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Alles im Kasten. Muji macht Betten mit Stauraum. Boxen für Schlüpfer und Strümpfe und Ventilatoren für frische Luft.

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Muji eröffnet Kaufhaus am Kurfürstendamm: Alles unter Dach und Fach

In Japan ist die Lifestylemarke Muji längst zum Vollversorger geworden. Nun will das Unternehmen mit seinen Produkten auch in Deutschland zum Standard werden.

Bisher konnten Kunden auf die Idee kommen, dass es sich bei Muji um ein erweitertes Schreibwarengeschäft handelt. Bei der japanischen Lifestyle-Marke kauft man in braune Pappe gebundene Hefte, Tintenroller, transparente Schuber und Leinenhemden. Das muss den Geschäftssinn eines jeden Muji-Managers beleidigen, denn Muji ist ein Planet, auf dem es alles gibt – nur schlichter, funktionaler und wahrscheinlich auch beiger, als in jedem anderen Kaufhaus. Fast 8000 Artikel gibt es in den 452 Filialen in Japan, dazu kommen Restaurants, Hotels und drei Campingplätze, auf denen Familien für umgerechnet 200 Euro die Nacht Urlaub machen können.

Für Europa hat das Unternehmen die Strategie verändert

Im Rest der Welt ist Muji hingegen vom Image des Vollversorgers meilenweit entfernt. Deshalb haben die Japaner jetzt ihre Strategie für Europa geändert. Zwar eröffnete die erste Muji-Filiale Berlins schon 2008 am Hackeschen Markt, aber erst zeigen sie ihre ganze Größe. So ist auch der Satz, den der Deutschlandchef Keisuke Okushita bei einem Rundgang durch das gerade eröffnete Geschäft am Kurfürstendamm im Marmorhaus am häufigsten aus dem Japanischen übersetzen lässt: „Wir wollen, dass es zum Standard wird.“

Wie die weißen Porzellanbecher, die zu fast jedem Geschirr passen. Oder die Socken, die in einem 90 Grad Winkel geformt sind und damit besonders bequem sein sollen. Oder die waschbaren Hausschuhe in beige, „die in Japan sehr beliebt sind. Gerade während der Coronakrise waren sie gefragt, weil die Menschen viel an Hygiene denken“, sagt Okushita.

Leinenhemden für Frauen und Männer gehören zum Standardsortiment von Muji.
Leinenhemden für Frauen und Männer gehören zum Standardsortiment von Muji.

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Auf 1327 Quadratmetern gibt es nichts, was die Kunden in Aufregung versetzen könnte: Keine ausladenden Formen, keine Rüschen, keine knalligen Farben. Schwarz, Weiß, Grau, Beige Dunkelblau, das sind die typischen Muji-Farben. Okushita: „Es gibt keine Vorschriften, welche Farben man benutzen darf, aber es gibt ein Designerspitzentreffen, da wird entschieden, welche Farben man für welche Produkte benutzt.“

Manche würden sagen: Langweilig! Aber es ist auch beruhigend, wie die klassische Geigenmusik, die einem am Eingang entgegenzirpt, oder die Bilder von wogenden Gräsern, an denen man auf der Rolltreppe vorbeifährt. Ende Juni hat das zweitgrößte Warenhaus in Europa eröffnet, vorher war hier ein Fast-Fashion-Anbieter, der sein Sortiment alle paar Woche austauschte. Bei Muji sind immer noch die transparenten Boxen im Sortiment, mit denen vor 40 Jahren alles begann.

Ein Gremium entscheidet über neue Produkte

Die Kisten sind so etwas wie das transparente Fundament auf dem dieses Unternehmen gestapelt ist. Wenn man eine Box, die man kurz nach der Gründung gekauft hat, auf eine neue stellt, passt alles zusammen.

Es gehört zur Firmenphilosophie von Muji, es den Kunden so einfach wie möglich zu machen. Muji ist die Abkürzung für „Mujirushi ryohin – keine Marke, gute Produkte“. Essen, Dinge des täglichen Bedarfs und Mode, das sind die drei Säulen auf denen das Sortiment aufgebaut ist. Ein weiteres Gremium, bestehend aus Vorstand, Beratern und Designern diskutieren darüber, welche Produkte gebraucht werden. Wie der neue geräuschlose Ventilator, der die Luft nicht nur verwirbelt, sondern auch reinigt.

In Japan verkauft Muji auch Häuser

Zum ersten Mal gibt es in Deutschland Fertiggerichte wie japanisches Curry. Eines der meist verkauften Produkte ist der Aromadiffuser, der aussieht wie ein handtellergroßer Kiesel und weißen Rauch ausstößt. Die Luft zu beduften, ist keine japanische Tradition – im Gegenteil. „In Deutschland sind die Häuser sehr dicht. Da kommt man eigentlich eher auf die Idee, die Luft zu reinigen. Bei uns sind die Wände dünn und durchlässig. Aber heute lebt man auch in Japan anders, deshalb braucht man solche Dinge“, sagt Keisuke Okushita.

Natürlich wohnt er in Japan auch in einem Mujifertighaus. Das kostet rund 100 000 Euro und für Japaner bedeutet es, endlich mehr gut organisierten Platz zu haben. Das ist in Japan ein so überlebenswichtiges Thema, dass es schon religiöse Züge hat, wenn sich jemand darum kümmert. Wie die Bestsellerautorin Marie Kondo, die Menschen nicht nur beibringt, wie man Dinge aufräumt, sondern gleich sein ganzes Leben. „Marie Kondo hat die traditionelle japanische Methode Ordnung zu schaffen, modernisiert und weltberühmt gemacht, davon profitiert auch Muji“, sagt Keisuke Okushita. Natürlich sind im Berliner Geschäft Socken genau so ordentlich gefaltet, wie Kondo es empfiehlt und nicht zusammen geknäult, sodass sie in der Box wie Kinder im Bällebad untergehen.

Hausschuhe waren während der Coronakrise sehr gefragt. In Japan bietet man jedem Gast welche an. Deshalb sind diese auch waschbar.
Hausschuhe waren während der Coronakrise sehr gefragt. In Japan bietet man jedem Gast welche an. Deshalb sind diese auch waschbar.

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Dass Muji in Japan tatsächlich immer schon mehr als nur ein Kaufhaus war, stellt auch die Japanologin Christiane Rühle in ihrer gerade erschienen Doktorarbeit „Markeninszenierung in Japan – zur narrativen Konstruktion der Lifestylemarken Muji und Uniqlo“ fest. So wurde das Unternehmen von dem Geschäftsmann Tsutsumi Sejji und dem Grafiker Tanaka Ikko 1980 als Antithese zur damals herrschenden Konsumpraxis gegründet: Die Produkte sollten ein Gegenentwurf sein, zu sehr teuren, oft ausländischen Marken und billiger Massenware.

Nach Fukushima rief Muji dazu auf, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren

Nach dem Erdbeben, das einen Tsunami und damit die Nuklearkatastrophe in einem Atomkraftwerk in Fukushima 2011auslöste, wurden Werte wie Genügsamkeit noch einmal von Muji befeuert. Nach zahlreichen Spendenaktionen gab es ein Jahr nach der Dreifachkatastrophe die Kampagne „Dinge zu 80 Prozent“. Muji erklärte das so: „Ein zu 80 Prozent gefüllter Magen ist gut für die Gesundheit.“ Eine Ausstellung sollte demonstrieren, was es bedeutet, sich auf das wesentliche zu konzentrieren: kürzere Ohrstäbchen, schmaleres Toilettenpapier und Möbel, die mit weniger Material auskommen.

So viel Rationalität könnte einem Europäer Angst einjagen. Da wenden die Japaner einen Trick an: Im Keller des Marmorhauses steht ein Stickautomat, der verziert die schlichten Produkte in Windeseile mit lustigen Motiven wie Kraken, Fischen oder Kätzchen.

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