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Manchmal muss man auch Schlange stehen, um Mitgestalten zu können.

© picture alliance/dpa

...und dann fällt der Wahlzettel in die Urne...: Wider die Pantoffelvariante des Mitentscheidens

Natürlich ist es gut, dass es Briefwahl gibt, aber im Wahllokal am Wahltag wählen ist besser. Was Demokratie mit Schlange stehen zu tun hat. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Gerd Appenzeller

Vorsicht, es folgt eine Warnung! Abgeraten wird Ihnen im folgenden Text, so Sie gesund und munter sind, von der Pantoffel-Variante einer Bürgerbeteiligung. Empfohlen wird hingegen, sich am Sonntag, 26. September, für einen kurzen Spaziergang aus dem Haus zu begeben und einige Minuten als Mitwirkender an einer Veranstaltung teilzunehmen.

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Nein, es geht nicht um einen Gottesdienst. Worüber Sie nachzudenken gebeten werden, ist dies: Beteiligen Sie sich an den Wahlen am 26. September. Gehen Sie wirklich wählen. Tun Sie das nicht Wochen vorher per Briefwahl, es sei denn, dafür gibt es gesundheitliche, terminliche oder sonstige gute Gründe. Für solche Fälle ist 1957 ja die Briefwahl eingeführt worden, damit jeder von dem Kernrecht der Demokratie Gebrauch machen kann.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Im Wohnzimmer zur Wahlurne - wie Briefwahl die Ergebnisse beeinflussen könnte.]

Briefwahl ist ein perfektes Instrument, das Wählen so einfach wie möglich zu machen. Aber dass der Begriff Demokratie keine leere Worthülse ist, begreift an Wahltagen besonders eindrücklich, wer sich auf den Weg zu seinem Wahllokal macht. Wer es tut, trifft Nachbarn, die dasselbe Ziel haben.

Im Wahllokal begegnen uns vielleicht, nein, sogar ziemlich sicher unter den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern Menschen, deren Gesichter wir schon mal gesehen haben. Viele derer, die im Wahllokal für die Organisation verantwortlich sind, stammen nämlich vermutlich aus der gleichen Gegend wie die zur Wahl Kommenden. In einem Wahllokal kann man auch eine demokratische Ur-Erfahrung machen: Demokratie gestalten bedeutet manchmal, Schlange zu stehen.

Ausfüllen, falten und einwerfen: So wählt man im Wahllokal - und tritt womöglich noch Nachbarn.
Ausfüllen, falten und einwerfen: So wählt man im Wahllokal - und tritt womöglich noch Nachbarn.

© Fredrik von Erichsen/dpa

Vielleicht finden Sie als Leserin oder Leser solche Ratschläge zur direkten Demokratieerfahrung überflüssig, weil Sie schon an vielen Wahlen teilgenommen haben. Aber fragen Sie doch einmal Ihre Enkel oder Ihre Kinder, ob das Gefühl des „Ich gehe heute das erste Mal wählen!“ nicht ein einschneidendes Erlebnis ist oder war. Und ob es nicht immer etwas Besonderes bleibt, weil es keine Handlung gibt, durch die jeder von uns so direkt wie beim Wählen spürt, dass wir es selbst im Wortsinn in der Hand haben, wie es mit diesem Land weiter geht.

Briefwähler retteten 2011 die CDU in Baden-Württenberg

Wenn Sie jetzt meinen: Das Gefühl habe ich aber auch, wenn ich vier Wochen vorher per Brief wähle, dann blicken Sie bitte einmal zurück. Am 27. März 2011 wurde der Landtag von Baden-Württemberg gewählt. Der amtierende Ministerpräsident Stefan Mappus war ein starker Befürworter der Kernenergie. Zwei Wochen vor der Wahl kam es nach einem Tsunami zur Nuklearkatastrophe von Fukushima.

Die CDU verlor bei der Wahl 5,15 Prozentpunkte der Stimmen, die Grünen gewannen 12,5 Prozentpunkte. Zwar war die CDU wegen mehrerer Gründe in der Kritik (Mappus vor allem wegen „Stuttgart 21“), aber man kann davon ausgehen, dass viele Briefwähler bei ihrer Entscheidung das Ereignis in Japan nicht berücksichtigen konnten. Die Briefwahlquote betrug 16,5 Prozent. Die CDU hat es also vermutlich den Briefwählern zu verdanken, dass sie nicht tiefer stürzte.

Ob in den kommenden vier Wochen noch etwas geschieht, was die Wahlentscheidung auf der Ebene des Bundes oder des Landes Berlin beeinflussen könnte, weiß niemand. Immerhin haben zwei der drei in den Umfragen führenden Parteien noch wenige Wochen vor der Wahl über einen Wechsel von Spitzenkandidaten nachgedacht.

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