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Die Angeklagte Beate Zschäpe beim Prozess

© AFP

Update

113. Tag im NSU-Prozess: Zeugen schildern letzten Banküberfall der Terrorzelle

Am Morgen des 4. November 2011 überfielen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eine Sparkasse in Eisenach. Wenig später waren sie tot. Im NSU-Prozess schildern Mitarbeiter das rabiate Vorgehen. Und es sagt der Zeuge aus, ohne den der NSU womöglich gar nicht aufgeflogen wäre.

Von Frank Jansen

Die Stimme von Nadine W.  wird zittrig. „Die Konsequenz war, dass ich nicht mehr bei der Sparkasse arbeite“, sagt sie noch, dann geht es nicht mehr. Die Frau weint, sie dreht den Kopf nach rechts. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl reagiert sensibel, er unterbricht die Verhandlung und gewährt der Zeugin zehn Minuten Pause. Nadine W. kommt dann wieder, sie wirkt jetzt gefasst. Und  sie kann ohne Tränen berichten, dass sie sich in psychologische Behandlung begeben musste, nach dem Überfall der zwei maskierten Räuber auf die Filiale der Sparkasse in Eisenach. Eine Tat, die das Leben der heute 35 Jahre alten Zeugin massiv beeinträchtigt hat.

So wird am Dienstag im NSU-Prozess am Oberlandesgericht bei der Aussage von Nadine W. wieder eines der scheinbar kleinen Dramen sichtbar, für die Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und womöglich Beate Zschäpe auch jenseits von Morden und Sprengstoffanschlägen verantwortlich sind. Am 113. Verhandlungstag befasst sich der 6. Strafsenat mit dem letzten der 15 Raubüberfälle von Mundlos und Böhnhardt. Die beiden hatten am Morgen des 4. November 2011 in Eisenach in der Filiale der „Wartburg-Sparkasse“ 71.915 Euro erbeutet.

4. November 2011 war der letzte Tag des NSU

Damit beginnt im Prozess ein weiteres Kapitel. Bislang waren die Raubüberfälle kaum ein Thema. Dass der Strafsenat sich zuerst mit dem letzten Angriff auf ein Bankinstitut befasst, hat allerdings nicht nur mit dem Raub zu tun. Es geht um mehr. Der 4. November 2011 war auch der letzte Tag des NSU.

Dank eines Zeugen kam die Polizei Mundlos und Böhnhardt auf die Spur, die sich in Eisenach nach dem Überfall in einem Wohnmobil versteckt hielten. Als die zwei Neonazis die Polizei bemerkten, machten sie Schluss. Mundlos erschoss Böhnhardt, zündete das Wohnmobil an und tötete sich selbst. So hat die Bundesanwaltschaft den Ablauf in Eisenach rekonstruiert.

Knapp drei Stunden später am 4. November 2011 steckte Zschäpe in Zwickau die gemeinsame Wohnung der drei in Brand und floh. Am 8. November stellte sie sich in Jena, wo sie 1998 mit Mundlos und Böhnhardt abgetaucht war, der Polizei. Entsetzt erkannte die Bundesrepublik, dass eine rechtsextreme Terrorzelle fast 14 Jahre unerkannt bleiben und morden, sprengen und rauben konnte.

Nadine W. erlebte den Morgen des 4. November 2011, wie sie sagt, als Film. Kurz nach neun Uhr saß die Frau bei ihrem Chef im Büro. Sie hörten Schreie und liefen in die Schalterhalle. „Da haben wir zwei maskierte Männer, Gestalten gesehen“, sagt sie. Nadine W. schloss sich in dem Raum ein, der in der Filiale als „Notkasse“ bezeichnet wurde. Hier lagen etwa 10 000 Euro für die schnelle Ausgabe an Kunden. Die Räuber wollten an das Geld, einer bedrohte mit seiner Waffe den Filialleiter. Der „klopfte, schrie, Nadine mach’ die Tür auf“, erinnert sich die Zeugin. Sie öffnete, bei der Übergabe des Geldes an den Täter fielen Scheine zu Boden. Dem Räuber, laut Bundesanwaltschaft war es Böhnhardt, reichte die Summe nicht. Er wollte in den Tresorraum. Und schlug mit seinem Revolver dem Filialleiter gegen den Kopf, der blutende Mann fiel um. Sofort brachten die völlig verängstigte Nadine W. und eine Kollegin den Räuber in den Keller.

„Es darf nicht dreckig werden“

Aus dem Tresor bekam er die weitere Beute. Dann floh der Täter mit seinem Kumpan, das dürfte Mundlos gewesen sein. Er hatte in der Schalterhalle zwei Kunden in Schach gehalten. Der Raub habe nur wenige Minuten gedauert, sagt Nadine W., „aber gefühlt war es eine Stunde“. Der Schock traf sie so schwer, dass sie 2012 trotz psychologischer Betreuung die Stelle bei der Sparkasse aufgab.    

Besser verkraftet hat den Raub offenbar der ehemalige Filialleiter. Cool schildert Stefan C. im Gericht, wie er den Überfall erlebte. Den Schlag mit dem Revolver auf den Hinterkopf  habe er kommen gesehen, sagt der 32-Jährige, er habe ja fast 15 Jahre Kampfsport gemacht. Dennoch verzichtete Stefan C. am 4. November 2011 darauf, den Helden zu mimen. Er stand trotz blutender Platzwunde wieder auf und hinderte die Kolleginnen nicht daran, dem Räuber im Keller noch mehr Geld auszuhändigen. Ganz ohne psychische Folgen blieb der Überfall aber offenbar auch nicht für ihn. Den Anzug und die Krawatte, die er damals trug, habe er weggeworfen, sagt Stefan C. Obwohl die Kleidung bei dem Überfall nicht dreckig geworden sei. Das sei auch damals sein erster Gedanke gewesen, „es darf nicht dreckig werden“.

Eine ebenfalls makaberes Detail liefert am Dienstagnachmittag der Zeuge Manfred G. Der Rentner war einer der beiden Kunden, die sich beim Überfall von Mundlos und Böhnhardt in der Sparkasse befanden. Manfred G. wollte gerade Scheine aus dem Geldautomaten ziehen, als die Räuber in die Filiale stürmten. Einer der Täter habe ihn vom Automaten weggezerrt und verlangt, sich hinzulegen, sagt der Zeuge. Doch der Räuber habe ihm auch die Scheine gebracht, die noch im Geldautomaten gesteckt hatten. Bei dem Täter mit dem Robin-Hood-Impuls könnte es sich um Uwe Mundlos gehandelt haben.

„Die kamen förmlich angeflogen“

Nach Manfred G. hört der Strafsenat noch den Mann, ohne den der NSU womöglich nicht am 4. November 2011 aufgeflogen wäre. Egon S., Ende 70, hatte der Polizei den vermutlich entscheidenden Tipp zu dem Wohnmobil von Mundlos und Böhnhardt gegeben. Der Zeuge hatte gesehen, wie zwei Radfahrer in hohem Tempo zu dem Wohnmobil fuhren. „Die kamen förmlich angeflogen“, sagt Egon S. Einer der Männer habe sofort auf dem Fahrersitz Platz genommen, der andere habe die Fahrräder verstaut. „Dann sind die so schnell angefahren, dass die Vorderräder durchgedreht sind.“

Der Zeuge ging in den nahen Supermarkt und kaufte ein. Auf dem Weg nach Hause bekam er mit, dass ein Polizist eine Frau fragte, ob sie zwei Männer mit einem Fahrrad gesehen habe. „Sie verneinte“, sagt Egon S., „ich rief,  ja, aber ich habe sie gesehen“. Und er konnte dem Beamten den ersten Buchstaben des Kennzeichens des Wohnmobils nennen: ein „V“, die Abkürzung für den Vogtlandkreis im Südwesten Sachsens. Uwe Böhnhardt und mutmaßlich Beate Zschäpe hatten das Fahrzeug bei einem Verleih im Vogtland gemietet.

Etwa zwei Stunden  nach dem Hinweis von Egon S. spürte die Polizei das Wohnmobil im Eisenacher Stadtteil Stregda auf. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass Mundlos und Böhnhardt dort die ersten Fahndungsaktionen der Polizei nach dem Überfall auf die Sparkasse abwarten wollten.

Dilettantisch anmutende Rohrbomben

Nach den Aussagen der Zeugen zum 4. November 2011 präsentieren Anwälte von Nebenklägern am Dienstag einen Antrag, der dem Verfassungsschutz Ärger und Arbeit bereiten könnte. Die Anwälte fordern, der Strafsenat solle den ehemaligen V-Mann des Brandenburger Nachrichtendienstes, Carsten S., als Zeugen laden. Carsten S. sei in die Beschaffung von Waffen für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe eingebunden gewesen, heißt es im Antrag. Aus Sicht der Anwälte ist es auch notwendig, aus  der Abteilung Verfassungsschutz im Potsdamer Innenministerium die Personalakte zu Carsten S. und weitere Unterlagen beizuziehen.  

Auch die Verteidiger Zschäpes kommen am Dienstag mit einem konfliktträchtigen Papier. Die drei Anwälte halten die Durchsuchung der von Zschäpe gemieteten Garage in Jena am 26. Januar 1998 für rechtswidrig. In der Garage hatte die Polizei eine Bombenbauwerkstatt entdeckt. Die Razzia war mutmaßlich der Anlass für Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt, sich in den Untergrund zu begeben. Der Durchsuchungsbeschluss sei unzureichend begründet gewesen, argumentieren die Verteidiger. Sie widersprechen deshalb der Verwertung von Aussagen eines Polizisten im NSU-Prozess. Der Beamte des Landeskriminalamts Thüringen, ein Entschärfer unkonventioneller Sprengvorrichtungen, hatte im April geschildert, was in der Garage gebastelt worden war – dilettantisch anmutende Rohrbomben, die nicht funktioniert hätten.

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