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Annegret Kramp-Karrenbauer und Angela Merkel.

© Christian Charisius/dpa

Neue CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer: AKK ist Angela Merkels letzter Sieg

Annegret Kramp-Karrenbauer triumphiert – auch weil Friedrich Merz sich im entscheidenden Moment nicht traut. Und Angela Merkel in den Wahlkampf eingreift.

Von Robert Birnbaum

Man kann eine Ära mit Pathos beenden, aber Volker Bouffier ist mehr für das Anschauliche. Drei Päpste, zehn SPD-Vorsitzende, 24 Trainer beim heimischen HSV – eine CDU-Chefin. Bouffier ist der älteste ihrer Stellvertreter, er hat diese 18 Jahre von Anfang an miterlebt. Jetzt ist die Zeit zu Ende. „Es war mir eine große Freude“, sagt Angela Merkel, als sie ihre letzte Rede als Parteivorsitzende beendet hat, „herzlichen Dank!“ Der Parteitag erhebt sich, ein langer Applaus; aber erst als die Saalkamera auf ihr Gesicht schwenkt, bricht hier und da ein Juchzen auf. Das Bild zeigt eine, die mit Mühe die Rührung unterdrückt. Ganz am Ende fällt ein Abschied dann eben doch schwer.

Vier Minuten später ist sie wieder die Gewohnte. Merkel winkt den Beifall ab: „Is’ noch viel zu tun!“

Das trifft die Stimmung in dem Hamburger Messesaal auf den Punkt, denn eigentlich haben es alle eilig. Bouffiers nachträgliche Laudatio nehmen die 1001 Delegierten noch hin, beklatschen auch das Abschiedsgeschenk – den Taktstock, mit dem Kent Nagano in der Elbphilharmonie Beethovens Neunte dirigierte, als draußen beim G-20-Gipfel Wasserwerfer rollten und Autos brannten. Aber die nächsten, die sich in der „Aussprache zum Bericht der Parteivorsitzenden“ melden, bekommen unwillig knappen Applaus. Der neue Anfang drängt.

An diesem Tag fällt ein Abschlussurteil

Wobei – natürlich ist die Kampfabstimmung über ihr Erbe indirekt schon noch mal ihre letzte Wahl. „Angela Merkel“ steht auf keinem Stimmzettel. Trotzdem fällt an diesem Freitag ein Abschlussurteil: Bleibt weiter gut, was war – oder ist es jetzt gut? Merkel war von Anfang an der Maßstab, an dem die Kandidaten gemessen wurden. Zu große Nähe schien schädlich, zu viel Distanz vielleicht ebenso. Wie es ausgeht? Selbst normalerweise sehr prognosefreudige Christdemokraten zucken die Schultern: „Knapp.“

Insofern ist Merkels letzte Rede unvermeidlich Teil des einzigartigen Wahlkampfs, den die CDU in den vergangenen sechs Wochen erlebt hat zwischen Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn. Die Kanzlerin hat sich betont herausgehalten. Jetzt bezieht sie Position. Dass sie die zwei Jahrzehnte an der Spitze der Partei nicht als einziges Scheitern betrachtet, ist ja nur logisch. „Unsere CDU ist heute eine andere als im Jahr 2000“, ruft sie, „und das ist auch gut so!“ Dass sie der CDU dabei manchmal einiges zugemutet habe – ja gut, umgekehrt auch. Im Saal macht sich ein bisschen Heiterkeit breit.

Aber immer wieder flicht Merkel Sätze ein, die man beim besten Willen nicht als Wahlempfehlung für Merz oder Spahn lesen kann. „Die Schicksalsstunde der CDU, die haben wir vor 18 Jahren erlebt“, ruft sie – die Spendenaffäre stellte der Volkspartei die Überlebensfrage, nicht ein paar in allerjüngster Zeit schlecht ausgegangene Wahlen. Zumal kurz vorher – „40 Prozent im Saarland!“ – die Ergebnisse andere waren. „Wir haben die Kraft, Trends zu brechen und Wahlen zu gewinnen, wenn wir geschlossen und entschlossen gemeinsam kämpfen!“

Delegierte wurden bedrängt

Geschlossen. Gemeinsam. Wie eine Mahnung schwebt das Parteitagsmotto auf der gewaltigen Projektionswand, die sich über den gesamten Tribünenhintergrund spannt: „Zusammenführen. Und zusammen führen.“ Merkel hat es ausgesucht, das ist das Privileg der Chefin. In den vier Worten schwingt eine große Angst mit: die Angst vor der Minute danach. Vor der Enttäuschung der Unterlegenen, vor Wut, vor Spaltung.

Die Merz-Fans gelten als besonders brisante Ladung. „Die sind schon ziemlich hart drauf“, sagt ein Landesvorsitzender. Delegierte erzählen, dass sie robust bedrängt worden seien, für den Ex-Fraktionschef zu stimmen. Noch am Vorabend sitzt einer der Obermerzianer in der Bar des Vorstandshotels „Atlantic“ und lästert über, wie er findet, fehlendes Kampfgewicht der Konkurrentin in Europa und der Welt: Die deutsch-französische Gemeinschaftsschule in Perl besucht zu haben reiche da jedenfalls nicht.

Die AKK-Truppen agieren hinter den Kulissen etwas dezenter. Dort wird man zum Beispiel gerne darauf hingewiesen, dass Merz bei Talkshowauftritten oft unvorbereitet wirkte – verbunden mit der zweifelnden Frage, ob der 63-Jährige überhaupt die Disziplin aufbringen würde, sich in die Sachfragen einzuarbeiten, die er in der Zeit seiner Abwesenheit verpasst hat?

Bis zur letzten Minute verbreiten beide Lager in der Messehalle Zuversicht. Baden-Württemberg stehe in der großen Mehrheit klar hinter Merz, sagt einer aus der Landesparteispitze. Ein anderer, ebenfalls aus dem Südwesten, will eine Art kleinen Last-Minute-Swing für Kramp-Karrenbauer beobachtet haben. Wolfgang Schäubles Parteinahme für Merz, sagt der Mann, habe etliche trotzig werden lassen: Nein, so geht’s jetzt auch nicht!

Schäuble hat seine Rolle verlassen

Schäubles Intervention hat viele irritiert. Nicht in der Sache – dass der 76-Jährige hinter dem politischen Ziehsohn steht, wusste jeder. Aber Schäuble hat die Rolle verlassen, die er auf diesem Parteitag in der Minute danach eigentlich hätte spielen können: Den allseits geachteten Elder Statesman, der zur Versöhnung ruft. Er hat sich lieber zum Kombattanten gemacht.

Nachmittags geht es endlich los. „Von den 1001 stimmberechtigten Delegierten waren um 13.35 Uhr 1000 Delegierte anwesend“, berichtet der Leiter der Mandatsprüfungskommission; der eine Letzte habe sein Kommen aber auch zugesagt. Als Sitzungsleiter erläutert der Schleswig-Holsteiner Daniel Günther das Wahlverfahren: Faltbare Kartons als „Tischwahlkabine“. „Am Zettel ist jeder für sich“, hat eine Delegierte angesichts der letzten Einflüster-Versuche zuvor noch ironisch angemerkt. Die Pappwand soll genau das garantierten.

Aber erst müssen sich natürlich die Bewerber vorstellen. Nicht, dass man sie nicht kennen würde, zumal es bei den Dreien bleibt – andere Anwärter finden niemand, der sie nominiert. „Ich habe das meinen Delegierten verboten“, erzählt ein Landeschef geradeheraus. Aber zur Wahl gehört die Bewerbungsrede. Außerdem könnte es ja sein, dass es der eine oder andere völlig Unentschiedene von diesen drei Mal 20 Minuten abhängig macht, wen er wählt. Es sind wohl nur wenige – „zehn vielleicht“ sagt eine Baden-Württembergerin, zehn von 154. Nicht viele. Doch sie könnten entscheiden.

Die Unentschlossenen aber – und die anderen natürlich auch – erleben etwas Unerwartetes. Der viel gerühmte Redner Friedrich Merz traut sich nicht. Und die mäßige Rednerin Kramp-Karrenbauer traut sich.

Der gefeierte Redner Friedrich Merz traut sich nicht

Nicht, dass Merz’ Rede nicht ausgefeilt wäre – im Wesentlichen ist es die, die er in den acht Regionalkonferenzen gehalten hat. Alle Stichworte kommen vor und viele der Sätze, für die er dort von seinen Fans bejubelt wurde. „Von diesem Parteitag muss ein Signal des Aufbruchs und der Erneuerung unserer Partei ausgehen“, ist so ein Satz, oder: „Ohne klare Position bekommen wir keine besseren Wahlergebnisse.“ Auch die „Agenda für die Fleißigen“ ruft er auf.

Aber die riesige Halle trägt ihn nicht. Und je weniger seine Anhänger Anlass zum Jubel finden, desto mehr wird aus einer Motivationsrede ein Vorstandsvorsitzendenvortrag über eine „Auszehrung des Meinungsstreits in der Mitte“ oder ein „Narrativ für den Osten“. Kracher der Bewerbungstour kommen plötzlich in seltsam verdruckster Form daher. „Wir müssen auch nicht jede Idee der Sozialdemokraten gut finden“, hat er in Halle, Böblingen oder Düsseldorf gerufen. „Es unterscheidet uns unverändert vieles von dieser SPD“, sagt er hier.

Will er nicht aggressiv auftreten, um Zögernde nicht zu verschrecken? Oder liegt es daran, dass Merkel schräg hinter ihm sitzt? Merz ist der Frau, der er nachfolgen will, bisher geflissentlich aus dem Weg gegangen. Es gab ein Telefonat, in dem er ihr für den Fall des Falles Loyalität versprochen hat; ein persönliches Treffen nicht.
Er entschuldigt sich jetzt sogar halb für die umstrittene Formulierung, die CDU habe die AfD einfach so hingenommen. „Ich bestreite in unserer Partei keinem den guten Willen, die an die AfD verlorenen Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen. Aber es gelingt uns augenscheinlich nicht!“ Vom „Halbieren“ der AfD ist übrigens auch keine Rede. Dafür nennt er SPD, Grüne und FDP als „Hauptgegner“, was irritiertes Schweigen auslöst. Die 13-Prozent-SPD – echt jetzt?

AKK kommt schwer in Gang

Hinterher applaudieren seine Anhänger natürlich trotzdem stehend. Man kann beim Blick in den Saal immer noch nicht erkennen, ob das eine Mehrheit ist, so wenig wie vorher bei Kramp-Karrenbauer. Aber man kann jedenfalls festhalten, dass die Saarländerin für ihre Verhältnisse ungewöhnlich kämpferisch auftritt. Sie kommt erst schwer in Gang. Die 56-Jährige erzählt, dass sie 1981 in die CDU eingetreten sei, weil die sich nicht in Endzeitstimmung über den angeblich unmittelbar drohenden Weltuntergang ergangen habe.

Aber die umständliche Einleitung setzt ein Grundthema, das sich durchziehen wird: Das Wir, die CDU, die „stolze und starke Volkspartei“, „unsere Familie“, und das alles unter dem stillschweigenden Motto: Bange machen gilt nicht. Überall in Europa seien christdemokratische Parteien zerfallen. „Wir sind so etwas, CDU und CSU gemeinsam, wie das letzte Einhorn. Ich will, dass das so bleibt!“

Zum Schluss geht sie die Vorurteile direkt an, mit der ihre Gegner sie ins Aus stellen wollten: ein „Mini“, eine „Kopie“ von Merkel oder – das war Schäubles böses Wort – „ein einfaches ,Weiter so’“. Von wegen: Sie habe Wahlen gewonnen „gerade weil ich so bin wie ich bin“. Sie habe in 18 Jahren auch gelernt, dass es bei Führung mehr auf innere Stärke ankommt als auf äußere Lautstärke. Und übrigens: „Egal wer nachher hier gewählt wird – keiner von uns drei Kandidaten wird der Untergang dieser Partei sein!“ Der Applaus reicht über alle Lager.

Starker Beifall für Jens Spahn

Jens Spahn bleibt als Letztem nur noch, seine sichere Niederlage aufrecht zu bestehen. Er bringt es sehr anständig hinter sich, kein Zeichen von Resignation. „Ich laufe nicht weg, wenn es eng wird“, versichert er. Ihn belohnt ein Beifall, der stärker ist als seine Bataillone.

Um 15.50 Uhr sind alle Kreuze gemacht. Der Parteitag wird unterbrochen. Gezählt ist schneller als gedacht, zwanzig Minuten später ruft Tagungsleiter Günther alle zurück auf die Plätze. Merkel geht mit ernstem Gesicht zu ihrem Sitz. Das Ergebnis des ersten Wahlgangs zeigt, warum: 450 Stimmen für Kramp-Karrenbauer, 392 für Merz. Spahn bekommt 157 Stimmen.

Exakt 500 wären die vorgeschriebene Mehrheit gewesen. In der Stichwahl müssten 50 Spahn-Freunde zu der Saarländerin wechseln. Nach allen Regeln der Flügelmathematik wäre das ein Wunder.

Das Wunder geschieht. Drei Minuten vor 17 Uhr liest Günther das Ergebnis vor: „Auf Friedrich Merz entfielen 482 Stimmen …“ Er kommt nicht weiter. Vorne links bei den Saarländern explodiert die Spannung. „AKK, AKK!“, rufen sie. Kramp-Karrenbauer – 517 Stimmen, wieder 500 wären nötig gewesen – hat Tränen in den Augen, als sie auf die Bühne geht. Merkel kommt ihr strahlend entgegen. Die zwei Frauen umarmen sich.

Angela Merkel hat Unrecht

„Der Wettbewerb hat uns Auftrieb gegeben“, sagt Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer ersten Rede als CDU-Vorsitzende. Das müsse so weitergehen. Sie lädt Merz und Spahn ein, dabei mitzumachen. „Für beide ist ein Platz in dieser Partei.“

Später stehen sie noch einmal alle drei auf der Bühne. „Wir sind ja schon so’n bisschen wie ’ne Rockband durch Deutschland getourt“, sagt Spahn. Merz sagt schon wieder „Meine Damen und Herren“. Zwei lange Kerls, in der Mitte die kleine Frau von der Saar, so wie in den letzten sechs Wochen überall. Hinter ihnen strahlt Merkel immer noch. Wie hatte sie neulich gesagt? Den eigenen Nachfolger mit zu bestimmen sei immer ganz und gar schief gegangen. So gerne unrecht gehabt hat sie bestimmt lange nicht mehr.

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