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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder möchte „die Lufthoheit über die Stammtische zurück“.

© dpa/Peter Kneffel

Nach der Unionskrise: Markus Söder – das Machtexemplar

Fast hätte sich die Union selbst zerlegt. Die Glaubwürdigkeit der CSU sinkt. In Bayern wächst vor der Landtagswahl der Druck auf Markus Söder. Der Ministerpräsident will nichts so sehr wie gewinnen. Es ist seine größte Stärke – und sein wunder Punkt.

Breitbeinig und zufrieden lächelnd steht Markus Söder am Mittwochmittag im zweiten Stockwerk des altehrwürdigen Münchner Hofbräuhauses auf der Bühne; die Obermüller Musikanten haben gerade aufgespielt, unten sitzen in Dirndl oder Trachten mehr als 500 Gastwirte aus allen Landesteilen. Der Ministerpräsident ruft gut gelaunt: „Manche meinen ja angesichts der politischen Lage, wie könne da der Ministerpräsident so einen Termin machen. Ich sage denen: Wo kann man besser aufgehoben sein als bei euch!“

In diesem wuchtigen Saal, mit dunklem Holz und schweren Kronleuchtern ausgestattet, erinnert nichts daran, dass nur zwei Tage zuvor beinahe das historische Unionsbündnis aus CSU und CDU an der Flüchtlingsfrage zerbrochen wäre und der Fortbestand der großen Koalition auf dem Spiel stand. Der angedrohte Rücktritt Horst Seehofers als Innenminister und CSU-Parteichef hätte zudem den anlaufenden Wahlkampf torpediert, weil die Gefahr bestanden hätte, dass ein interner CSU-Streit um die Macht die eigenen Chancen auf die absolute Mehrheit am 14. Oktober zerstört. Söders Truppen hatten sich noch in der Nacht zu Montag, sagen enge Vertraute, darauf vorbereitet, sofort nach dem Parteivorsitz zu greifen, wäre Horst Seehofer stur geblieben.

Und nun – war da was?

Rechts von der CSU

Hier im Hofbräuhaus, wo Söder die 100 besten Wirtschaften Bayerns auszeichnet, fällt nur dieser Satz, in dem die Wörter „politische Lage“ vorkommen, aber natürlich nicht ausgeführt werden. Es soll Alltag einkehren und die Geschichte erzählt werden, dass nur durch den Einsatz der CSU die „Asylwende“ geschafft worden sei. Söder hat schon am Montagabend auf Landtagswahlkampf umgeschaltet, war nach Bayern zurückgekehrt, als Seehofer, Dobrindt und andere CSU-Granden wie Ex-Parteichef Stoiber vor die CDU-Zentrale getreten waren und verkündet hatten, dass man sich einig sei. Und dass er, Seehofer, in seinem Amt bleiben könne.

Während das halbe Land dachte, nun seien die Politik, die Union und vor allem die Christsozialen völlig verrückt geworden, sahen sie das in der CSU pragmatisch: Es geht um nichts anderes als den politischen Nimbus als einzige bayerische Volkspartei zu verteidigen. 2008 hat die CSU schon einmal die absolute Macht verloren und musste koalieren. Einmal kann man das vielleicht mit einem historischen Ausrutscher erklären, aber zweimal? Wenn Markus Söder am 14. Oktober, dem Tag der Wahl, nicht wenigstens sehr nahe herankommt an die absolute Mehrheit – dann ist in dieser CSU gar nichts ausgeschlossen. Auch sein Sturz nicht. Das weiß er. Aus dieser Lage und mit dem Rücken zur Wand, hat die CSU ihre sehr eigenen Schlüsse gezogen. Söder und seine CSU sind sich einig darin, dass sie nur die radikale Umsetzung des alten Leitmotivs von Franz Josef Strauß retten wird: Rechts von der CSU darf es keine andere Partei geben.

Auf der Bühne des Hofbräuhauses demonstriert Söder die Kunst des wohlkalkulierten Populismus der CSU, den nicht Söder selbst, sondern Strauß erfunden hat.Man schlägt sich immer auf die Seite der kleinen Leute. Die Seele des Landes sei doch nicht München, ruft Söder mitten im Herzen der Stadt, sondern „die Vielfalt der Regionen, der ländliche Raum“. Schon als Finanz- und Heimatminister hatte er den Wettbewerb für die„Heimatwirtschaften“ erfunden, weil Wirtshäuser und Gaststätten „zentraler Bestandteil unseres Heimatgefühls“ seien. 30 Millionen Euro stellt die Landesregierung für die regionalen Gastwirte zur Verfügung, auf der Bühne wird Söder persönlich jede Gastwirtschaft ehren – mit einer Urkunde, in der das übergroße Porträt des Landesvaters aufgedruckt ist.

Start-ups vs. Familienbetriebe

Söder sagt: „Es kann ja nicht sein, dass wir Start Ups, auch wenn die wichtig sind, mehr fördern als unsere Familienbetriebe.“ Das gehe gar nicht, man wolle da jetzt „einen Kulturwandel“.

15 Minuten Fußmarsch vom Hofbräuhaus entfernt und kurz vor dem Eingang zum Englischen Garten hat einer sein Büro, der nicht nur Söder erklären kann, sondern die Mentalität der CSU gleich mit. Edmund Stoiber, ehemaliger Ministerpräsident und nunmehr 76 Jahre alt, ist in diesen Wochen ein ziemlich beschäftigter Mann. Bevor das Gespräch beginnt, sagt er noch schnell für die Sendung Maybrit Illner ab: „Da war ich doch erst letzte Woche.“ Längst gehört er nach seinem unfreiwilligen Abgang als Ministerpräsident 2008 wieder zum engsten Führungszirkel – der Söder genauso ins Gewissen reden darf wie auch Seehofer.

Als Söder Stoiber erstmals ernsthaft auffällt, hält dieser 1995 seine Bewerbungsrede für den Landesvorsitz der Jungen Union – und gewinnt. Vor allem gefällt Stoiber, dass da einer die „Gefühle“ der Mitglieder anspricht. Acht Jahre später macht er ihn zu seinem Generalsekretär: „Ich wollte damals einen General, der raus aus dem Büro, den Honoratioren-Zimmern und rein in die Bierzelte geht, der vor allem die Menschen in den hinteren Reihen erreicht. Söder war tatkräftig, sehr meinungsstark und kantig. Ich spürte, dass er die DNA der CSU in sich trug, und die besagt: Wir wollen immer gewinnen.“

Im Gespräch macht Stoiber deutlich, warum die AfD für die CSU so bedrohlich ist. Es ist nicht die Positionierung in der Flüchtlingsfrage, sondern die Positionierung als Anti-Establishment-Partei. Diese untergräbt die Glaubwürdigkeit der CSU, sie läuft Gefahr, ihre Aura als ewige Siegerin zu verlieren. Immer, wenn Stoiber wie jetzt erregt ist, wackelt er auf dem Stuhl hin und her, ballt eine Faust, sticht mit seinem sehr langen Zeigefinger tiefe Luftlöcher und schnellt dann plötzlich weit mit dem Oberkörper nach vorne. „Wir müssen auch jetzt wieder klarmachen, dass nur wir auch die Partei der kleinen Leute in Bayern sind. Wir haben schon immer Establishment und ‚Leberkäs-Etage’ zugleich vertreten, weil wir als CSU den Anspruch verkörpern, Bayern zu verstehen.“

Die große Umwälzung?

Markus Söder, Horst Seehofer und Alexander Dobrindt (Archivbild)
Markus Söder, Horst Seehofer und Alexander Dobrindt (Archivbild)

© Reuters/Alexandra Beier

Söder, sagt Stoiber, könne dies glaubhaft vermitteln. Er habe den Anspruch der Partei, die absolute Mehrheit zu holen und damit klare Verhältnisse zu schaffen, verinnerlicht. „Nicht jeder hält diesem Druck stand.“

Nahe am Volk zu sein, gehört zur DNA der CSU, aber die Ereignisse der letzten Monate haben auch gezeigt, dass die Menschen ihrer CSU offenbar nicht mehr über den Weg trauen. Gegen das neue Polizeiaufgabengesetz sind mehr als 30 000 Menschen auf die Straße gegangen, das neue Psychiatrie-Gesetz musste die Regierung auf massiven Druck ändern. Der „Kreuzerlass“ spaltet die Bevölkerung wie auch die Forderung, die christlich-soziale Prägung in den Verfassungsrang zu heben. Vielleicht sind das alles Vorboten einer größeren Umwälzung. Vielleicht bleibt auch alles, wie es ist.

An diesem Mittwoch ist nicht weit vom Hofbräuhaus entfernt am Viktualienmarkt auch das andere, liberale, progressive Bayern anzutreffen. Die Petra-Kelly-Stiftung hat in das bayerische Wirtshaus „Der Pschorr“ geladen zum Thema: „100 Jahre Frauenwahlrecht“. Katharina Schulze, die junge Fraktionschefin der Grünen im Landtag und Hoffnungsträgerin der Jüngeren, redet; der Saal ist voll mit politisch engagierten Frauen vieler Generationen. Über Söders CSU aber können sie hier auch nicht alle lachen. Eine Frau erzählt, ihre Eltern würden immer für die CSU stimmen, aber die Mutter sei skeptischer geworden, wegen des Polizeigesetzes und auch wegen der scharfen Wortwahl Söders in der Flüchtlingsfrage. Die Mutter ist christlich engagiert in der Flüchtlingsbetreuung. Die Tochter ruft sie an: „Mutter, jetzt darfst du aber nicht mehr CSU wählen.“

Die Mutter seufzt, dann antwortet sie: „Ach, ich weiß nicht, die CSU wird schon wissen, was sie da tut.“

Es ist genau diese fast irrationale Aura, die die CSU jetzt zu verlieren hat.

Laptop und Lederhose

Die letzte Forsa-Umfrage, die noch vor dem desaströsen Wochenende veröffentlicht wurde, sah die CSU bei knapp 40 Prozent, schlimmer aber war aus Sicht Söders, dass auf die offene Frage, wer in Bayern das größte Problem sei, die meisten Befragten antworteten: die CSU. Doch Umfragen ändern sich ständig, der „Bayerische Rundfunk“ ließ gerade fragen, ob die Bürger die Einrichtung von Transitzentren richtig finden: 64 Prozent antworteten mit Ja. Und in einer vom Münchner „Merkur“ veröffentlichen Befragung stieg die CSU trotz des Streits der letzten Tage wieder auf 42,5 Prozent, während die AfD verlor.

Gleich zum Amtsantritt am 16. März hat Markus Söder Geld über Bayern regnen lassen. Es gibt finanzielle Hilfe vom Staat fürs Bauen, Wohnen, für Familien, den ländlichen Raum, die Polizei. Heimat und Tradition sowie Moderne und Innovation zu verbinden, war schon immer die große Stärke der CSU; der Slogan „Laptop und Lederhose“, der von Theo Waigel stammt, ist nach wie vor ein Erfolgsrezept für das politische Handeln der Partei. Gerade erst wurde in Nürnberg eine neue Universität eingeweiht, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 2,1 Prozent – niedrigster Wert in Europa.

Trotzdem glaubt die CSU, dass nur die „Asylwende“ der Partei Glaubwürdigkeit zurückbringe. Man habe, sagt einer, der Söder nahesteht, viel zu lang nur geredet. Die einfachen Menschen würden der Politik „nicht glauben, dass wir Probleme lösen“. Es geht um die Rückeroberung der demokratischen Rechten. Schon beim traditionellen Aschermittwoch in der Passauer Nibelungenhalle ließ Söder keinen Zweifel an der Strategie. Die Union dürfe sich nicht nur in der Mitte drängeln. Sie müsse die demokratische Rechte wieder repräsentieren wollen. Dann donnerte er: „Wir wollen die Lufthoheit über die Stammtische zurück.“

Für diese Mission sei Söder der Richtige. Der Insider sagt zwar, Söders Art sei auch sehr gefährlich, weil sie Selbstüberschätzung enthalte. Aber: „Wir haben keinen Stärkeren.“ Worauf diese Stärke basiert, haben Roman Deininger und Uwe Ritzer, zwei Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“, mit ihrer kürzlich erschienenen Söder-Biografie detailliert recherchiert. Sie schreiben: „Grenzenloses Selbstbewusstsein mischt sich mit einer alarmierenden Rücksichtslosigkeit.“

Söders Kindheit: Fehlende Anerkennung

Söders Heimat ist die Nürnberger Südstadt, der Vater übernimmt bald nach dem Krieg die Baufirma des Großvaters. Der Maurermeister, den Markus Söder „immer nur arbeitend“ in Erinnerung hat, macht mit Abbruch- und Renovierungsarbeiten gutes Geld. Die Mutter habe den Vater in Abwesenheit „Chef“ genannt, der „rauhe Vater“ wiederum habe den Sohn „streng angefasst“, weil er gewollt habe, dass der Sohn ihm nachfolge. Markus Söder aber ist handwerklich völlig unbegabt. Bis heute erzählt er bei Wahlkampfauftritten merkwürdigerweise immer wieder selbst von dieser offenbar schwierigen Beziehung. Auch nach dem Tag im Hofbräuhaus bei einem Termin außerhalb Münchens redet Söder darüber, wie der Vater versucht habe, ihm das Handwerk beizubiegen auf eine Art, „die heute nicht mit dem Jugendschutz zu vereinbaren“ sei. Irgendwann habe er es aufgegeben und gesagt: „Bub, du hast zwei linke Hände, werde lieber Pfarrer oder Politiker.“

Was bei Söder als heitere Anekdote rüberkommen soll, hat einen ernsten Kern: Fehlende Anerkennung, ja Demütigung. Der Vater, schreiben die Biografen, soll den Sohn für ein „Weichei“ gehalten haben. Den Stolz des Vaters konnte er sich offenbar nie erkämpfen. Er starb ein Jahr bevor Söder 1994 in den Landtag einzog.

Markus Söder ist 16 Jahre, als er 1983 in Nürnberg eine Wahlkampfrede von Franz-Josef Strauß hört. In der Schule ist er ein Außenseiter, ist nicht in der Anti-Atomkraft-Bewegung wie andere. Strauß warnt vor den „wandernden Bürgerkriegsarmeen“ und beschimpft politische Gegner als Chaoten. Tags darauf tritt der begeisterte Söder in die Junge Union und die CSU ein. Er studiert Jura, gleichzeitig treibt er seine politische Karriere voran und fällt schon damals mit sorgfältig geplanten Inszenierungen auf.

Unbändiger Machtwillen

Bei der Landtagswahl 1994 ist sein Gegner ein angesehener Sozialdemokrat aus der Arbeiterschaft. Der SPD-Kandidat organisiert mitten in seinem Wohnort im Spätsommer immer einen Umzug mit Motivwagen wie beim Karneval, inspiziert wie jedes Jahr kurz vor dem Start die Wagen, entdeckt aber nichts Ungewöhnliches. Doch kaum setzt sich der Zug in Marsch, schaffen Söders CSU-Freunde einen zusätzlichen Wagen heran, der in großen Lettern Markus Söder bewirbt. Der SPD-Mann schäumt vor Wut. Söder gewinnt am Ende die Wahl. Die Geschichte zeigt die ganze kreative Skrupellosigkeit, mit der Söder bis heute agiert, und die ihn in der Partei schnell auffallen lässt.

Er war weniger beliebt als gefürchtet.

Als Horst Seehofer nach dem auch für die CSU schlechten Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen fordert, es solle zumindest während der Jamaika-Verhandlungen keine Personaldebatten eröffnet werden – hält sich Söder daran. Und doch nicht. Denn es ist die JU-Bayern, die öffentlich einen Neuanfang fordert. Söder steht auf dem Treffen grinsend neben dem Politnachwuchs, der Plakate hochhält, auf denen steht: „MP Söder!“

Auch darin wird Söders unbändiger Machtwillen deutlich. Seit Jahren hat er sich mit Seehofer ein verletzendes Duell geliefert. Seehofer hat ihm öffentlich „charakterliche Schwäche“ vorgeworfen, Söder hat es ertragen – und sich schließlich auf seine Art durchgesetzt.

Einen Tag nach seinem Auftritt im Hofbräuhaus kommt Markus Söder am Donnerstagmorgen nach Weilheim, Oberbayern, 40 Minuten mit der Regionalbahn von München entfernt. Es ist der Wahlkreis von Alexander Dobrindt und der ehemalige Wahlkreis von Strauß. Am Rande der Stadt auf einem kahlen Feld soll eine hochmoderne neue Berufsschule gebaut werden. Auf dem Acker steht ein Bagger, davor ein Sandhaufen, in dem elf Spaten stecken, über deren Enden Schutzhelme baumeln. Im kleinen Festzelt wartet schon die obligatorische Blaskapelle auf ihren Einsatz.

Zu viele Abiturienten

Da steigt Söder aus der schwarzen Limousine und pflügt wahllos Hände schüttelnd über den Acker bis ins Festzelt. Er hat dieselbe helle Hose an wie schon am Vortag, sie ist vollkommen zerknittert, über Stilfragen macht sich Söder keinen Kopf. Es geht in diesem Wahlkampf nicht um Feinheiten, sondern ums große Ganze. 70 Millionen Euro kostet die Schule, 57 Prozent davon zahlt die Landesregierung. Draußen vor dem Feld stehen ein paar Demonstranten, die es wagen, kritische Plakate hochzuhalten. Es hätte wohl auch andere, günstigere Standorte gegeben als diesen. Söder aber sagt: Das sei ja hier kein Gymnasium, wo man sich „um so humanistische Dinge“ kümmere, „hier stehen eben auch Geräte drin, und die kosten Geld“. Dann wettert Söder gegen zu viele Abiturienten und Hochschulabsolventen. Es sei nicht verkehrt, ein Handwerk zu lernen, eine Ausbildung zu machen, da verdiene man am Ende womöglich sogar mehr, als wenn man „babylonische Astrologie“ studiere.

Derweil hängen Mitarbeiter auf dem Feld die Helme ab. „Söder will keinen“, flüstert einer. Da kommt die Festgesellschaft heraus, der Ministerpräsident greift als Erster zum Spaten, prüft, ob er ihn gut herausziehen kann, postiert die Landrätin neben sich und befiehlt, wie und wann die Schaufeln für das Foto zu heben sind. „Achtung, fertig...“

Noch geben Markus Söder und seine CSU in Bayern die Kommandos.

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