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Beate Zschäpe mit ihren Verteidigern

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Update

106. Tag im NSU-Prozess: Die Bombenbastler des NSU

Ihre ersten Rohrbomben hätten kaum Schaden anrichten können. Doch nach dem Gang in den Untergrund professionalisierten zumindest Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ihre Kenntnisse - mit furchtbaren Folgen.

Von Frank Jansen

Der 26. Januar 1998 ist ein zentrales Datum in der Geschichte der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“. An diesem Tag tauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe ab, als die Polizei in einer von Zschäpe gemieteten Garage in Jena eine Werkstatt zum Bau von Rohrbomben entdeckte. Die Bastelei dort war allerdings wenig professionell.

Das ergab sich am Dienstag aus der Vernehmung eines Polizeibeamten im NSU-Prozess am Oberlandesgericht Thüringen. Der Zeuge, als Entschärfer beim Landeskriminalamt Thüringen tätig, hatte die in der Garage gefundenen, in Polizeideutsch „unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ untersucht. Das Ergebnis: die sechs Rohrbomben wären entweder gar nicht explodiert oder hätten nur geringen Schaden verursacht. Erst nach dem Gang in den Untergrund professionalisierten sich zumindest Mundlos und Böhnhardt – mit furchtbaren Folgen.

Sechs dilettantisch angefertigte Sprengsätze

In der Garage fand die Polizei ein Sammelsurium aus sechs dilettantisch angefertigten Sprengsätzen. Stücke von Metall- und Wasserleitungsrohren sowie eine Blechbüchse waren in Teilen mit TNT und Schwarzpulver gefüllt. In einem Rohr steckten auch Sechs-Kant-Muttern, die im Fall einer Explosion als Geschosse herumgeflogen wären. Aber auch dann hätten die Täter „keine gute Wirkung“ erzielen können, sagte der Entschärfer. Die Muttern waren schlecht platziert. Doch eine Explosion wäre vermutlich bei keiner Rohrbombe möglich gewesen, da entweder ein Zündmechanismus fehlte oder nur teilweise vorhanden war. Die amateurhaften Bastler scheinen aber überlegt zu haben, einen Sprengsatz krachen zu lassen. Immerhin stellte die Polizei in der Garage  insgesamt 1,4 Kilogramm TNT sicher. Den Profi-Sprengstoff soll Mundlos von dem sächsischen Neonazi Thomas S. bekommen haben.

Vor dem Abtauchen hatten mutmaßlich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe bereits mit Bombenattrappen hantiert. Laut Bundesanwaltschaft hängten die drei 1996 an einer Autobahnbrücke einen als Juden gekennzeichneten Puppentorso auf, der mit zwei Pappkartons und Elektrokabeln verbunden war. Am Ende des Jahres sollen Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe Briefbombenattrappen verschickt haben, unter anderem an die Stadtverwaltung Jena. Die Bundesanwaltschaft hält es auch für bewiesen, dass die drei Neonazis 1996 und 1997 in der Stadt Bombenattrappen in einer Kiste, einer Plastiktüte und einem Koffer abstellten, die alle mit Hakenkreuzen markiert waren.

Böhnhardt in der Haft sexuell misshandelt?

Als die Polizei im Januar 1998 die Garage ausräumte, flohen Mundlos und Zschäpe offenbar auch aus Solidarität mit Böhnhardt. Er hatte bereits wegen mehrerer Delikte eine Haftstrafe abgesessen und wollte nie wieder ins Gefängnis. Böhnhardt soll, wie die Mutter von Uwe Mundlos im NSU-Prozess als Zeugin sagte, in der Haft sexuell misshandelt worden sein.

Im Untergrund eigneten sich dann wenigstens Mundlos und Böhnhardt die Fähigkeit an, potenziell tödliche Bomben zu bauen. 1999 deponierten sie in einer von einem Türken geführten Gaststätte in Nürnberg einen Sprengsatz, der in einer Taschenlampe versteckt war. Als sie ein Mitarbeiter des Lokals anknipste, kam es zur Explosion. Der Mann erlitt Verletzungen. Im Dezember 2000 stellte Mundlos oder Böhnhardt in einem iranischen Lebensmittelgeschäft in Köln eine präparierte Christstollendose ab. Als die Tochter des Geschäftsinhaber sie im Januar 2001 öffnete, wurde sie durch die Detonation schwer verletzt.

Nagelbombe in Kölner Keupstraße

Im Juni 2004 verübten dann Mundlos und Böhnhardt den schwersten Sprengstoffanschlag. In der Kölner Keupstraße zündeten sie vor einem türkischen Friseursalon eine Nagelbombe, sie steckte auf einem Fahrrad in einer Hartschalenbox. Die Explosion und die umherfliegenden Splitter und Nägel trafen mehr als 20 Menschen. Die meisten sind türkischer Herkunft. Dass niemand starb, war fast ein Wunder. Noch 250 Meter vom Tatort entfernt zerbrachen Schaufenster.

Vater des Opfers befragt ehemaligen Verfassungsschützer Andreas T.

Welches Leid der NSU auch in anderen Städten angerichtet hat, war am Dienstag im Prozess wieder einmal hautnah zu spüren. Am Nachmittag befragte der Vater des im April 2006 in Kassel erschossenen Halit Yozgat den früheren Verfassungsschützer Andreas T. Der bestreitet, etwas von dem Mord mitbekommen zu haben. In dem von Halit Yozgat betriebenen Internetcafé hatte Andreas T. am Tattag gechattet, mutmaßlich auch zur Tatzeit. Die Geschichte hat viel Wirbel verursacht und nährt auch heute noch bei Anwälten der Nebenklage und in einem Teil der Medien den Verdacht einer unheimlichen Nähe zwischen Verfassungsschutz und NSU.

Vater Ismail Yozgat glaubt jedenfalls nicht, Andreas T. habe, als er gehen wollte, den am tischförmigen Tresen liegenden, sterbenden Halit nicht wahrgenommen. „Haben Sie nicht nach meinem Sohn gesehen, als Sie die 50 Cent bezahlten wollten?“, fragte der Vater mit lauter Stimme. Andreas T. reagierte auch diesmal wie bei seinen vier Auftritten als Zeuge zuvor.

Andreas T. sei „fast vorlaut, mit einer gewissen Rotzigkeit“ aufgetreten

Er habe nichts gesehen, beteuerte der Ex-Verfassungsschützer, „ich konnte nicht ahnen, dass so was Entsetzliches passiert war, dass ich unter dem Tisch gesucht hätte“. Vater Yozgat stellte dann nach einer Viertelstunde keine weiteren Fragen mehr. Andreas T. verließ den Gerichtssaal. Der Zeuge sei „fast vorlaut, mit einer gewissen Rotzigkeit“ aufgetreten, klagte anschließend der Hamburger Anwalt Thomas Bliwier. Er vertritt mit Kollegen die Familie Yozgat. Dass Andreas T. aus Sicht der Nebenklage-Anwälte stur die Unwahrheit sagt, lasten sie auch dem hessischen Verfassungsschutz an.

Andreas T. erhalte von seinem früheren Arbeitgeber „jede Rückendeckung“, sagte Bliwier. Im Prozess war allerdings auch herausgekommen, dass Andreas T. nach dem Mord einen Kollegen belogen hatte. Der hatte mit Andreas T. im April 2006 über die Tat gesprochen und ihn gefragt, ob er das Internetcafé kenne. Andreas T. habe verneint, sagte der frühere Verfassungsschutzkollege in der vergangenen Woche im Prozess. Die Ungereimtheiten im Fall Andreas T., so scheint es, werden auch am Oberlandesgericht München nicht zu klären sein. Der 6. Strafsenat entließ Andreas T. am Dienstag als Zeuge. Nach seinem fünften Auftritt kann er wohl für sich den NSU-Prozess abhaken.

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