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Der Wettangler Uwe Müller bei der Arbeit.

© Florian Melzer

Gesellschaft: Der Kampf um den Fisch

Die Fischer stehen stundenlang im vier Grad kalten Wasser, bis es ihnen in die Hose schwappt. Der Lohn: Die Meerforlle. Manchmal jedenfalls.

Es ist kalt, es ist windig, es ist nass. Uwe Müller steht in seiner Wathose im brusttiefen Wasser vor Wittow und lässt den Haken fliegen. Immer wieder: Auswerfen, einrollen, auswerfen, einrollen. Rechts und links von ihm zischen Sehnen, daran blinkende Köder. Ein gutes Dutzend Unverfrorener, die gleich ihm Wind und Wetter trotzen und nur auf eines aus sind, besser, auf eine: Salmo trutta trutta - die Meerforelle. Einige stehen nah am Ufer, andere wagen sich so weit hinaus, dass ihnen die Wellen in die Hosen schwappen. Verteilt über die Strände der Insel stehen weitere Angler, mit triefenden Nasen, die steifen Hände um Ruten und Rollen gefasst. Ein paar unter ihnen sind hunderte Kilometer angereist. Dies heute ist ihr großer Tag, und es gibt ihn nur einmal im Jahr: Das „Rügener Meerforellentreffen“, das siebte mittlerweile.

Uwe Müller hat es schon mal gewonnen. Damals, im März, hatte er nach Stunden im Wasser seine 71 Zentimeter „pures Silber“ herausgezogen, knapp vier Kilogramm zappelndes Anglerglück. Ein Urlaub in Schweden war der Preis, er verbrachte ihn die meiste Zeit mit einer Angel in der Hand an einem Waldsee. Auf dem Startbildschirm seines Handys prangt das Bild des Siegerfisches. Ob er ein Bild seiner Freundin Jana im Speicher hat, weiß Uwe Müller nicht. Immerhin durfte sie mit nach Schweden. Er widerspricht nicht, wenn man ihn „angelverrückt“ nennt.

Natürlich will er seine „Glückszahlen“ in diesem Jahr toppen. Schon seit Wochen, sagt die Freundin, stand er darum am Fenster und sah in den Himmel. Auf seinem Computer checkte er mehrmals am Tag die Wetterprognosen, er prüfte Wassertemperaturen, Strömungen, Wolkenfelder. Nicht nur die Daten dieses Jahres, auch die vom letzten und vom vorletzten und vom vorvorletzten Jahr. Müller hat seine Stellen auf Rügen, stimmen die Daten, stellt er sich an die vielversprechendste. Doch es sieht nicht gut aus. Auch nicht hier auf der Halbinsel Wittow im Norden von Rügen, wo er einst seinen kapitalen Fang machte. Seit Tagen drückt der Ostwind auf die See, er wirbelt das Wasser im Uferbereich auf . „Was ne trübe Suppe“, murmelt Müller. „Da zieht sich der Fisch weit zurück, er liebt es klar und warm.“ An den Steinen und Buhnen nahe des Strandes, im Bewuchs der Uferzonen, dort haben sie ihren gedeckten Tisch: kleine Krebse, Garnelen, Tangläufer, Borstenwürmer. Dann kommen sie ganz dicht, manchmal kann man sie sogar sehen, zum Greifen nah. Aber wie gesagt - heute sieht es trübe aus.

Mit Schmackes schmeißt Müller den Köder aus. Die Forelle, heißt es, fängt man mit den ersten zehn Würfen oder erst nach dem tausendsten Wurf. Uwe Müller schnieft. An die hundert stecken ihm heute sicher schon in den Armen.

Ringsum scheint es nicht besser zu laufen. Noch ist kein Fang vermeldet. „Wahrscheinlich ist es auch zu kalt“, sagt Müller. Vier Grad hatte der Wetterdienst für den heutigen Vormittag gemessen, ein halbes Grad mehr, meint Müller, und die Sache sähe schon anders aus. Dann könnte man sehen, wie die Forellen „Küsten-Samba“ tanzen: Wie sie aus dem Wasser schnellen, wie sie Saltos und Loopings machen und die wildesten Sprünge vollführen - und wie sie am Ende doch nicht ihrem Schicksal entgehen würden, nämlich in Müllers Käscher zu landen.

Den Käscher hat Müller selbst gemacht. Dazu hat er Kiefernäste zu Leisten geschnitten, sie in Wasser gelegt, vorsichtig zum Ring gebogen und ein Netz drangeknüpft. In einem Plasttikkästchen liegen seine Köder. Selbst gemachte Tauflöhe, Wasserasseln, Fliegen. Stunden, Tage hat er an ihnen gebastelt. Jetzt sind es filigrane Wundertierchen. „Es gibt nichts Schöneres, als wenn ein Fisch auf den eigenen Köder geht“, sagt Uwe Müller. Auch bei seinem letztjährigen Triumph war eine Eigenkreation am Werk, allerdings hatte ihn ein Nachbar gemacht. Er hatte sich spezielle Bleche kommen lassen, aus Japan; er hat sie mit Blei belegt und eine Folie drumgewickelt. Jetzt sind es Fischchen.

Ein halbes Grad mehr, und die Forellen würden Loopings und Saltos springen.
Ein halbes Grad mehr, und die Forellen würden Loopings und Saltos springen.

© Florian Melzer

In den einschlägigen Foren diskutieren sie über „möreslida 18g Kupfer“, über „Stripper“ und „Hansen Flash in gelb-schwarz“ und darüber, dass wohl wieder das Weihnachtsgeld für die Vollausstattung mit derartigen „Superkillern“ draufgehen wird. Andere schwören auf Natur, auf Mistwürmer, Lachseier oder Bienenmaden. Uwe Müller hat auf seinem Hof Enten und Hühner, die einen ansehnlichen Komposthaufen bewirtschaften. Nichts, sagt er, geht über einen fetten Regenwurm. Den allerdings nimmt er gar nicht. Es wäre zu leicht. Müller liebt die Herausforderung, das Unwägbare. „Dorsch“, sagt er, „ist Küchenfisch. Meeresforelle ist Kampf.“ Seine erste Begegnung mit ihnen hatte er in seiner früheren Heimat bei Eckernförde. Er suchte Wattwürmer, als ein langer schwarzer Schatten durchs Wasser schoss. Eine Robbe? Ein verirrtes Torpedo? Natürlich war es eine Meerforelle, wie er später herausfand. Bis dahin sei er nur eine Art Sonntagsangler gewesen, ab jenem Moment im Watt aber wurde es Leidenschaft.

Seither hat er ein Vermögen für die ordentliche Ausrüstung ausgegeben. Sein alter VW-Transporter ist ein kleiner Angelladen, ohne Rute fährt er nicht los. Er ist kein Anhänger der „Heavy-Metal-Fraktion“, die mit 500-Gramm-Pilkern und steifen Stöcken, „Besenstielen“, unterwegs sind. Er bevorzugt dünne, aber kraftvolle Spinruten mit robusten Rollen dran und „Hochleistungsschnüren“, welche dem Köder „das attraktivste Spiel“ verleihen. Doch heute nützt ihm das alles gar nichts.

Denn kein Fisch geht ran, nirgendwo. „Schneidertag“ nennen sie das. Am Abend sitzen die Wettangler in Glowe zusammen, nur zwei haben eine mickrige Meerforelle gefangen. So ist das mit dem Fisch, er ist nicht ausrechenbar. Manchmal scheinen die Bedingungen perfekt, der Wind drückt Wasser ans Ufer, mit ihm Sauerstoff und Wärme, Sonne und eine Unterströmung vom Meer heizen zusätzlich an, und doch passiert nichts. Oder nur nebenan, wo der Nachbar im Akkord fängt, während man selbst nur Schlick am Haken hat.

Was, fragt einer in der Runde, der die gut 500 Kilometer von Münster hochgefahren ist, was ist also schön daran, fast jedes Wochenende mit Rotznase im Meer zu stehen, von früh bis spät „den Blinker zu peitschen“, um schließlich mit Glück eine Forelle herauszuziehen? Die anderen haben keine Antwort. Doch die Meldeliste für das nächstjährige Meerforellentreffen ist längst voll.

Auch Uwe Müller wird wieder dabei sein. Er ist mittlerweile aus dem Westen auf die Insel gezogen. Der Liebe zu Jana wegen, sagt er. Dass diese Liebe just am besten Meerforellenrevier der Republik wohnt - Zufall. Maik Brandenburg

Maik Brandenburg

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