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Bundeskanzlerin Angela Merkel interessierte sich besonders dafür, was der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim über den Fall Deniz Yücel zu sagen hatte.

©  Bernd von Jutrczenka/dpa

Deutschland und die Türkei: "Fall Yücel hat für uns besondere Dringlichkeit"

Die Türkei hofft auf eine Annäherung an Deutschland – aber die Inhaftierung des Journalisten Deniz Yücel steht dem entgegen. Das machte Kanzlerin Merkel bei ihrem Treffen mit dem türkischen Regierungschef Yildirim deutlich.

Die Gastgeberin kam ohne lange diplomatische Vorrede auf den Punkt: Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei seien „in schwierigem Fahrwasser“, sagte die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihrem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim am Donnerstag in Berlin. Und Merkel ließ keinen Zweifel daran, dass das aus Sicht der Bundesregierung vor allem am Fall des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel liegt, der seit mehr als einem Jahr ohne Anklage in türkischer Haft ist. „Ich habe zum wiederholten Mal darauf hingewiesen, dass dieser Fall eine besondere Dringlichkeit für uns hat“, sagte die Kanzlerin. Vor seiner Abreise nach Deutschland hatte Yildirim in einem ARD-Interview angekündigt, es werde im Fall Yücel „in kurzer Zeit eine Entwicklung geben“. Das hatte Hoffnungen auf eine baldige Freilassung des „Welt“-Korrespondenten geweckt.

Merkel war zuletzt im Februar 2017 in Ankara. Kurz nach der damaligen Visite der Kanzlerin hatten die Beziehungen zwischen beiden Staaten einen neuen Tiefpunkt erreicht. Yücel kam in Haft, und Präsident Recep Tayyip Erdogan warf den Deutschen „Nazi-Methoden“ vor. Seit einigen Monaten bemühen sich beide Seiten um eine Annäherung. Doch der Fall Yücel sowie der autokratische Kurs der türkischen Regierung behindern eine Normalisierung. Das Treffen von Merkel und Yildirim in Berlin war die erste Begegnung der Regierungschefs nach Merkels Reise in die Türkei und einem Treffen auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar vergangenen Jahres.

Merkel hebt Differenzen bei Werten hervor

Die Kanzlerin versprach ihrem Gast, die Kontakte mit ihm und auch mit Erdogan zu intensivieren. Doch das war auch schon die einzige Zusage, die Merkel machte. Sie betonte zwar die große Bedeutung der deutsch-türkischen Beziehungen, sagte aber, es gebe „durchaus Differenzen dabei, wie wir Werte sehen“.

In Berlin wiederholte Yildirim die Hoffnung, dass es im Fall Yücel „in kurzer Zeit“ zu einem Ergebnis kommen werde. Zugleich verwies er darauf, dass die Gerichte in der Türkei nach dem Putschversuch im Sommer 2016 viel zu tun hätten. „Wenn es zu einer Verhandlung kommt, kann sich eine Hoffnung ergeben.“ Solche „Einzelfälle“ sollten aber die deutsch-türkischen Beziehungen nicht beeinträchtigen, sagte der Ministerpräsident.

"Keine Verknüpfungen" von Rüstungsdeals mit dem Fall Yücel

Merkel schloss zugleich aus, dass die Bundesregierung der Türkei für eine Freilassung Yücels Rüstungsgeschäfte in Aussicht stellen könnte. „Sie können davon ausgehen, dass wir da keinerlei Verknüpfungen herstellen.“ Außenminister Sigmar Gabriel und sein Amtskollege Mevlüt Cavusoglu hatten im Januar in Goslar über ein Projekt zur Modernisierung von Panzern in der Türkei gesprochen. Nach der türkischen Offensive im Norden Syriens hatte die geschäftsführende Bundesregierung alle Rüstungsgeschäfte mit Ankara auf Eis gelegt, darüber soll die künftige Regierung entscheiden.

Ein Ausbau der Beziehungen zum wichtigsten Land in der EU wäre für die Türkei derzeit sehr wichtig. Das Verhältnis zu den USA ist wegen der Unterstützung Washingtons für die syrische Kurdenmiliz YPG zerrüttet. Der Konflikt in Syrien hat der Türkei außerdem gezeigt, dass Russland kein Verbündeter ist, auf den sie sich verlassen kann. Eine Rückkehr zu einem einigermaßen geordneten Verhältnis zu Deutschland wäre für die Türkei auch aus wirtschaftlichen Gründen von Bedeutung. Berlin hatte im vergangenen Jahr aus Protest gegen die Inhaftierung von Bundesbürgern durch Ankara Exportgarantien für Türkei-Geschäfte begrenzt.

Weg zur Freilassung Yücels noch unklar

Da Yildirim weiß, dass eine Entspannung ohne Freilassung Yücels unmöglich ist, ließ er Merkel über das ARD-Interview wissen, dass seine Regierung bereit ist, den Korrespondenten der „Welt“ gehen zu lassen. Der Weg zu einer Freilassung Yücels ist jedoch unklar. Bisher gibt es keine Anklageschrift. Sollte die Staatsanwaltschaft nun nach dem Wink von Yildirim eine Anklage einreichen, könnte das zuständige Gericht – im für Yücel günstigsten Fall – das Dokument zurückweisen und seine Freilassung anordnen. Wenn das Gericht die Klage annimmt, könnte Yücel ähnlich wie der Menschenrechtler Peter Steudtner zu Beginn des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt werden.

Für die Türkei wird es trotz der neuen Flexibilität im Fall Yücel schwierig, Merkel und andere europäische Politiker zu einem Kurswechsel in den Beziehungen zu bewegen. So stellte Merkel am Donnerstag erneut klar, dass es eine Ausweitung der EU-Zollunion mit der Türkei vorerst nicht geben wird. Eine neue Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag den türkischen EU-Beitrittsprozess einfrieren und Visafreiheit für Türken in Europa verhindern. Yücels Freilassung wird kaum genügen, um diese Entscheidungen wieder rückgängig zu machen.

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