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In dieser Fotostrecke mit Archivteilen hat Jessica Klimach sich mit Abendkleidern im Kontext der Pandemie auseinander gesetzt, im Sinne von "in Schale geworfen, aber kein Ort wo man hingehen könnte."

© Mia Linnea Jørgensen

Vintagemode: Tausendundein Kleid

Vintage ist das neue Schwarz - und der größte Liebhaber von alter Mode ist Roman Vardijan. Er besitzt einen Fundus und weiß, wie es mit dem Hype weitergeht.

Tritt man in den ersten Gang des Lagers von Roman Vardijans Berliner Nightboutique ist man sofort in einer anderen Welt, einer Zeitkapsel. Die Augen wissen gar nicht, wo sie verweilen sollen und schweifen von einem Teil zum nächsten. Auf der einen Seite erstreckt sich ein schwarzes Regal, bis unter die Decke angefüllt mit Schätzen.

Da finden sich cremefarbene, schwindelerregend hohe Damenplateaustiefel, über dem Schienbein mit Schnallen verziert. Daneben ein weiteres Paar Plateaustiefel, großflächig und bunt gemustert, sie könnten auch in der Garderobe von Elton John stehen, bereit ihn auf die Bühne zu tragen.

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Es gibt zierliche, spitz zulaufende Pumps mit blauem Rosenmuster, cowboystiefelartige Herrenschuhe oder wilde zebragemusterte Plateausandalen, besetzt mit silbernen Sternen. Kopfschmuck aus Kristallen glitzert von oben herunter. Großgliedrige Ketten und Armbänder warten darauf, angelegt zu werden, ebenso wie massive, mit bunten Steinen besetzte Ohrringe.

Damenschuhe gibt es erst ab Größe 39, ansonsten in allen nur möglichen Variationen.
Damenschuhe gibt es erst ab Größe 39, ansonsten in allen nur möglichen Variationen.

© Maja Hohenberg

An einer langen Kleiderstange hängt die Kleidung für Männer, besonders fällt ein unglaublich weicher, grüner Mantel mit schwarzen Knöpfen auf. Im zweiten Gang die Damensachen, zarte Seidenblusen, ein mit Pailletten besetztes Neoprenkleid, es gibt alle Farben, Strukturen und Materialien.

Vintage ist gerade der Mega-Trend

Anders als der Name vermuten lässt, ist die Nightboutique aber kein Laden, sondern ein Fundus für Vintagemode. Stylisten:innen leihen hier Kleidung, Accessoires und Schuhe für Fotos in Magazinen, Filmproduktionen oder Musikvideos. Privatpersonen können die Stücke nicht leihen oder kaufen.

Vintage ist gerade der Mega-Trend, Stars wie Kylie Jenner, Gwyneth Paltrow, Shirin David oder Halle Bailey tragen am liebsten alte Original-Designerteile auf dem roten Teppich.

Modedesigner wie Alessandro Michele, Chefdesigner bei Gucci, lassen sich von früheren Moden inspirieren, oder legen bestimmte Teile gar neu auf, wie Tom Fords roten Samtzanzug für Gucci von 1996. Sieht man sich einen 80er-Jahre-Film an, merkt man manchmal erst nach einer Weile, dass er eigentlich schon mehrere Jahrzehnte alt ist.
Um über diesen Trend und Roman Vardijans Fundus zu sprechen ist die Stylistin Jessica Klimach ins Lager gekommen, seine Archivteile sind regelmäßig wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit.
Wenn Roman Vardijan gerade die Straße überquert und ein Bus mit Werbung vorbeifährt, entdeckt er nicht selten seine Sachen auf den bunten Bildern wieder. „Ich sehe mich selber als Jäger. Mir macht das wahnsinnig viel Spaß bestimmte Stücke zu suchen. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann drehe ich durch, dann suche ich das wirklich ein Jahr lang und recherchiere alles online.“

Ein weiteres Styling von Jessica Klimach, lange war es ihr Wunsch anders mit dem Archivteilen zu arbeiten, "als mit speziellen Teilen nur für den kurzen Moment eine visuelle Befriedigung zu schaffen."
Ein weiteres Styling von Jessica Klimach, lange war es ihr Wunsch anders mit dem Archivteilen zu arbeiten, "als mit speziellen Teilen nur für den kurzen Moment eine visuelle Befriedigung zu schaffen."

© Mia Linnea Jørgensen

Manchmal steht er sogar um 3 Uhr morgens auf, um bestimmte Sachen zu kaufen. „Irgendwann kommen die Stücke dann zu mir und dann geht es wieder von vorne los“, er lacht. Roman Vardijans Einfälle können ganz plötzlich kommen, etwa wenn er sich eine alte Vogue aus den 70er Jahren ansieht. Plötzlich weiß er, dieses Teil braucht er unbedingt. Angefangen hat alles mit einem Paar schlichten Pumps von Prada, die er in einem Second-Hand-Laden fand. Früher assistierte er häufig für Stylisten:innen und musste ständig die selben Klassiker für Shootings aus den Geschäften zusammensuchen. Irgendwann ermüdete ihn das. „Hat das denn keiner in Berlin.

Muss ich jetzt schon wieder durch alle Läden rennen?“, fragte er sich. So entstand die Idee, bestimmte Teile, die ihm gefielen und die gebraucht werden könnten, einfach zu behalten und beim nächsten Shooting zu vermieten. Über die Jahre trug Vardijan so immer mehr Stücke zusammen und der Fundus entwickelte sich.

Immer mehr börsennotierte Unternehmen machen Geschäfte mit Vintagemode

Roman Vardijan begeistert an Vintage, dass die Sachen Geschichten erzählen. „Ich recherchiere, wer bestimmte Stücke getragen hat, was damit passiert ist und folge Auktionshäusern. Das ist unglaublich viel Arbeit“, sagt er. Dabei ist ihm aufgefallen, dass die Kleidungsstücke immer teurer werden.

Das kann auch Jessica Klimach bestätigen: „Oft wäre es fast günstiger gewesen, die Dinge, als sie rauskamen im Laden zu kaufen.“ Ein Grund dafür ist sicher der derzeitige Hype um alles, was Vintage ist. Immer mehr börsennotierte Unternehmen machen Geschäfte mit Vintagemode, allein die Onlineplattform Vinokilo verkauft im Monat 30 Tonnen Vintage-Kleidung. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar kaufen 14 Prozent der Deutschen einmal im Montag Secondhand-Kleidung.

Beide sind sich einig, dass durch Stars, die in den sozialen Medien Vintage-Kleidung tragen, die Aufmerksamkeit so groß werden konnte. Besonders Teile aus den 90er Jahren und den 2000ern, wie die von Kim Kardashian getragene „Cyber Dot Kollektion“ von Jean Paul Gaultier von 1995, oder die Jogginganzüge von Juicy Couture, die vor zwanzig Jahren auch von Paris Hilton heiß geliebt wurden, sind besonders gesucht.

Dementsprechend hoch sind die Preise dafür. „Solange Stars die Teile tragen, wird der Trend sich halten. Hören sie damit auf, ist die Vintage-Blase irgendwann geplatzt“, denkt Roman Vardijan.

Vintage-Kleidungsstücke werden wiederbelebt

Auch Modedesigner orientieren sich an Vintage. Die Kollektionen werden immer größer und es gibt immer mehr Durchläufe, da ist es einfach zeit- und kostengünstiger keine neuen Produkte zu entwerfen, sondern sich an Altem zu orientieren und nur Details abzuändern.

Es gibt auch Projekte und Kooperationen großer Marken, die Vintage-Kleidungsstücken neues Leben einhauchen. Zum Beispiel gab es kürzlich eine Kooperation von Levi's und Miu Miu, alte Jeans wurden mit großflächigen Stickereien, Perlen oder Kristallen verziert und dann für viel Geld verkauft, die limitierte Stückzahl macht’s möglich. Irgendwann wird das Interesse am Alten allerdings verbraucht sein. „Wenn dieser gegenwärtige Trend vorbei ist, haben die Leute einfach Lust, sich wieder richtig anzuziehen. Es wird wohl ein bisschen cleaner werden und die Mode wird nicht mehr so sehr nach den 70er-, 80er-, 90er-, 2000er Jahren aussehen. Roman Vardijan glaubt fest daran, dass sich dann „irgendjemand etwas Neues, Verrücktes ausgedenken wird“.

Wie in einer Schatzkammer funkeln die unterschiedlichen Damenschuhe.
Wie in einer Schatzkammer funkeln die unterschiedlichen Damenschuhe.

© Maja Hohenberg

Seine Schätze sieht Vardijan nicht als Kunstobjekte: „Wenn man die Stücke kuratiert und sie zusammen sucht, oder wenn ein:e Stylist:in etwas daraus macht, wird es für mich eine Kunstform. Ansonsten sind das einfache Kleidungsstücke, die man zusammenstellen muss“, sagt er.

Tipps für die eigene Sammlung

Jessica Klimach hat schon eine Fotoausstellung über die Mode des legendären belgischen Designers Martin Margiela mit Archivteilen der Nightboutique gemacht. „Es war seit langem mein Wunsch, mal anders mit dem Archiv von Roman zu arbeiten, als mit speziellen Teilen nur für den kurzen Moment eine visuelle Befriedigung zu schaffen“, sagt sie.

Seit der Geburtsstunde des Fundus arbeiten die Beiden zusammen. Die Stylistin sagt: „Mit dem Fundus ist unsere Freundschaft gewachsen.“ Dass man inzwischen mit dem Sammeln von alter Mode gutes Geld verdienen kann, beobachten auch die Beiden. Und sie geben dazu auch gleich ein paar Tipps: Am besten sollte man in größenunabhängige Stücke investieren, beispielsweise in klassische Handtaschen von Hermés oder Chanel, deren Wert ist in den letzten Jahren stark gestiegen ist.

Roman Vardijan und Jessica Klimach denken allerdings nicht, dass der Profitgedanke der richtige Ansatz ist, um eine Sammlung anzulegen. „Wer nur sammelt, weil es gerade angesagt ist und man Geld damit machen will, wird nie ans Ziel kommen. Wenn es einem nicht ums Sammeln geht, wird man nie diesen Ehrgeiz entwickeln und diese Freude daran haben. Da steckt schon ein bisschen mehr dahinter“, sagt Jessica Klimach. Roman Vardijan wird auf jeden Fall weiter nach Stücken suchen. Durch seine Arbeit mit alter Mode kann er gelassen die neue erwarten.

Maja Hohenberg

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