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Amber Pinkerton fotografiert Jugendkultur und das Leben auf der Straße - in London und in ihrem Geburtsland Jamaika.

© Amber Pinkerton

Modefotografie: Der Blick der Frauen

In der Mode bestimmen vor allem Männer die Bildästhetik. Fotografinnen ändern das gerade. Wie zeigt die Lübecker Ausstellung „Female View“

Dass auf eine so einfache und wirkungsvolle Idee noch niemand gekommen ist! Die Modefotografie aus weiblicher Sicht zu zeigen, ist eine gute Methode, um zu hinterfragen, wie sehr der männliche Blick die Mode in den vergangenen 100 Jahren geprägt hat. In der Ausstellung „Female View“ in Lübeck werden Arbeiten von 21 Künstlerinnen gezeigt. Es ist zwar kein einziges Selbstporträt dabei, aber dafür umso mehr Darstellungen von Frauen, in denen es mal mehr, mal weniger um Kleidung geht.

Ausgerechnet ein sehr manieriertes Bild ziert das Plakat zur Ausstellung. Eine Frau, sehr elegant in schwarzem Kleid, Hütchen und Ohrschmuck, schaut den Betrachter aus dem Halbprofil an, die manikürten Finger stützen das Kinn. Was das Bild nicht verrät, aber die Fotografin Lillian Bassman sehr wohl wusste: Ihr Model Barbara Mullen war alles andere als ein auf tadelloses damenhaftes Benehmen getrimmtes Modeabziehbild, sondern eine Frau aus der Bronx mit breitem irischem Akzent und entsprechendem Auftreten, aber mit großer Schönheit gesegnet.

Lee Miller fotografierte im Zweiten Weltkrieg in Europa für die US-amerikanische Vogue. Diese Modeaufnahme entstand 1941 in London.
Lee Miller fotografierte im Zweiten Weltkrieg in Europa für die US-amerikanische Vogue. Diese Modeaufnahme entstand 1941 in London.

© Lee Miller

Es ist also ein kleiner Schwindel, der uns gleich zu Beginn der Ausstellung vorgeführt wird, einer, der sich nicht sofort offenbart. Auf drei Ebenen hat die Kuratorin Antje-Britt Mählmann Modefotografien von 1930 bis 2021 chronologisch auf drei Stockwerken versammelt. Sie will nicht weniger als einen Überblick über das Schaffen weiblicher Modefotografinnen geben, mit einem Schwerpunkt auf Deutschland.

Auf Bestände der Lübecker Museen konnte sie nicht zurückgreifen, denn es gibt dort keine Sammlung zu Modefotografie. So hat sie das zusammengesucht, was ihr aussagekräftig genug schien. Dabei schimmert immer wieder so etwas wie eine zweite Ebene hinter der glatten Oberfläche hervor. Die Französin Bettina Rheims zeigt 2014 eine schöne junge Frau in einem mit Glassteinen besetzten Body mit aufgedruckter Schärpe, wie sie Schönheitsköniginnen tragen, in lasziver Pose – alles scheint perfekt. Wenn da nicht der Streifen Dreck auf ihrem Oberschenkel wäre, der Staub auf den Requisiten. Die einzelnen Elemente des Bildes passen nicht mehr zusammen, so wirkt diese Darstellung von Schönheit überholt.

Ellen von Unwerth fotografierte Lana del Rey 2012.
Ellen von Unwerth fotografierte Lana del Rey 2012.

© Ellen von Unwerth

Dabei blieb das Schönheitsideal, das die Modefotografie zeigte, lange Zeit ein eng gestecktes, dem sich auch die Fotografinnen unterwarfen. Oft ging es nur um die leichte Verschiebung des Körpers. Die Gesten waren natürlicher, die Blicke direkter oder die Umgebung irritierte wie bei der amerikanischen Fotografin Lee Miller, die ihr Model 1941 in die Kulisse des von deutschen Bomben zerstörten Londons stellte.

Modefotografie galt lange nicht als Kunstform, die für sich stand. Sie brauchte das Umfeld von Magazinen und Anzeigen. Es ging ums Verkaufen, darum, ein Angebot zu machen, wie man in den neuen Kleidern aussehen, wie überhaupt das Frauenbild aussehen könnte.

Das wird besonders in der Gegenüberstellung von Ost und West deutlich. In einem Raum hängen Bilder von Ute Mahler und Sibylle Bergemann, die in der DDR für Magazine wie „Sibylle“ Mode fotografierten, neben denen von Ingeborg Hoppe aus dem Westen. Die ging für die „Brigitte“ pragmatisch mit Fotostrecken wie „Das gefällt der jungen Dame: Kleine Pullis für Büro und Freizeit“ an ihre Arbeit heran. Dagegen inszenierte Ute Mahler ihr Model Julia 1981 hochschwanger im weißen Hemdblusenkleid auf dem Bebelplatz vor aufgestellten Porträts der Genossen aus dem Politbüro.

Lillian Bassman fotografierte das Model Barbara Mullen aus Brooklyn in einer für sie ungewöhnlichen Pose.
Lillian Bassman fotografierte das Model Barbara Mullen aus Brooklyn in einer für sie ungewöhnlichen Pose.

© Lillian Bassman

Immer wenn Berlin eine wichtige Rolle spielt, geht es auch um deutsche Geschichte. Die sieht man auf einem Bild von Ellen von Unwerth, einer der international erfolgreichsten deutschen Fotografinnen, wenn sie eine rauchende Frau in Elvis-Presley-Pose vor der heruntergekommenen Fassade der Kneipe „Alt-Berlin“ posieren lässt. Sie zeigt sich auch in der Geschichte der Fotografinnen selbst. Die Bilder von Regina Relang, die in den 50er und 60er Jahren nicht nur die Mode Berliner Couturiers fotografierte, sondern auch Pariser Modenschauen, hängen nicht mit denen von Yva in einem Raum. Die Kuratorin entschied so, weil Regina Relang nach 1933 weiter in Berlin arbeitete, während Yva, eine der innovativsten Fotografinnen im Berlin der zwanziger Jahre, 1938 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft mit Berufsverbot belegt und 1942 im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde.

Yva wurde vergessen, während ihr Assistent Helmut Neustädter als Helmut Newton weltberühmt wurde. In der Ausstellung spielt der Fotograf eine weitere Rolle. Seine Ehefrau Alice Springs kam zu ihrem ersten Fotoauftrag, weil sie für ihren Mann einsprang. So begann ihre eigene Karriere. Ihre Bilder unterscheiden sich deutlich von denen Newtons – lebendiger, weniger objekthaft. Eines haben aber die meisten Bilder, die bis in die 2000er Jahre entstanden, gemeinsam: Sie zeigen weiße, einem ganz klaren Schönheitsideal entsprechende junge Frauen.

Für Nadine Ijewere stehen Identität und Diversität im Mittelpunkt ihrer Arbeit.
Für Nadine Ijewere stehen Identität und Diversität im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

© Nadine Ijewere

Das hat sich erst durch junge Fotografinnen verändert, die zuerst in den sozialen Medien sichtbar wurden. Wie Nadine Ijewere, die sich als junge Schwarze Frau nicht auf den Magazinfotos wiederfand. Also begann sie, ihre Freundinnen zu fotografieren und castet auch heute noch ihre Models selbst. Für die britische Vogue brachte sie 2018 die Sängerin Dua Lipa aufs Cover.

Wie aus einer Spielerei ein ganz neuer Blick auf die Modefotografie entstehen kann, zeigen die Bilder von Liv Liberg. Die Niederländerin fotografierte schon mit zehn Jahren ihre vier Jahre jüngere Schwester Britt in den Kleidern ihrer Mutter. Heute machen sie das für Modemarken wie Acne oder Prada mit derselben Attitüde. Die inzwischen 26-jährige Britt hat sich in ihren Gesten und dem unverwandten Blick in die Kamera keineswegs der Modeindustrie angepasst. Im Gegenteil – das Unperfekte, Irritierende ist in der Modefotografie angekommen.

Female View, Kunsthalle St.Annen, Lübeck, bis 3. Juli

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