären“. Die Opferanwälte wehren sich, es gehe um die unmittelbare Nähe zu den drei Untergetauchten. Diemer reagiert gereizt, „die Frage, wer sonst noch unterstützt hat, kann nicht Gegenstand dieses Verfahrens sein, sonst sitzen wird noch in zehn Jahren hier“. Der Berliner Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer ist empört. „Wir haben alle Befragungstechnik gelernt“, sagt Scharmer, „es mag der Job der Verteidigung sein, das zu verhindern. Aber dass die Bundesanwaltschaft ihr beispringt, ist schon beachtlich“.

Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ist immer interessierter an Strukturen der rechten Szene

So geht es weiter, Rede, Widerrede. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl lässt es zu. Er ist nicht mehr derselbe wie vor einem Jahr. Damals unterbrach Götzl rigoros Fragen von Opferanwälten, wenn er den Eindruck hatte, es gehe kaum noch um die angeklagten Taten: zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge, 15 Raubüberfälle und weitere Verbrechen. Den harten Kurs hat Götzl seit einigen Monaten verlassen. Anwälte können jetzt ausgiebig fragen, auch zu Strukturen und Personen der rechten Szene, bei denen nur über mehrere Stationen eine Verbindung zum NSU denkbar erscheint. Und Götzl selbst begibt sich auf dieses Terrain. Die Verflechtungen der braunen Milieus interessieren ihn nun deutlich mehr als in der Anfangsphase des Prozesses. Auch dafür steht Thomas R. fast wie eine Symbolfigur.

Götzl hat den Kahlkopf am Dienstag bereits zum dritten Mal geladen. Der Richter hatte Thomas R. bereits im April und im Juli intensiv befragt und meist bockige Antworten bekommen. Doch Götzl hat auch am Dienstag noch Fragen, außerdem müssen die vielen Anwälte zum Zuge kommen. Trotz des Aufwands bringt die Einvernahme nicht viel. Wie stur Thomas R. ist, demonstrierte er auch jedes Mal mit seinem Outfit. Die Glatze, der Bart, der Ringelpulli, die Latzhose – Thomas R. sieht am Dienstag exakt so derb verschroben aus wie bei jedem Termin in München zuvor. 

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