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Gesellschaft: Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde

Die Studie State of Fashion macht deutlich: Die Mode steht vor großen Herausforderungen.

„Am nachhaltigsten wäre es, weniger zu kaufen“, sagt Achim Berg, Unternehmensberater bei McKinsey und dort global zuständig für Bekleidung, Mode und Luxus. Doch Enthaltsamkeit fürchtet die Modeindustrie wie der Teufel das Weihwasser. Auf diesen Gedanken könnte man zumindest kommen, wenn man die Studie liest, die McKinsey zusammen mit dem Onlinemagazin „Business of Fashion“ (BoF) einmal im Jahr herausgibt.

Die Studie für 2020 wurde pünktlich zum Beginn der Fashion Week in Berlin vorgestellt. 60 Prozent der befragten Unternehmen sind für dieses Jahr sehr pessimistisch. „Die Studie macht auch deutlich, dass wir, und damit ist sicher nicht nur die Mode gemeint, auf eine Periode der Erschütterung zusteuern“, sagt Nick Blunden, kaufmännischer Leiter von BoF. Aber er möchte auch gleich klarmachen, dass in der Erschütterung eine Chance liegt.

Allerdings wird das in Deutschland trotzdem nicht einfach, fürchtet Achim Berg. Hier gibt es viele Modeunternehmen, die nicht bereit sind für einen Wandel. Nur ein einziges Unternehmen findet sich in der Top-20-Liste, der wertvollsten Unternehmen weltweit, die jedes Jahr Bestandteil der Studie ist. Wenig überraschend handelt es sich um Adidas. „Sport ist ein wichtiges Thema in der Industrie“, sagt Berg. Daneben sind viele Firmen aus dem Luxusbereich, da hat Deutschland nicht viel zu bieten. „Mit dem Tragen von Luxus haben die Deutschen ein Problem, das finden sie schnell vulgär. Und er sieht nicht, wie sich daran so schnell etwas ändern könnte. Vielleicht durch Technik. „Wir sind das Land der Ingenieure“, sagt Berg. Und neue Materialien müssten ja auch erforscht werden. Auch Nachhaltigkeit könnte ein großes Thema der deutschen Mode werden, wenn man sich mit Receyling beschäftigt.

Blunden und Berg sind sich einig: Schockstarre ist keine Option. Eigentlich muss jetzt richtig investiert werden, in alles. Was gar nicht mehr geht, ist den Status Quo zu halten, alle müssen sich bewegen. „Alles andere ist unmöglich“, sagt Berg.

An der Modewoche findet er vor allem eins interessant: „Hier schaut man noch zu sehr auf sich selbst und denkt, man könnte die Welt bewegen, aber die deutsche Mode bewegt nicht die Welt.“

Eins der spannendsten und positivsten Ergebnisse der Studie ist, dass die befragten Unternehmen Nachhaltigkeit als wichtigstes Thema für 2020 nennen. Auch hier geht es nicht mehr darum, darüber zu reden, es muss gehandelt werden. Denn noch ist nachhaltige Mode in den Einkaufsstraßen viel zu wenig sichtbar.

Achim Berg findet es dramatisch, was sich in den letzten 15 Monaten verändert hat: „Die Erkenntnis, dass wir etwas ändern müssen, gibt es nicht nur in der Mode. In Deutschland hat sich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit verändert. Man steckt nicht mehr gedankenlos drei Äpfel in eine Plastiktüte.“ Nachhaltigkeit sieht er nicht als Trend: „Das wird bleiben, deshalb muss die Industrie jetzt über Möglichkeiten reden, wie sie Recyling und die Wiederverwertung von Fasern vorantreiben kann.“ Vorbei sind die Zeiten, als sich Unternehmen keine Gedanken über Überproduktion machen mussten. „Heute erntet man dafür einen Shitstorm in den sozialen Medien. Und jetzt diskutiert die Industrie darüber, wie sie Überproduktion vermeiden kann. Bei alldem spielt der Kunde eine wichtige Rolle.“

Natürlich dürfen in der Studie auch Social Media nicht fehlen, denn genau wegen ihnen können sich Firmen heute nicht mehr unbeobachtet fühlen. „Die Kunden sind viel informierter und auch sensibler.“ Alles hat 2013 mit dem katastrophalen Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch begonnen. Das war ein echter Wendepunkt für die Modeindustrie.

Und weil es in Berlin viele kleine Marken gibt, Müssen Berg und Blunden auch darüber sprechen, obwohl die zu unbedeutend sind, um in der Studie vorzukommen. Nick Blunden ist trotzdem verhalten optimistisch, was die kleinen Designerlabels angeht. „Die Frage ist, was man unter Erfolg versteht.“ Wenn man sehr groß und erfolgreich werden will, kostet das sehr viel Geld. Aber wenn man mit Social Media und E-Commerce arbeitet und nachhaltig denkt, gibt es eine Menge Unternehmen, die gut davon leben können. „Mode ist ein globales Geschäft, doch an manchen Orten kann man beobachten, wie die Industrie lokaler wird. So kann man auch Geld verdienen“, sagt Blunden. Grit Thönnissen

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