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Morgendliches Müsli: Der letzte Moment, bevor der Tag einen überrollt.

© Stockfood

Plädoyer fürs Frühstück: Müsli & Muße

Frühstück bedeutet für viele: ein Pappbecher mit Latte in der U-Bahn. Unser Autor lehnt das radikal ab. Plädoyer für eine kulinarische Meditation – der Tag wird schon hektisch genug.

Alle Welt sucht nach einem Rezept für den Frieden. Dabei ist es ganz einfach: eine Schüssel Joghurt, schneeweiß und kalt. Eine Tasse Kaffee, pechschwarz und heiß. Zwei Scheiben Brot, getoastet – und 20 Minuten Ruhe im Bademantel. Ja, mein Frühstück ist mir heilig. Ein tägliches Ritual. Ein Moment der Ruhe, der Einkehr, bevor sich die Wohnungstür öffnet und der Tag mich wieder überrollt.

„Modern Life Is War“, hat sich eine amerikanische Rockband genannt, deren Musik genau danach klingt: lärmend, bedrohlich, brutal. Das moderne Leben ist Krieg. Wie auch nicht? Schon der Philosoph Theodor Adorno und seine Kollegen sahen ihren Alltag im frühen 20. Jahrhundert nur noch durch atonale Musik angemessen repräsentiert – und seitdem ist die Welt wahrlich nicht weniger komplex geworden: Aggressivität im Berufsverkehr, Konkurrenz im Job, Leistungsdruck in der Beziehung ... Kein Wunder, dass die Zahl der Burn-out-Patienten steigt und Wochenmagazine regelmäßig mit Titeln wie „Volkskrankheit Depression“ oder „Wer bestimmt unser Leben?“ aufmachen.

Selbst wenn es wenig Hoffnung gibt, dass sich dieser Zustand schnell ändert, so gibt es doch ein sicheres Mittel, diese unerwünschten Kollateralschäden der Moderne von sich fernzuhalten. Es existiert eine entmilitarisierte Zone – und die liegt auf dem Frühstückstisch.

13 Prozent frühstücken nie

Trotzdem setzen sich viele nicht mehr daran, auch wenn sich die wenigsten dabei auf die Kirchendoktrin aus dem Mittelalter berufen, laut der Frühstücken Völlerei und damit Todsünde war. „Brauch’ ich nicht“, heißt es heute schlicht. „Kein Hunger.“ Oder: „Keine Zeit.“ Einer aktuellen Forsa-Studie zufolge frühstückten im vergangenen Jahr zwar nur 13 Prozent der Deutschen nie (2007 waren es noch 17 Prozent). Aber die Zahlen täuschen. Frühstücken ist nicht gleich frühstücken.

Laut einer Untersuchung der Kaufmännischen Krankenkasse essen 36 Prozent ihre erste Mahlzeit nämlich nicht für sich oder im Kreise ihrer Liebsten, sondern nebenbei am Arbeitsplatz, schlingen im Bus oder hinter Lenkrädern geistesabwesend fettigen Blätterteig in sich hinein.

Ungesund ist das. Und auch ein gräußlicher Anblick. Bewusstsein? Sammeln? Ankommen? Lebensfreude? Danach sehen die Menschen nicht aus, die sich in der U-Bahn mit ihrem Porridge to go beschmieren. Fotografieren Sie dieses morgendliche Grauen mal mit ihrem Smartphone und halten Sie das Bild neben Claude Monets Gemälde „Das Frühstück“. Ein reich gedeckter Tisch, eine weiß gestärkte Decke, eine zufriedene Familie. Der Kontrast ist erschreckend.

Das Morgenmahl ist die letzte Bastion des Friedens vor der Hektik des Tages. Eine Möglichkeit, in Ruhe im Tag anzukommen und noch ein wenig der Nacht nachzuhängen. Ein paar Minuten Ruhe hinter einer Mauer gebaut aus warmem Brot und Haferflocken, einem Schutzwall verleimt mit Honig und selbst gekochter Marmelade. Auch ein Eierkuchen kann ein Schild sein. Solange sich noch dampfender Kaffee in der Tasse befindet, ist das Tagwerk fern. Solange noch knuspriger Toast auf dem Teller liegt, ist das Draußen weit weg. „Luxus pur und besser als jeder Wellnessurlaub“, schreibt die Bloggerin Virginia Horstmann in ihrem kürzlich erschienen Rezeptbuch „Frühstücksglück – 45 leckere Gründe, morgens aufzustehen“. Möhren-Scones sind einer davon, gebackene Eier in Avocado ein anderer.

Recht hat sie. Das Frühstück ist ein willentlicher Austritt aus jener „beschleunigten Gesellschaft“, wie sie der Publizist Peter Glotz in seinem gleichnamigen Buch einst mal nannte. Wer in aller Seelenruhe frühstückt, sagt: Ich esse, also funktioniere ich nicht. Gibt es eine genussvollere Form der Subversion? Futtern gegen den Fanatismus! Lachsbrötchen gegen den Leistungsdruck!

Warum frühstücken glücklich macht

Morgendliches Müsli: Der letzte Moment, bevor der Tag einen überrollt.
Morgendliches Müsli: Der letzte Moment, bevor der Tag einen überrollt.

© Stockfood

Allein deshalb sollte das Frühstück als wichtigste Mahlzeit des Tages gelten. Es dient dem Selbsterhalt – dem leiblichen wie dem geistigen! Unverständlich, wieso manch einer darauf verzichtet.

Grundsätzlich abzulehnen sind deshalb auch sämtliche Verbindungen von Arbeit und Frühstück, die unter dem Namen „business breakfast“ aus der angelsächsischen Welt zu uns herüberschwappen. „No business before breakfast“, wusste schon der König in einer Erzählung von William Makepeace Thackeray.

Auch der Brunch, jene Monstrosität aus Frühstück und Mittagessen, die einen erst stundenlang hungern lässt, um einen dann mit einem obszön anmutenden Überangebot an Verkochtem und Warmgehaltenem zu erschlagen, hat wenig mit der Insel des Glücks zu tun, die ein Frühstück sein kann. Die übervollen Räume, in denen traditionell gebruncht werden muss, rauben dem Frühstück jegliche Intimität. Morgens allein im Café frühstücken, bevor der Rest der Stadt sich gegen Mittag zum All-day-breakfast schleppt, das mag ja noch angehen, aber mittags umzingelt von Lärm?

Von Ritualen am Morgen

Es geht beim Essen schließlich nicht allein darum, sich mit Energie zu versorgen, wie die Ökotrophologin Gesa Schönberger in dem ebenfalls jüngst erschienenen Buch „So frühstückt die Welt“ erklärt, das Menschen und ihre Lieblingsrezepte vorstellt. „Mahlzeiten reduzieren Stress“, sagt sie und findet wenige Seiten später Zustimmung von der Doktorandin Dorothy Makaza aus Simbabwe, die der Geruch von geschmorter Ochsenbrust in ihre Kindheit zurückversetzt, oder der Modedesignerin Isabelle Tegtmeyer, die das Zubereiten von süßen Franzbrötchen gar als meditatives Ritual beschreibt.

Gut, das mit den Ritualen am Morgen muss man auch nicht übertreiben wie der Musiker Moby, der mal sagte, er frühstücke seit Jahr und Tag ausnahmslos Müsli und Orangensaft. Oder der Regisseur Wim Wenders, dessen Frau kürzlich verriet, dass ihr Mann, wenn er Eier kocht, sogar die jeweilige Höhe über dem Meeresspiegel berücksichtige, um einen optimalen Garpunkt zu garantieren.

Machen glücklich: weißer, kalter Joghurt und schwarzer, heißer Kaffee.
Machen glücklich: weißer, kalter Joghurt und schwarzer, heißer Kaffee.

© baibaz - Fotolia

Aber von mir aus, jeder wie er will. Das Frühstück bietet eine solche Fülle an Möglichkeiten und Varianten wie kaum eine andere Mahlzeit. Von Eiern bis Suppe, von Brot bis Fisch gibt es eigentlich nichts, was sich nicht zum Verzehr im Morgengrauen eignet. Sämtliche Geschmäcker und Aggregatszustände passen: süß oder salzig, flüssig oder knusprig. Egal, ob Brötchen oder Birchermüsli, israelisches Chachuka – eine Mischung aus Eiern, Tomaten und Paprika –, türkische Oliven oder koreanische Reissuppe, Hauptsache, man findet etwas, zu dem man zurückkehren kann. Etwas, das einen am Morgen begrüßt.

Weniger Gewichtsprobleme

So beginnt jeder Tag mit einer Verheißung. Vielleicht würde ich nicht so weit gehen wie der amerikanische Autor John Gunther, der sagte „all happiness depends on breakfast“, aber ich behaupte jetzt einfach mal: Wer frühstückt, ist ein glücklicherer Mensch!

Und was ist mit der Gesundheit? Was das angeht, kann man den Verweigerern nichts mehr vorhalten. Lange wurde von Ernährungswissenschaftlern gepredigt, wer frühstücke, habe weniger Gewichtsprobleme. Heute weiß man, dass das Quatsch ist. Mehrere Studien ergaben, dass letztendlich nur zähle, wie viele Kalorien man über den Tag verteilt zu sich nimmt. Allerdings berichtet das Europäische Informationszentrum für Lebensmittel auch, dass die Schulleistung von Kindern, die frühstücken, deutlich über der von jenen liegt, die morgens nicht essen. Mal ganz davon abgesehen, dass ihnen ein regelmäßiges Frühstück ein Stück Sicherheit bedeutet, was für die geistige Entwicklung auch nicht zu unterschätzen ist. Meine Tochter jedenfalls weckt mich regelmäßig mit einem freudigen „Papa! Frühstück!“ und mampft dann selig ihre Blaubeeren mit Quark.

Schlaf ist nichts anderes als eine kurze Fastenzeit

Wer frühstückt, kann nicht verlieren, wohl aber gewinnen und ist besser vorbereitet auf das, was ihn auf der anderen Seite der Demarkationslinie erwartet.

Und Essen muss der Mensch ja. Irgendwann am Morgen sind unsere Energiespeicher leer – denn was ist der Schlaf anderes als eine kurze Fastenzeit? Die französischen und englischen Begriffe verraten das noch: „petit dejeuner“, das „kleine ent-fasten“ oder breakfast von „to break fast“, also fastenbrechen. Warum sollte man sich der Chance berauben, diesen Akt selbstbestimmt zu genießen? Warum sollte man überhastet und unvorbereitet ins Chaos des Alltags springen? Der Tag wird anstrengend genug.

Wen das nicht überzeugt, der hört vielleicht auf die Bibel. Schon dort wurde dem Propheten Elia Folgendes geraten: „Steh auf und iss, denn du hast einen großen Weg vor dir.“

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