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Einzelkämpfer. Im Berliner Abgeordnetenhaus ist Marcel Luthe für seine Attacken bekannt.

© Imago/Joko

Personalstreit bei Berliner Liberalen: Wie der Rauswurf von Marcel Luthe Berlins FDP schaden kann

Marcel Luthe war das wichtigste Gesicht der Berliner FDP – bis ihn die Kollegen aus der Fraktion warfen. Der Streit könnte ein altes Trauma wachrufen.

Man kann dem FDP-Abgeordneten Marcel Luthe vieles nachsagen. Aber mit einem Besenstiel hat er nichts gemein – auch wenn ihn vieler seiner ehemaligen Kollegen nun damit vergleichen. In der Sprache der Parteipolitiker bedeutet „Besenstiel“: Ganz gleich, wer in diesem Wahlkreis antritt: Er oder sie holt das Mandat für uns. Weil wir da einfach genug Wähler haben.

Marcel Luthe, der Mann, der vor drei Wochen aus der FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses ausgeschlossen worden ist, holte 2016 im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf 5, der die bürgerlichen Gegenden Halensee, Grunewald und Schmargendorf umfasst, 13,9 Prozent der Stimmen. Kein Bewerber der Berliner FDP war bei dieser Wahl erfolgreicher. Der jüngsten Infratest-Umfrage zufolge steht die FDP aktuell deutlich schlechter da, bei etwa fünf Prozent.

Und jetzt soll Luthe durch einen Besenstiel zu ersetzen sein, zumindest fällt diese Floskel im Gespräch mit Berliner Liberalen häufig. In der FDP geht es in diesen Tagen darum, dem Mann und dem Hinauswurf die Bedeutung zu nehmen.

Der Fall Luthe ist heikel – für die Fraktion und für die Partei. Luthe dürfte der bekannteste FDP-Mann in Berlin sein. Es ist noch offen, wie der Streit zwischen ihm und der Fraktion rechtlich ausgeht. Personalstreitigkeiten haben in der Berliner FDP aber die Tendenz zum Ausufern. Die Jahre von 2001 bis 2011 waren geprägt von Dauerstreit zwischen wichtigen Leuten. Das endete mit dem Desaster-Wahlergebnis von 2011 – 1,8 Prozent. 2016 schafften es die Liberalen wieder ins Berliner Landesparlament, vor allem dank der von Luthe miterfundenen Kampagne für den Flughafen Tegel.

Gut möglich, dass der Krach mit Luthe den Beginn neuer Streitereien markiert – und damit auch die Chancen der Partei bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im kommenden Jahr gefährdet.

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Marcel Luthe hat in der Berliner Politik und im sonst eher faden Abgeordnetenhaus einen kometenhaften Aufstieg geschafft. Er war innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion – ein Amt, aus dem man in der Landespolitik viel machen kann. Luthe machte.

An einem Nachmittag im Juli sitzt FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja in einem schwarzen Ledersessel im Besprechungsraum der Berliner FDP-Abgeordneten. Czaja trägt zum Anzug ein blütenweißes Hemd ohne Krawatte, nippt am Kaffee und lächelt freundlich. Im Abgeordnetenhaus hat sich die Sommerpause ausgebreitet, kaum jemand ist auf den Fluren unterwegs. Ein paar Tage zuvor, praktisch in die beginnende Pause hinein, hat Czaja in einem dramatischen, kurzen Video den Hinauswurf Luthes aus der Fraktion bekannt gegeben. Im Video steht er im Vordergrund, die Kollegen Abgeordneten jeweils paarweise hinter ihm gestaffelt.

Sebastian Czaja erklärt mit ernstem Ausdruck und knappen Worten den Ausschluss Luthes, das Video ist kaum eine Minute lang. Man habe „so entschieden, weil eine weitere Zusammenarbeit wegen des zerrütteten Vertrauensverhältnisses für uns nicht möglich ist. Die Zerrüttung entspringt einem langen Prozess“, sagt Czaja. Einen Anlass nennt Czaja nicht. Auch Luthe schweigt dazu. Geraunt wird von einem persönlichen Streit.

Was den Krach um Luthe anbelangt, bleibt Czaja bei seiner Linie: Es sei alles gesagt. In der anderen Hälfte des Raums, in dem Czaja zum Kaffee geladen hat, stehen noch immer zwölf Sessel um den langen Konferenztisch. Dabei zählt die Fraktion jetzt bloß noch elf Abgeordnete, den Chef eingeschlossen.

In Luthe verliert die FDP in Berlin aber nicht irgendeinen Abgeordneten, sondern einen Politiker mit Sinn für Themen, mit Lust an der Auseinandersetzung und öffentlichkeitswirksamer Provokation.

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Für ein Gespräch hat Luthe ein Treffen im jüdischen Restaurant „Feinberg’s“ in der Fuggerstraße vorgeschlagen. Unter der Markise sitzt er, wie immer elegant gekleidet, blauer Anzug, hellblau-weiß gestreiftes Hemd mit Manschettenknöpfen, grau gemusterte Krawatte, blaues Einstecktuch, Wildlederslipper. Das Feinberg’s stellt sich im Internet als „ein kleines Stück Israel in Berlin“ vor. Schon das ist für gewisse Leute eine Provokation, wie Restaurantbetreiber Yorai Feinberg öfter mal beklagt hat.

Der FDP-Politiker, Jahrgang 1977, hat politisch bei den Jungen Liberalen in Essen angefangen, wo er Wirtschaftswissenschaften studiert hat. Sein erstes Geld, so erzählte er in einem Interview, habe er mit einem Bratwurststand verdient. Den habe ihm sein Vater finanziert – als Alternative zu Geld für ein Auto. Nach Jahren als Geschäftsführer und Unternehmer kandidierte er 2016 für die Berliner FDP.

Er sagt: "Willkür. Nichts ärgert mich mehr."

Luthe wirkt im Gespräch aufgeräumt, gut gelaunt, voller Esprit, wenn er über den Liberalismus, die Parteipolitik, die Arbeit im Abgeordnetenhaus spricht. Niedergedrückt? Politisch vereinsamt? Im Gegenteil – der Mann hat noch viel vor. Auf die Frage, was ihn politisch am stärksten antreibe und bewege, wird Marcel Luthe grundsätzlich: „Willkür. Nichts ärgert mich mehr.“

Auch im Umgang mit dem Antisemitismus in Berlin hat Luthe einen klaren Standpunkt. Im April 2018 stritt er in einer Debatte des Abgeordnetenhauses über Antisemitismus gegen die „Gleichsetzung von Angriffen auf Juden mit irgendwelchen anderen Angriffen auf Menschen in Deutschland“ und, vor allem, gegen das „In-einen-Topf-Schmeißen von Verbrechen gegen die Juden mit irgendetwas anderem“. Luthe hatte erreichen wollen, dass sich die Resolution ausschließlich gegen Angriffe auf Juden richtete, etwa weil sie eine Kippa trugen. Im Text der Resolution war dann aber auch von „Kreuz“ und „Kopftuch“ die Rede.

Er kann immer noch wütend werden

Die vehemente Einlassung ist nur im Zusammenhang mit der Entstehung der Resolution zu verstehen. Eine Woche zuvor war ein Kippa tragender junger Israeli in Prenzlauer Berg angegriffen worden – ein junger Mann aus Syrien schlug mit einem Gürtel auf ihn ein.

Luthe wird immer noch wütend, wenn er auf die Debatte kommt, in deren Folge er sein Amt als religionspolitischer Sprecher der FDP niederlegte. Er sei zurückgetreten, „weil meine Überzeugung zur Unvergleichbarkeit von Verbrechen an Juden in Deutschland nicht mehrheitlich geteilt wurde“ – auch in der FDP nicht.

Sebastian Czaja will nicht mehr über den Fall Luthe sprechen.
Sebastian Czaja will nicht mehr über den Fall Luthe sprechen.

© Britta Pedersen/dpa

Fraktionschef Czaja geht im Gespräch über Luthes Bedeutung für das Profil der Liberalen hinweg. Er spricht lieber über „rot-rot-grüne Experimente“ und kündigt an, dass auch Tegel weiter ein Thema bleiben werde, die Stadt werde den Flughafen „noch sehr lange brauchen“.

Wie und durch wen die Fraktion ihr bekannteste Gesicht ersetzen will, sagt Czaja nicht. So kämpferisch wie Luthe wirkt sonst kein Liberaler. Luthe hat in den Jahren seit 2016 rund 2300 Kleine Anfragen, viele davon zur Sicherheit in der Stadt, an die Verwaltung gerichtet. Und Luthe will ja weitermachen mit seiner Arbeit – und seiner Art; er will in eine Reihe von Ausschüssen – als Fraktionsloser.

Die Kollegen anderer Parteien schätzen Luthe

So eifrig ist sonst allenfalls der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber, der seit vielen Jahren Sicherheitsthemen ohne politische Rücksicht recherchiert und vor arabischen Clans so wenig Furcht hat wie vor den Krawallmachern und Links-Brutalos aus der Rigaer Straße in Friedrichshain.

Schreiber schätzt Luthe. Das „Stöhnen der Verwaltung“ über Luthes Dauerfragerei meint der SPD-Mann und Parteifreund des Innensenators eher als Kompliment. Durch seine „pointierte Art und Weise, zu diskutieren – und zu überziehen“, habe Luthe in der Sicherheits- und Innenpolitik dem CDU-Fraktionschef und innenpolitischen Sprecher Burkard Dregger „die Butter vom Brot genommen“, sagt Schreiber. Ähnlich sieht es der grüne Innenpolitiker Benedikt Lux: Luthe habe „starke Talente – aber er kann damit auch verletzen“.

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Luthe droht der Verwaltung schon mal mit einer Klage vor dem Verfassungsgericht für den Fall, dass seine Fragen nicht umfassend beantwortet würden. Er fragt nach Krankenständen in den Polizeidirektionen und schließt: Wo weniger Polizisten im Dienst sind, ist die Sicherheitslage problematischer. Er fragt, wo noch Weltkriegsbomben zu vermuten seien.

Er fragt aber auch, wie die Polizei „kriminelles Clanmitglied“ definiere. Davon war in einer Mitteilung der Polizei die Rede gewesen, als Polizei und Mitarbeiter des Neuköllner Bezirksamts mal wieder mit Durchsuchungen und Kontrollen Druck auf kriminelle arabische Großfamilienangehörige auszuüben versuchten. Die Antwort der Innenverwaltung auf Luthes Frage: Es gebe „Zuordnungskriterien“, aber keine Definition. Luthe nannte das „Willkür“.

Ein Freigeist, kein Parteisoldat

Auftritte wie dieser haben ihn bekannt gemacht – und sein Profil verschärft. Partei- und Fraktionsfreunde macht man sich so nicht. Er sei halt „kein Teamplayer“, hört man oft über ihn, in und außerhalb der FDP. Das stört ihn nicht. Luthe ist ein Freigeist, kein Parteisoldat.

Dabei scheut er sich nicht, große Teile des Abgeordnetenhauses gegen sich aufzubringen. In einer Debatte zum „Neutralitätsgebot“ und die Zulässigkeit religiöser Symbole an Berliner Schulen hatte Luthe im Februar 2017 das Kopftuch mit der Swastika verglichen. Das Kopftuch, sagte Luthe, sei ein religiöses und ein politisches Symbol. Deshalb solle es an Schulen nicht zu sehen sein.

Luthe sagte in der turbulenten Debatte: Um die Schwierigkeit der Abgrenzung religiöser und politischer Symbole „deutlich zu machen, nehmen wir den Hinduismus. Die Swastika, das hinduistische Glückssymbol, das Hakenkreuz, ist in Deutschland konsequent verboten und nur in liturgischem Zusammenhang gestattet. Ich wüsste nicht, warum für ein anderes Symbol, das religiös sein soll, etwas anderes gelten soll“.

"Er ist nicht so diszipliniert, wie die anderen erwarten"

Als „Luthes Hakenkreuz-Vergleich“ machte die These Karriere in den sogenannten sozialen Medien. Bei solchen Gelegenheiten zeigt Luthe Züge eines Einzelkämpfers. Der ehemalige FDP-Abgeordnete und Politikprofessor Jürgen Dittberner, ein Kenner der Partei, umschreibt es so: Luthe habe sein Amt eben „individuell wahrgenommen“ und sei „nicht so diszipliniert, wie die anderen erwarten“.

Die Kampagne für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel brachte der FDP viel Aufmerksamkeit.
Die Kampagne für den Weiterbetrieb des Flughafens Tegel brachte der FDP viel Aufmerksamkeit.

© Paul Zinken/dpa

Luthes Politikverständnis erinnert in vielem an Martin Lindner. Der hatte die FDP-Fraktion von 2002 bis 2009 geführt, hatte einen Wahlsieg als Spitzenkandidat geholt und 2009 ein Mandat für den Bundestag. Als Fraktionschef fiel Lindner mehrfach durch umstrittene Vergleiche auf und durch mangelnde Rücksicht auf die Interessen der eigenen Partei – etwa als er für die Berliner Verwaltung, gestützt auf ein Gutachten, die Abschaffung der Bezirke forderte.

Luthes Rauswurf könnte nun ein altes Trauma wachrufen. Landeschef Christoph Meyer und Fraktionschef Sebastian Czaja dürften nicht nur gute Erinnerungen mit Lindner und den besonders turbulenten Jahren der Berliner FDP verbinden. Womöglich bilden diese den Hintergrund für den Umgang mit Luthe.

Sie wissen, wohin Egoismus führen kann

Es sind Erinnerungen an eine FDP, die in Berlin weniger durch konstruktive – auch hart oppositionelle – Arbeit auffiel als durch fast permanente Streitereien zwischen herausragenden Figuren. Durch Beschäftigung mit sich selbst. Durch dauerndes Gezerre um Führung und Geschlossenheit.

Christoph Meyer als Landeschef und andere Mitstreiter konnten die streitlustigen Liberalen beruhigen. Meyer und Czaja hatten an Martin Lindner und seiner Außenwirkung studieren können, wie fatal es wirken kann, wenn einer aus der Politik ein Ego-Veranstaltung macht und von anderen bloß Schweigen, Zustimmung und Loyalität erwartet.

„Politik ist Teamwork“, lautet eine der Parolen auf Meyers Internetseite. Gut möglich, dass Sebastian Czaja, Meyer und andere es als gefährlich empfanden, als Marcel Luthe zum interessantesten FDP-Mann im Abgeordnetenhaus wurde. Gut möglich auch, dass besonders Czaja in ihm einen möglichen Konkurrenten erahnte.

Frustration bei den Kollegen

Wer in die Partei hineinlauscht, hört indes nicht nur Gutes über Czajas Personalmanagement, das ganz sicher eng mit Meyer abgestimmt war. Lars Lindemann, ein schwerer Mann mit schimmernder Glatze, blauer Anzug, weißes Hemd ohne Krawatte, Zigarillo in der Hand, ist ein weiterer genauer Kenner seiner Partei und ihrer, wenn man so sagen kann, Kollektiv-Psyche.

Lindemann war Schatzmeister, saß im Bundestag, ist wie Meyer und Luthe in der FDP Charlottenburg-Wilmersdorf organisiert und jetzt Generalsekretär der Berliner FDP. Er lächelt, während er abwägt: Gewiss sei Luthe „ein Aktivposten“ für die FDP. Dass er „immer den eigenen Benefit“ im Blick gehabt habe, habe bei vielen Kollegen zu „Frustration“ geführt.

Die hätten den Hinauswurf „richtig“ gefunden. Aber, sagt Lindemann dann, man müsse mit „solchen Leuten“ wie Luthe „frühzeitig reden. Es ist ein Verlust. So was darf und sollte eigentlich nicht passieren“.

Marcel Luthe sieht sich weiter im Kampfmodus, jetzt eben ohne Fraktion und noch mehr als Einzelkämpfer. „Ich bin ja nicht wegen der FDP, sondern wegen der Wähler im Parlament“, sagt er.

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