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Vom FBI entlastet: Hillary Clinton am Sonntag Abend in New Hampshire.

© AFP

1 Tag bis zur US-Wahl: FBI-Chef entlastet Clinton - just in time und doch zu spät

FBI-Chef Comey bekräftigt: Es gibt keine Anklage gegen Hillary Clinton wegen ihrer E-Mail-Affäre. Doch Donald Trump hat die Untersuchung längst demagogisch ausgenutzt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Nun also wieder andersherum. Zehn Tage, nachdem FBI-Chef James Comey den Republikanern Munition gegen Hillary Clinton im Wahlkampf geliefert hatte, gibt er Entwarnung. Er habe die neu aufgetauchten E-Mails geprüft, mit denen er am Freitag vor einer Woche die Wiederaufnahme der Ermittlungen begründet hatte. Und nichts darin gefunden, was eine Anklage gegen Clinton rechtfertige. Es bleibe bei seiner Einschätzung vom Juni, gab Comey am späten Sonntagabend bekannt: keine strafrechtlichen Verfahren gegen Clinton, weil sie in ihrer Zeit als Außenministerin Dienst-E-Mails über einen privaten Server geleitet hatte.

Der Schaden ist längst eingetreten

Diese Klarstellung kommt gerade noch rechtzeitig vor dem Wahltag. Der FBI-Chef nimmt dem unter Demokraten kursierenden Vorwurf die Spitze, er sei nun mal Republikaner und habe seiner Partei indirekt Wahlkampfhilfe geleistet. Einerseits.

Andererseits ist der Schaden für Clinton längst eingetreten und nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Millionen Bürger haben in den zehn Tagen zwischen der Nachricht, dass gegen sie nun doch wieder ermittelt werde, und ihrer Entlastung am Sonntag ihre Wahlentscheidungen getroffen: ob sie von der Option des "Early Voting", der Stimmabgabe vor dem Wahltag, die Clinton zunächst einen Vorsprung gab, überhaupt noch Gebrauch machen. Und für wen sie stimmen. Oder ob sie wegen der Zweifel an Clinton zuhause bleiben.

Trump missbrauchte die Ermittlungen demagogisch

Donald Trump hat Comeys Vorlage bei seinen Auftritten auf eine unverantwortliche Weise missbraucht. In schlimmster demagogischer Manier behauptete er, nun sei klar, dass Clinton eine Verbrecherin sei. Sie werde im Gefängnis landen - und wenn Wähler die Verfassungskrise vermeiden wollten, die unweigerlich entstehe, wenn "eine Präsidentschaftskandidatin unter Anklage" die Wahl gewinne, sollten sie für ihn stimmen. Der hasserfüllte Ruf "Lock her up, lock her up!" (Sperrt sie weg!) wurde zu einem Standard-Baustein seiner Rallys.

Natürlich nimmt Trump nun, nachdem FBI-Chef Comey seine Behauptungen widerlegt hat, nichts zurück. Er entschuldigt sich auch nicht. Wenn es noch eines Belegs bedurft hätte, dass Trump charakterlich ungeeignet ist für das Weiße Haus, dann ist es nun offenkundig.

Ob die Rückkehr der E-Mail-Affäre in die Schlagzeilen tatsächlich eine entscheidende Wende im Wahlkampf war, werden die Umfrage-Experten erst mit zeitlichem Abstand herausfinden. Es wird dann keine Rolle mehr spielen. Der öffentliche Eindruck ist nun einmal so: An dem Wochenende, an dem das FBI die Ermittlungen neu aufnahm, begann Clintons Führung vor Trump zu sinken.

Einige fordern jetzt den Rücktritt des FBI-Chefs

Eigentlich hatte diese Dynamik schon früher eingesetzt, darauf haben Demoskopen mehrfach hingewiesen. Sie halten es für unwahrscheinlich, dass die E-Mail-Affäre noch Wählerwanderungen bewirkt, weil nahezu jeder Bürger sich längst eine Meinung pro oder contra Clinton gebildet hatte; das Thema ist schließlich seit zwei Jahren in den Schlagzeilen. Doch wie so oft in der Politik ist die Perzeption wichtiger als die Fakten.

Das könnte auch Comey noch zu spüren bekommen. Einige Medien stellen die Frage, ob der FBI-Chef nicht zurücktreten müsse - auch wenn er für zehn Jahre ernannt sei, und das von einem demokratischen Präsidenten, Barack Obama. Interessanterweise halten sich Clinton, Obama und viele führende Demokraten mit Kritik an Comey zurück. Sie verstehen, dass er in einer Zwickmühle war.

Comey war in einer Zwickmühle

Es war die Pflicht des FBI-Chefs, den Kongress zu informieren, dass sich die Sachlage in der Causa Clinton vor zehn Tagen geändert hatte. Denn der Kongress hatte einen Untersuchungsausschuss zur E-Mail-Affäre eingerichtet. Was auch immer er tat, musste zum Vorwurf führen, er sei parteiisch. Hätte er geschwiegen und es wäre heraus gekommen, hätten die Republikaner ihm Wahlbeeinflussung zu Clintons Gunsten vorgeworfen. Er informierte den Kongress über die neue Entwicklung; und interessierte Republikaner machten das in Windeseile öffentlich. Das führte zum Vorwurf, Comey beeinflusse den Wahlkampf zu Clintons Lasten.

Gut möglich, dass Comey nicht mehr lange FBI-Chef ist. Denn ein langfristig womöglich noch größerer Schaden ist ebenfalls eingetreten: der Zweifel vieler Bürger am Rechtsstaat. Und daran, ob zentrale öffentliche Behörden wie das FBI ihre Arbeit streng nach dem Diensteid erledigen: zum Nutzen des amerikanischen Volkes und unparteiisch.

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