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Beate Zschäpe dreht den Objektiven der Fotografen meist den Rücken zu. Aussagen macht sie im Prozess bisher nicht.

© dpa

127. Tag im NSU-Prozess: Zeuge Brandt: Zschäpe diskutierte mit über "Germanentum"

Der Auftritt von Tino Brandt kann Beate Zschäpe nicht gefallen. Der Zeuge war – und ist – nicht nur Neonazi. Von 1994 an spitzelte er für den Thüringer Verfassungsschutz.

Von Frank Jansen

Erst redet er zäh, doch dann kommt Schwung in die Aussage. „Wenn man diskutiert hat, Germanentum und so, hat sie sich eingebracht“, sagt Tino Brandt über die Hauptangeklagte Beate Zschäpe. „Sie stand nicht in der Ecke und hat Trübsal geblasen.“

Zschäpe schaut den Zeugen nicht an, doch sie zieht die Stirn in Falten. Der Auftritt von Tino Brandt kann ihr nicht angenehm sein, den meisten anderen Angeklagten auch nicht. Dieser Zeuge hatte wie kaum ein anderer Einblick in die rechtsextreme Szene in Thüringen – und das zu einer Zeit, da Zschäpe und die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger G. und Carsten S. mittendrin waren. Wohlleben blickt denn auch noch eisiger in den Saal als sonst schon üblich.

Am Dienstag hat im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München der Auftritt von Tino Brandt begonnen, einem auf bizarre Weise prominenten Neonazi. Der 39-Jährige, ein korpulenter Typ mit schmaler Brille, war Ende der 1990er Jahre einer der Wortführer der rechtsextremen Vereinigung „Thüringer Heimatschutz (THS)“, zu der auch Beate Zschäpe und die späteren NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zählten. Und die Angeklagten Ralf Wohlleben, Holger G. und Carsten S. Nur der fünfte Angeklagte, der Sachse André E., war offenkundig nicht dabei.

Brandt verfügt offenbar weiter über Kontakte in die Szene

Tino Brandt war – und ist – nicht nur Neonazi. Von 1994 an spitzelte er für den Thüringer Verfassungsschutz, der ihn mit insgesamt 200.000 D-Mark bezahlt haben soll. 2001 wurde Brandt von einer Thüringer Zeitung enttarnt, die V-Mann-Karriere war vorbei. Die in der rechten Szene auch, Brandt war nicht länger Anführer des THS und der Posten des Vizechefs der Thüringer NPD ging auch verloren. Doch Brandt scheint weiterhin über gute Kontakte in die Szene zu verfügen. Von Racheakten gegen den Ex-Spitzel ist nichts bekannt. Brandt hat stets behauptet, er habe einen Teil der Gelder vom Verfassungsschutz in das nationale Spektrum gesteckt. Am Montag nennt er die Tätigkeit für den Nachrichtendienst allerdings den Fehler seines Lebens.

Derzeit sitzt Brandt in Thüringen in Untersuchungshaft, wegen des Verdachts auf Kindesmissbrauch. Ermittelt wird gegen ihn auch wegen möglicher Betrügereien. Als Brandt am Montag im Gerichtssaal erscheint, ist er mit Handschellen an einen Polizisten gekettet. Dennoch wirkt der Zeuge gelassen. Als ihn der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, nach den Personalien fragt, schüttet sich Brandt bei der Antwort seelenruhig Wasser aus einem Tetrapak in einen Plastikbecher. Und er wird frech. Als Götzl wissen will, wie der Name „Thüringer Heimatschutz“ zustande gekommen sei, feixt Brandt, „wir waren in Thüringen, Sächsischer Heimatschutz hätte nicht gepasst“. Götzl weist ihn scharf zurecht, Brandt kehrt zu seinem eher technischen Tonfall zurück.

Elitär und ideologisch gefestigte Kameraden

Er schildert, dass die Kameradschaft Jena, der Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt angehörten, elitär und ideologisch gefestigt gewesen sei. „Rechtsschulungen“, zum Beispiel zum Umgang mit der Polizei, seien bei der Kameradschaft nicht notwendig gewesen, sagt Brandt. Die Truppe war Teil des THS, einer Art Sammelbecken mehrerer rechtsextremer Gruppierungen in Thüringen. Zschäpe habe sich da nicht hervorgetan, sei aber auch „keine dumme Hausfrau“ gewesen. Uwe Mundlos war für Brandt „wirklich ein lustiger Typ“, der viel gelesen habe, unter anderem Bücher über Rudolf Heß. Mundlos habe sich „für die Ideale der NSDAP eingesetzt“, sagt Brandt.

Anders als Mundlos sei Uwe Böhnhardt „schweigsamer“ gewesen und habe auch nicht soviel gelesen. Nach mehreren Fragen Götzls fällt Brandt auch ein, Böhnhardt habe „uniformähnliche Kleidung“ getragen. Einmal habe er Böhnhardt auch in militärischer Kleidung gesehen. Der Bundesanwaltschaft hatte Brandt im Jahr 2012 gesagt, er sei da überzeugt gewesen, Böhnhardt und ein weiterer Rechter hätten an einer Wehrsportübung teilgenommen.

Der Thüringer Verfassungsschutz zahlte

Beim Thema Gewalt versucht Brandt auszuweichen, stärker noch als bei anderen Fragen. Er weiß vermutlich, dass ein BKA-Beamter im Prozess ausgesagt hat, Brandt sei bei Diskussionen mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe für den Einsatz von Gewalt gewesen. Am Montag sagt Brandt, er habe Gewalt nicht als politische Lösung gesehen. Und er habe mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe auch nicht über Gewalt diskutiert.

Brandt gibt allerdings zu, dass er für die drei Geld in der Szene gesammelt hat, nachdem sie im Januar 1998 untergetaucht waren. Aber nicht allzu lange. „Das ist ’ne Geschichte wie bei ’nem Erdbeben oder so“, sagt Brandt, „man sammelt ’n halbes Jahr, dann ist das Thema durch“. Erst habe er das Geld André K. gegeben, der Jenaer Neonazi ist ein Beschuldigter im NSU-Komplex. Als es damals Gerüchte über Unregelmäßigkeiten gab, hab er das Geld Ralf Wohlleben überreicht. Der habe es an die drei Verschwundenen weitergeleitet. Und Brandt betont, auch vom Thüringer Verfassungsschutz Geld bekommen zu haben, 1000 oder 2000 Mark, er wisse es nicht mehr genau.

Der Nachrichtendienst hatte, wie bereits 2011 herauskam, über den V-Mann Brandt alias „Otto“ um die 2500 Mark bereitgestellt, damit sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe damit falsche Pässe besorgen. Der Verfassungsschutz hoffte, über die ihm dann bekannten Tarnidentitäten die drei aufspüren zu können. Gelungen ist das bekanntlich nicht. Und Brandt, der auch auf Vermittlung des Angeklagten Carsten S. konspirativ mit Böhnhardt telefonierte, beteuert am Montag, den Aufenthaltsort von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe habe er nie erfahren, „nein, nein“. Aber dass er selbst Geld für die drei sammelte, darüber habe er den Verfassungsschutz informiert.

Das Ende der Spitzelei für die Behörde hatte Brandt schwer getroffen. „Als wenn sich das Leben von einem Tag auf den anderen verabschiedet“, beschreibt er die Zäsur der Enttarnung im Jahr 2001. „Mein Job hatte sich erledigt, mein kompletter Freundeskreis, es hatte sich alles erledigt gehabt“. Brandt hatte beim rechtsextremen Verlag „Nation Europa“ im bayerischen Coburg gearbeitet. Die Enttarnung, deutet Brandt an, könnte das Resultat interner Konflikte im Thüringer Verfassungsschutz gewesen sein.

Die Vernehmung Brandts soll diesen Mittwoch und Donnerstag fortgesetzt werden. Er ist der einzige Zeuge, den der Strafsenat für diese Woche geladen hat.

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