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Die Leitung, die hier verlegt werden soll, dient dem Bau eines Flüssiggas-Terminals im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel.

© Herrmann/ www.haseldorfer-marsch.de

Norddeutsche Bauern kämpfen gegen Pipeline: „Ich betreibe keinen Biohof, um amerikanisches Fracking-Gas hindurchzuleiten“

Der Import von Flüssiggas aus den USA ist ein Milliardenprojekt. Im kleinen Moorrege nördlich der Elbe trifft es auf selbstbewusste Landwirte.

Henning Kleinworts Land hat Begehrlichkeiten geweckt. Und nun ist es Teil eines ganz großen Geschäfts, eines Deals zwischen Berlin und Washington. Mit schwarzen Stiefeln, braun vom Dreck, blauer Jeans und schwarzer Jacke, schreitet Kleinwort über die dunkle, von Gras begrünte Erde seines Ackers. Es ist guter, fruchtbarer Marschboden, der nahen Elbe vor Jahrhunderten abgetrotzt, schwer und tonhaltig. Einer, den man sich als Bauer nur wünschen kann. Doch nicht an der Beschaffenheit des Bodens liegt das fremde Interesse. Es ist seine Lage.

Kleinwort wehrt sich. „Wenn die den Boden zerhacken, wächst hier nichts mehr. Das zerstört Humusschichten, Wasserläufe und Drainagen“, sagt er.

Kleinwort ist 56 Jahre alt, groß gewachsen, trägt kurze gräulich-schwarze Haare und einen kurzen Bart. Genau hier, in der Haseldorfer Marsch, wo Kleinwort mit großen Schritten über das nasse Gras läuft, soll eine Gasleitung verlegt werden, 80 Zentimeter im Durchmesser, ein bis zwei Meter tief, die unter Hochdruck Erdgas von Brunsbüttel nach Hetlingen führt.

Techniker einer Gasfirma standen vor Wochen auf Kleinworts Land, bohrten zur Probe 25 Meter tief, wie er erzählt, um mit der Leitung später ebenso tief die Pinnau zu queren, ein Flüsschen, das an sein Land grenzt. Verärgert blickt er zu der sandigen Stelle, wo ein Spezialbohrer sich in den Acker grub.

Gegen die Probebohrung konnte er nichts tun. Doch die Leitung will er verhindern. „Das sind sensible Bodenstrukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind. Da kann man nicht einfach reinhacken. Das zerstört das Land“, sagt er. „Brauchen wir das? Müssen wir uns von den Amerikanern wirklich alles diktieren lassen?“

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Vor ein paar Jahren war das mehrere Hektar große Feld noch ein gewöhnlicher Acker im dünn besiedelten Land zwischen Hamburg und Brunsbüttel. Nun verläuft mitten durch Kleinworts Land eine Schneise der Geopolitik, über den Furchen steht die Frage, wie Deutschland zu seinen Partnern steht, zu Russland, aber auch einem so wichtigen Alliierten wie den USA.

Die Leitung, die hier verlegt werden soll, ist Teil des Projekts zum Bau eines Flüssiggas-Terminals in Brunsbüttel, gebaut und später betrieben von der German LNG in den kommenden Wochen will das Konsortium in das Genehmigungsverfahren einsteigen. Der Hafen ist wohl ein Baustein in diesem großen Geschäft. Mit ihm soll massenhaft Erdgas aus den USA importiert werden.

Das Gas wird für den Transport auf minus 160 Grad Celsius gekühlt, verflüssigt in riesigen Tankern über den Atlantik gebracht, um schließlich in Brunsbüttel wieder zu Gas zu werden. Ein Kraftakt, ein Großprojekt. Und Teil eines Milliardengeschäfts.

In Moorrege, einer Gemeinde mit 4000 Einwohnern wenige Kilometer nördlich der Elbe, trifft es auf unberührtes Land – und einen selbstbewussten Landwirt.

Landwirt Henning Kleinworth hält das komplette Bauvorhaben für unnötig.
Landwirt Henning Kleinworth hält das komplette Bauvorhaben für unnötig.

© Matthias Jauch

Kleinwort lehnt mit dem Rücken an einer Mauer seines Hofes, Rotklinkerfassaden, darüber ein Reetdach. Seit 1776 lebt seine Familie auf dem Hof, vererbt von Generation zu Generation. Er selbst hat vier Kinder. Nachdenklich blickt er über seine Felder, spricht in langsamer Geschwindigkeit von „dieser Beschleunigung“, die so viele ergriffen habe.

Vor Jahrzehnten stellte er den Viehbetrieb auf Pensionspferde um, einen Teil seines Landes verpachtet er seither an Bauern. Manchmal werde er gefragt, warum er nicht mehr daraus mache. „Weil es genügt“, ruft er heraus. „Diese Trasse läuft hier 625 Mal um die Ecke, nur um den größten Widerständen aus dem Weg zu gehen.“ Kleinwort stört sich auch an der langen Strecke, die das Gas über den Ozean nimmt, an der Energie, die es braucht, um es zu verflüssigen.

„Wo ist denn da die Effizienz? Das macht doch alles keinen Sinn“, sagt er. „Und wenn die Leitung hochgeht, läuft die Elbe woanders längs.“

Der Betreiber schwärmt vom Flüssiggas

Kleinwort ist nicht allein. Längst hat sich eine Allianz aus dutzenden Bürgerinitiativen und Umweltverbänden wie der Deutschen Umwelthilfe oder dem Bund für Umwelt und Naturschutz gefunden. Sie verteufeln die fossile Energie als Umwelt- und Klimakiller, sie setzen alles daran, die Technik zu verhindern und bestreiten sogar ihren Bedarf. Die Umwelthilfe kündigte am Montag an, die neue mecklenburg-vorpommersche Stiftung zur Unterstützung von Nord Stream 2 verhindern zu wollen. Man werde „politische und juristische Schritte“ gegen die „Tarnstiftung“ einleiten. Auch der Standort Brunsbüttel ist umstritten. Denn dort, wo das Gas die Schiffe verlassen soll, ist ein alter Atommeiler nicht weit, dazu ein Atommüll-Zwischenlager

„Ausgerechnet Brunsbüttel“, monieren sie, denn dort, wo das Gas die Schiffe verlassen soll, ist ein alter Atommeiler nicht weit, dazu ein Atommüll-Zwischenlager, ein Chemiewerk, eine Sondermüll-Verbrennungsanlage. German LNG spricht von einem idealen Standort, schwärmt von den Vorteilen des Flüssiggases. Auch in Wilhelmshaven und Stade planen Unternehmen Anlandestellen.

Wo immer die Umwelthilfe kann, bringt sie Rechtsgutachten auf den Weg, die den Projekten die Genehmigungsfähigkeit absprechen. Nun stehen die Argumente der Umweltschützer gegen die Macht der Konzerne, die das große Geschäft wittern – und gegen den Willen der Politik. Was für die Konsortien lange eine Frage des Profits war, hat nun eine größere Dimension: Nord Stream 2, die 1200 Kilometer lange Pipeline, mit der Erdgas aus Russland importiert werden soll.

Das Projekt Nord Stream 2 wird von den USA bekämpft und kommt nur schleppend voran.
Das Projekt Nord Stream 2 wird von den USA bekämpft und kommt nur schleppend voran.

© REUTERS/Maxim Shemetov

Seit Jahren ist das Projekt ein gewaltiges Politikum. Mehrfach belegte es der US-Senat mit Sanktionen, begründet sie mit der drohenden Abhängigkeit Europas von russischem Gas. Erst vor Tagen besiegelten die Senatoren eine Ausweitung der Sanktionen. Die Lage ist so vertrackt, dass ein Regierungsvertreter in Washington vor wenigen Wochen von einem Rohr sprach, „das niemals russisches Gas transportieren wird“.

Wenig wird sich daran wohl ändern, wenn Joe Biden erst Präsident ist, denn er sieht Nord Stream 2 als „schlechtes Geschäft für Europa“. Die Bundesregierung scheint mittlerweile so besorgt, dass Finanzminister Olaf Scholz seinem US-Kollegen Steven Mnuchin sogar einen Milliardendeal vorgeschlagen haben soll, so war es zu lesen: Deutschland werde mit Staatshilfe den Import von Erdgas aus den USA befördern, wenn sie im Gegenzug auf Sanktionen gegen den Import von Erdgas aus Russland verzichten.

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Wohl auch deshalb hat sich die Bundesregierung schon vor Jahren festgelegt. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD lässt sich nachlesen, man wolle „Deutschland zum Standort für LNG-Infrastruktur machen“. Auch die Landesregierung in Schleswig-Holstein mit ihrem grünen Umweltminister Jan Philipp Albrecht befürwortet das Projekt. Und nun ist Druck im Spiel. Und Tempo. Denn Nord Stream 2 wird in kleinen Etappen immer weiter gebaut. Und Landwirt Kleinwort bekommt das zu spüren.

Als Kleinwort im Juni seinen Briefkasten öffnet, fällt ihm ein Umschlag des Umweltministeriums Schleswig-Holstein entgegen. Eine Duldungsanordnung, die es der Gasunie, Teil des Konsortiums, erlaubt, sein Land zu betreten, zu vermessen und 30 Meter tief zu bohren, „zur Vorbereitung und Vertiefung der Planung“, wie Kleinwort dort liest.#

In diesen Wochen erhalten mehrere Bauern und Landeigentümer in der Region ein solches Schreiben. Durch das Terminal „sollen zusätzliche Erdgasmengen aus fernen Quellen für den nordwesteuropäischen Markt erschlossen werden“. Die Leitung werde für die Einspeisung in das Gasnetz benötigt.

Er duldet die Techniker auf seinem Land

Von einem „öffentlichen Interesse“ ist die Rede – und von der „Androhung von Zwangsmitteln“, falls Kleinwort die Techniker nicht duldet. Dann folgt der Hinweis, dass eine Klage keine aufschiebende Wirkung hätte. Kleinwort duldet die Techniker und fühlt, wie sein Handlungsspielraum kleiner wird – auf seinem eigenen Land.

Der Brief des grünen Ministeriums hatte ein langes Vorspiel. Im Frühjahr 2019 wird auf das Projekt der Sielverband Moorrege-Klevendeich aufmerksam, ein Zusammenschluss hauptsächlich von Bauern aus der Region, auch Kleinwort ist darin Mitglied.

Er und seine Kollegen regeln die Wasserabflüsse aus dem Marschland, von ihren Feldern in die Gräben, von dort in die Pinnau, die wiederum in die Elbe fließt. Dem Sielverband gehören auch Land und Gewässer. Ohne ihn geht hier nichts. Die Mitglieder beginnen zu recherchieren, befragen als Träger öffentlicher Belange das Umweltministerium, besuchen Veranstaltungen der Gasunie und kritisieren erstmals die Planungen.

Das Gas soll unter der Erde Wasserläufe kreuzen

Im vergangenen Juli lädt der Verband Mitarbeiter der Gasunie und einer Planungsfirma in eine Vorstandssitzung ein. Zu viert sitzen sie in der Geschäftsstelle nun sieben Vertretern des Verbands gegenüber. Die Atmosphäre ist freundlich. Doch die Vorstände erfahren, dass die Gasleitung mitten durch das Gebiet des Sielverbands laufen soll – und unterirdisch alle natürlichen Wasserflüsse kreuzt, die kleinen und die großen. Anderswo sei der „Raumwiderstand“ zu groß, erfahren sie. „Soll heißen: die Gegenwehr anderer Eigentümer“, sagt Kleinwort. „Technisch überhaupt kein Problem. Alles nicht so schlimm. Wird alles wieder grün. Das passt“, erinnert sich Kleinwort an die Darstellung der Gäste. Er lacht kurz, sagt dann: „Aber wir leben von diesem Land.“

Die Gasunie spricht derzeit noch von „möglichen Korridoren“, eine genaue Trasse werde erst entwickelt. Sie spricht auch von „anspruchsvollen Bodenverhältnissen“ in der Region, allerdings auch von der Erfahrung, die man mit solchen Böden habe. Man wolle Jahrzehnte vor Ort sein und komme es später zu Einschränkungen auf dem Land, wolle man die Eigentümer entschädigen.

Hans-Peter Stegert sagt: Moorschutz ist Klimaschutz.
Hans-Peter Stegert sagt: Moorschutz ist Klimaschutz.

© Matthias Jauch

Vorsteher des Sielverbandes ist Hans-Peter Stegert. Im Dezember empfängt er in seiner Scheune. Sein Betrieb, eine Traube von Häusern, geschützt von dutzenden Eichen, liegt auf einer Warft über den Feldern. Ein Biohof, 75 Schweine, 89 Schafe, auf den Feldern Weizen, Bohnen, Erbsen, Hafer und Dinkel. Stegert, 60 Jahre alt, ist studierter Landwirt, trägt Brille, ein kariertes Hemd, darüber einen Wollpullover. Stegert lebt nicht allein vom Hof. Er ist auch Steuerberater.

Auf einem Heuballen breitet er die akribisch geordnete Korrespondenz mit Ämtern und Anwälten und Karten der Region aus. Sein rechter Zeigefinger folgt auf einer Karte dünnen, blauen Linien. Es ist Wasser, das sich in parallel verlaufenden Bahnen wie ein Fischgrätenmuster durch das Land zieht. Doch Stegert geht es nicht nur um Wasser. Er sieht auf seinem Land einen viel größeren Konflikt. Teilweise ist er noch größer als der politische um das Gas.

"Wie wollen wir das Klima retten, wenn wir unsere Umwelt nicht erhalten?"

„Wir haben keine ausreichenden Antworten, um diesen Planeten zu erhalten und zerstören ihn immer weiter“, sagt er. Stegert hat drei Kinder, den Hof will er einmal weitergeben. Stegerts Land besteht aus feuchtem Moorboden und der wird, so fürchtet er, irreparabel beschädigt setzt CO2 frei, wenn er erst einmal umgegraben wird. „Moorschutz ist Klimaschutz. Wie wollen wir das Klima retten, wenn wir unsere Umwelt nicht erhalten?“, fragt er. „Jetzt so viel Geld in dieses Gas zu stecken, ist doch absurd“, sagt er.

Als im November 2019 erstmals ein Mitarbeiter der Gasunie auf seinem Hof erscheint, über die Möglichkeit von Probebohrungen sprechen möchte, schickt er ihn fort. Mehrere Anrufe der Gasunie folgen, keinesfalls unfreundlich, doch Stegert lehnt ab. Drei Mal habe er Mitarbeiter auf seinem Land ohne Erlaubnis und Ankündigung angetroffen. Da könne man von „Wild-West-Manier“ sprechen, sagt er verärgert. Dass es solche „Einzelfälle“ gegeben habe, räumt die Gasunie ein, immer habe man sich aber entschuldigt.

Er will nicht die Fehler der Außenpolitik ausbügeln

Doch Stegerts Worte sind wohl ebenso eine Anspielung auf das Geschäft, um das es geht. „Ich betreibe keinen Biohof, um am Ende amerikanisches Fracking-Gas hindurchzuleiten.“

Anfang Oktober folgt schließlich die Duldungsanordnung des grünen Umweltministeriums in Kiel. Die Techniker rücken wenig später an. Stegert macht Fotos von ihrem Treiben, nun liegen sie als Beweis auf einem Heuballen. „Deutsch-amerikanische Freundschaft hin oder her. Ich bin nicht bereit, deren Fehler bei uns auszubügeln.“ Stegert ruft es regelrecht aus dem offenen Scheunentor.

Stegert wärmt seine Hände an einer Kaffeetasse, durch sein Küchenfenster sieht man, wie der Wind an den Eichen zerrt. Während in der Ostsee eine Pipeline in kleinen Etappen fertiggestellt wird, Rohr für Rohr, fragt sich Stegert, wie er eine andere verhindern kann. Was er als einzelner tun kann, um diese Gasleitung zu verhindern, das Fracking-Gas, das er so sehr ablehnt. „Nur das Natürliche aus dem Land holen“, das sei seine Überzeugung.

Die Planungen für das Terminal sieht er vor einer entscheidenden Phase. Er konnte es in der Duldungsanordnung lesen: Das Planfeststellungsverfahren für die Leitung soll im Frühjahr beginnen. Mit Kleinwort, weiteren Landwirten und der Umwelthilfe will er dann versuchen, auf dem Klageweg zumindest die Leitung zu verhindern, zumindest auf ihrem Land. „Wir schöpfen das voll aus.“

Ob deshalb das Terminal nicht gebaut werde, wisse er nicht. „Dieser Weg ist schwer zu gehen“, sagt er. „Gegen solche Mächte kommt man nur schwer an, aber nichts zu versuchen, heißt aufgeben.“

Seine eigene Lehre hat er bereits gezogen – und verzichtet in Zukunft auf Gas. Er wolle ja nicht eine Leitung bezahlen, die am Ende gar nicht gebraucht werde.

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