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Über das Sondervermögen sollen auch neue Hubschrauber für die Bundeswehr angeschafft werden.

© Frank Hormann/dpa

100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr: Braucht die Ampel die Stimmen der Union wirklich?

Nebenhaushalt via Grundgesetzänderung - oder Notfallklausel der Schuldenbremse? Die Rechtslage ist nicht eindeutig, das zeigt eine Anhörung im Bundestag.

Mit einem Sondervermögen Bundeswehr will die Ampel-Koalition – als Reaktion auf den Ukraine-Krieg und unter der Annahme, dass Russland bald auch gegen Nato-Staaten militärisch vorgehen könnte – die Armee aufrüsten. 100 Milliarden Euro sollen dafür kreditfinanziert in den kommenden Jahren eingesetzt werden – für neue Kampfjets, Hubschrauber, Marine-Schiffe und einiges mehr. Weil das Sondervermögen im Grundgesetz verankert werden soll, braucht die Regierung Stimmen der Union. Bislang deutet alles auf Einigkeit hin.

Mit einem einfachen Gesetz wollte die Ampel das Sondervermögen nicht einführen. Ein Grund: Es ist unklar, ob für den Zweck höherer Rüstungsausgaben die Notfallregelung der Schuldenbremse - ähnlich wie in der Corona-Pandemie - angewendet werden kann.

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Aber so eindeutig ist die Rechtslage vielleicht doch nicht. Das wurde am Montag bei der Anhörung zu den relevanten Gesetzentwürfen im Haushaltsausschuss des Bundestages deutlich. Zwar ist recht eindeutig, dass das Sondervermögen – mit dem die Schuldenbremse im Grundgesetz quasi umgangen wird – verfassungskonform ist. Vereinfacht gesagt, weil es als einmalige Ausnahmeregelung sozusagen neben die Schuldenregel gestellt wird. Doch gäbe es nicht die Möglichkeit, ohne diese Ersatzkonstruktion klarzukommen? Und damit, aus Sicht der Ampel, ohne die Zustimmung der Union?

"Zentrale staatliche Aufgabe"

Der Jurist Alexander Thiele von der Business and Law School in Berlin kommt in seiner Stellungnahme zum Schluss, dass ein anderer, seit Beginn des Vorhabens im Februar auch debattierter Weg der Finanzierung nicht möglich sei. Nach Thieles Ansicht stellt der „grausame Angriffskrieg in der Ukraine“ nicht die vom Grundgesetz verlangte Notsituation dar, die eine Nutzung der Ausnahmeklausel der Schuldenregel erlauben würde. Die Bundeswehr sei Teil der staatlichen Infrastruktur, die Gewährleistung der ausreichenden Verteidigungsfähigkeit also „zentrale staatliche Aufgabe“. Zudem stehe die „möglicherweise bestehende Unterausstattung der Bundeswehr in keinerlei Beziehung“ zum Ukraine-Krieg.

Auch Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität in Berlin verneint die Möglichkeit, die Notfallklausel anzuwenden. Der „Ausnahmetatbestand“ sei „offensichtlich nicht erfüllt, denn der mangelhafte Rüstungsstand der Bundeswehr war seit langem allgemein bekannt, publizistisch breit erörtert und letztlich politisch gewollt“. Auch der rechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine sei „angesichts des aggressiven und schon seit langem völkerrechtswidrigen Verhaltens von Putin-Russland – vor allem seit der Besetzung der Krim – weder überraschend noch unvorhersehbar“. Was zur Frage führt, ob das eventuelle Fehlverhalten früherer Regierungen einer neu gewählten Regierung (mit zwei Koalitionspartnerinnen, die seit 2005 und 2013 nicht mehr am Ruder waren) Möglichkeiten beschneiden kann.

Notfall Krieg

Der Jurist Volker Wieland, früher Rektor der Verwaltungs-Universität in Speyer, vertritt dagegen die Meinung,  dass die Anwendung der Notfallklausel der Schuldenbremse sehr wohl möglich wäre. Die Ergänzung des Grundgesetzes für das Sondervermögen sei daher gar nicht erforderlich, schreibt er in seiner Stellungnahme. Der Angriffskrieg Russlands habe zu einer außergewöhnlichen Notlage geführt, „die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt“ – das sind die in der Verfassung genannten Bedingungen für das Anwenden der Notfallregelung.

Der Ökonom Dirk Meyer von der Bundeswehr-Universität in Hamburg empfahl den dritten Weg: die normale Finanzierung der Rüstungsvorhaben im Kernhaushalt (das Sondervermögen ist ein Nebenhaushalt). Dann müssten die 100 Milliarden Euro über so genannte Verpflichtungsermächtigungen im Einzelplan des Verteidigungsministeriums (und gegebenenfalls anderer Ressorts mit sicherheitspolitischen Aufgaben) eingestellt werden, und zwar auf Jahre hinaus. Laut Meyer bedeutete das, entweder anderswo im Etat zu sparen – oder einen befristeten „Solidaritätsbeitrag Landesverteidigung“ einzuführen.

Sondervermögen unumstritten

Aber Einschnitte und Steuererhöhungen schließt die Ampel aus. Bleiben also Sondervermögen via Grundgesetzänderung oder über die Notfallklausel der Schuldenbremse. Da die Rechtslage uneindeutig ist, kann es noch interessant werden. In der Koalition könnten die Stimmen derer, die sich gegen die Bedingungen und die Mitspracheforderung der Union wehren, lauter werden. Ein zentraler Streitpunkt ist, ob das Geld strikt für Rüstungszwecke auszugeben sei (Forderung der Union) oder auch für Sicherheitspolitik im nicht-militärischen Bereich – was Teile der SPD und die Grünen gern hätten. Das Sondervermögen an sich scheint in der Koalition mittlerweile unumstritten zu sein. Kanzler Olaf Scholz hätte dann eine eigene Mehrheit. Die Union würde nicht gebraucht.

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