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Auch britische Veteranen nahmen an den Gedenkfeierlichkeiten in London teil.

© AFP/Tolga Akmen

100. Jahrestag des Waffenstillstandes: Großbritannien zwischen Versöhnung und Hoffnung

Mit viel Würde und Phantasie ehren die Briten ihre Gefallenen des „Great War“. Auch Bundespräsident Steinmeier nahm an den Feierlichkeiten teil.

Tausende von Gedenkfeiern im ganzen Land, Sandzeichnungen auf Stränden rund um die Insel, eine Fackelinstallation am Tower of London – auf würdige und phantasievolle Weise haben die Briten am Sonntag ihrer Kriegstoten gedacht. Am 100. Jahrestag des Waffenstillstandes, der den Ersten Weltkrieg beendete, legte bei der zentralen Gedenkfeier am Kriegerdenkmal in London auch der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen Kranz nieder.

Anders als in Deutschland und Frankreich sind die Briten bei ihrem Kriegsgedenken in den vergangenen Jahren meist unter sich geblieben. Immerhin bezogen sie die Länder des früheren Empire mit ein, deren Soldaten in beiden Weltkriegen dem Mutterland zu Hilfe geeilt waren. So haben Australien und Neuseeland erst in jüngster Zeit in London eigene Denkmale für die Angehörigen der jeweiligen Streitkräfte errichtet.

„Geehrt von der gemeinsamen Erinnerung, dankbar für die Versöhnung, hoffnungsvoll für die Zukunft in Frieden und Freundschaft“, stand auf der Binde des Kranzes, den Steinmeier unmittelbar nach dem Thronfolger niederlegte. Die Freundschaftsgeste an den damaligen Kriegsgegner und heutigen EU-Verbündeten Deutschland wurde in London als ungewöhnlich gewertet. Queen Elizabeth II. beobachtete das Geschehen von einem Balkon des Foreign Office aus. Die 92-Jährige hatte schon im Vorjahr ihre Rolle als erste Kranzlegerin an ihren ältesten Sohn und Thronfolger abgegeben, der diese Woche 70 Jahre alt sein wird.

Während der aus dem deutschen Adelsgeschlecht Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg stammende Prinzgemahl Philip im vergangenen Jahr noch an der Seite seiner Gattin zu sehen war, fehlte der 97-Jährige diesmal sowohl auf dem Balkon wie abends beim Gedenkgottesdienst in der Westminster Abbey. Dort übernahmen Steinmeier (Erster Johannesbrief) und Prinz Charles (Johannesevangelium) die Bibellesungen.

Die Tradition des Totengedenkens hat auf der Insel an Intensität zugenommen

Trotz aller mehrheitlichen Ablehnung aktueller Kriegseinsätze hat die Tradition des Totengedenkens auf der Insel an Intensität zugenommen. Jeden November muss, wer auf sich hält, ein Poppy zur Schau tragen, eine der Mohnblumen aus Stoff oder Plastik, welche die blutgetränkten Schlachtfelder in Flandern und Nordfrankreich symbolisieren. Überdimensionale Blumen hängen an Bahnhöfen und Lastwagen, die Fußballmannschaften der Premier League tragen sie auf dem Trikot, Zeitungen fügen sie ihrer Titelseite hinzu. Kein Moderator, kaum ein Interview-Partner zeigt sich in der öffentlich-rechtlichen BBC ohne Mohnblume. Ob da nicht eine Art von „Poppy-Faschismus“ entstanden sei, wagte der Starmoderator des Minderheitenkanals Channel Four, Jon Snow, zu fragen. Der Mann wurde rasch zum Schweigen gebracht.

An der alten Königsburg, dem Tower of London, hatten vor vier Jahren 888 246 Keramik-Poppies eine eindrucksvolle Installation gebildet – eine für jeden Soldaten des britischen Empire, der im Ersten Weltkrieg ums Leben kam. Diesmal war der trockengelegte Burggraben gefüllt mit mehr als zehntausend Fackeln, die nach Einbruch der Dunkelheit entzündet wurden.

Eine besondere Geste der Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, der im Sprachgebrauch der Briten noch immer als „Great War“ und damit wichtiger als der Zweite Weltkrieg geführt wird, hatten sich in diesem Jahr der Filmemacher Danny Boyle und sein Team ausgedacht. An 28 Stränden von den schottischen Orkney-Inseln bis Folkestone an der Kanalküste zeichneten Künstler überlebensgroße Porträts von Kriegsopfern in den Sand. Als Symbol der Vergänglichkeit wurden die Kunstwerke, darunter eine Darstellung des berühmten Dichters Wilfred Owen (1893-1918), von der Flut hinweggeschwemmt.

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