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Der damalige Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß.

© dpa

100 Jahre Franz Josef Strauß: Die Anziehungskraft der autoritären alten Männer

Ein großes Publikum ist fasziniert von alten Männern wie Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß. Weil eine harte Streitkultur früher ausgeprägter war als heute. Ein Kommentar.

Schwer erträglich wirkt er heute, grob, aggressiv, autoritär – die Sorte alter Mann, deren ganze Art etwas Vulkanisches hat, immer kurz vor einem Ausbruch. Franz Josef Strauß, eine so feste wie beeindruckende Größe der Bundesrepublik, wirkt heute wie aus der Zeit gefallen.

YouTube holt den Mann, der vor 100 Jahren in München geboren wurde, in seiner ganzen Gestrigkeit in die Gegenwart, in bizarren Debattenrunden mit der grünen Größe Jutta Ditfurth kurz vor der Wahl 1987, in kühl-konfrontativen Interviews mit den Fernsehjournalisten Claus-Hinrich Casdorff und Rudolf Rohlinger – und Strauß und YouTube führen gemeinsam vor, wie sich die Politik in den vergangenen 20, 30 Jahren verändert hat. Von Strauß zu Merkel – von der Konfrontation zur Moderation.

Aber ganz so leicht sollte man es sich mit den Polit-Fossilen nicht machen. Etwas geht noch immer von ihnen aus. Man könnte das aktuelle Strauß-Gedenken als bayerische Polit-Folklore abtun (die das Bedeutungsgefälle von Strauß zu Seehofer ahnen lässt).

Aber da ist und bleibt, dass ein großes Publikum fasziniert ist von alten Männern à la Helmut Schmidt oder, bis vor Kurzem, Richard von Weizsäcker. Schmidt ist, Weizsäcker war eine Autorität. Autoritäten dürfen autoritär auftreten, frei von jeder Furcht, aus dem Konsens des politisch Korrekten auszuscheren. Wenn Schmidt sagt, ihm werde „schwarz vor Augen“, wenn er sich den Anteil der Europäer an der Weltbevölkerung im Jahr 2100 vorstelle, dann ist der selbstredend kein Rassist. Und als er im Streitgespräch mit Joschka Fischer 2013 eine EU- Mitgliedschaft der Türkei mit der Begründung ablehnte, dass „die Türken sehr zeugungsfreudig“ seien und dann „mit zig Millionen nach Mitteleuropa drängen“ würden – da durfte Schmidt das einfach sagen!

Autoritäre Männer

Strauß hätte, für ein paar späte Jahre, zur Autorität werden können, wäre er, sagen wir, alters-kulant geworden. Den Geist hatte er allemal. Er hat Bemerkungen gemacht, die man heute ins Internet meißeln möchte: „Der Kampf um die Sprache“, sagte er vor Jahrzehnten, sei „eine der wesentlichsten Voraussetzungen für die geistige Selbstbehauptung“. Das sind Worte eines Ideologen in einer ideologisch aufgeladenen Zeit: Studentenrevolte, deutsch-deutsche Annäherung, die Entwicklung der Grünen, der Streit um die Nachrüstung, immer wieder Vergangenheit. Strauß, Schmidt und auch Weizsäcker haben Position bezogen und Kontroversen ausgehalten.

Womöglich hat die Anziehungskraft der autoritären alten Männer mit den Kontroversen zu tun. In der Konsensrepublik sollen Kontroversen auf Talkshows beschränkt bleiben, die man, wenn es zu kontrovers war, aus der Mediathek nehmen kann. Kontroversen bedeuten, dass man für oder gegen etwas sein muss. Das setzt eine harte Streitkultur voraus – und die war in der alten Bundesrepublik ausgeprägter und breiter angelegt als heute. Ein Beispiel: Denkt heute in der Politik laut jemand darüber nach, dass die EU militärische Möglichkeiten gegen den IS haben könnte oder sollte? Besser nicht.

Man kann sagen: Gut, dass anstelle der Ideologien das Wegmoderieren der Gegensätze getreten ist. Schön, dass wir gelernt haben, nett, achtsam und korrekt miteinander umzugehen (jedenfalls in der politischen Arena unter Ausblendung der Umgangsformen im Netz). Aber wir haben keine Garantie, dass das so bleibt. Weil sie uns daran erinnern, wertschätzen wir autoritäre alte Männer.

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