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Kleine Lösung von der Stange. Blick in einen Bananas-Laden von Gabi Lück.

© Bananas

Mode und Design in der Coronavirus-Kirse: „Jetzt ist das Internet das Schaufenster“

Modeschöpfer und Designer kommen gut durch die Krise – wenn sie auch im Geschäft kreativer und flexibler sind als andere.

Wibke Deertz renoviert ihren Laden, Melanie Bauer bringt Einzelhändlern bei, wie man einen Onlineshop baut, und beim Schmucklabel Quite Quiet arbeiten sie in Ruhe ihre Kundenaufträge ab. Viele Designer in Berlin zeigen sich erstaunlich krisenfest. Das könnte daran liegen, dass sie längst gelernt haben, mit dem Mangel zu haushalten, im besten Falle mit ihm kreativ umzugehen. Und dass es ihnen auch in guten Zeiten nicht um immerwährendes Wachstum geht, sondern darum, gut von ihrer Arbeit leben und im besten Falle auch noch ein paar Mitarbeiter bezahlen zu können.

So ist von großer Panik auch nach der zweiten Woche des kompletten Stillstands wenig zu spüren. Viele versuchen die Zeit zu nutzen, so gut es geht. Zum Beispiel Wibke Deertz. Sie hat gerade richtig viel zu tun: „Wenn man vorher eine beschäftigte Person war, ist man es auch jetzt.“ Die Designerin entwirft Männerbekleidung, seit zehn Jahren hat sie einen Laden in der Torstraße. Am ersten Tag der Ladenschließung meldete sie ihre zwei Mitarbeiter im Verkauf für Kurzarbeit an. „Die sind toll, ich will sie so lange wie möglich halten“, sagt sie. Dann hat sie begonnen, ihren Laden zu renovieren. Ein neuer Anstrich war dringend nötig, eigentlich wollte sie das an ein paar Sonntagen erledigen, jetzt hatte sie unter der Woche Zeit dafür.

Vor zwei Wochen hat Deertz eine Lieferung mit 500 Hemden bekommen, doch das macht sie nicht nervös: „Die sind auch in einem Jahr noch schön.“ Gerade hat sie ein paar Pakete zur Post gebracht, in der ersten Woche hatte sie mehr Onlinebestellungen als üblich. „Ich freue mich über jede Bestellung, die reinkommt.“

Obwohl sie natürlich auch weiß, wie wichtig das Geschäft im Laden ist. Ihre Kleidung ist aus hochwertigen Materialien gefertigt, sie verkauft sich besser, wenn man sie anfassen kann. Außerdem erfüllt Wibke Deertz auch individuelle Wünsche, passt Schnitte in Länge und Breite an.

Ihr kommt entgegen, dass sie nicht mehr saisonal arbeitet. Mit neuen Modellen fängt sie in kleinen Mengen an und produziert bei großer Nachfrage nach. Das bringt sie in die gute Situation, dass ihre Schneiderin erst einmal weiternähen kann und das Lager nicht überfüllt ist, wie das bei vielen Einzelhändlern jetzt der Fall ist.

Laden ist besser. Jonas Buck und seine Partnerin Johanna Schoemaker kreieren hochwertigen Schmuck, der sich im Laden deutlich besser verkauft als online.
Laden ist besser. Jonas Buck und seine Partnerin Johanna Schoemaker kreieren hochwertigen Schmuck, der sich im Laden deutlich besser verkauft als online.

© privat

März und April sind die Monate, in denen in der Modebranche der meiste Umsatz gemacht wird. Die Ware fürs Frühjahr muss jetzt unter die Leute gebracht werden, bevor schon im Mai der erste „Mid Season Sale“ die Konsumenten unwillig macht, noch den vollen Preis für Kleidung zu bezahlen. Deshalb trifft der Stillstand den Einzelhandel und damit auch viele Modemarken besonders hart.

Melanie Bauer weiß das. Normalerweise kümmert sie sich mit ihrer Vertriebsagentur Melagence darum, dass die Entwürfe von 30 internationalen Designern und Modelabels wie Christian Wijnants aus Belgien und House of Dagmar aus Stockholm bei rund 180 Einzelhändlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz verkauft werden. In Berlin arbeitet sie zum Beispiel mit dem KaDeWe zusammen.

Die Ware ist zwar schon in den Geschäften, kann aber nicht verkauft werden. „Wir sind alle in einem Boot und können den Schwarzen Peter nicht von links nach rechts schieben“, sagt sie. Gerade spricht Bauer mit jedem Händler. Ein paar sind darunter, die sich gut an die neue Situation anpassen, Liveshopping-Events im Internet anbieten, ihren Onlineshop in Schuss halten. „Aber viele sitzen wie das Kaninchen vor der Schlange und wissen nicht, wo sie anfangen sollen“, sagt Bauer.

Melanie Bauer ist sehr erstaunt darüber, wie viele Modeläden noch keinen Onlineshop haben

Deshalb bieten sie und ihr Team jetzt Online-Tutorials an: Wie man in 24 Stunden einen Onlineshop eröffnet, ein Fotostudio aufbaut und mit dem Smartphone die Ware fotografieren kann. Damit das Ganze auch gefunden wird, gibt es zusätzlich Seminare darüber, wie man einen Newsletter verschickt und eine Social-Media-Kampagne aufsetzt.

Melanie Bauer ist sehr erstaunt, wie viele Modeläden noch keinen Onlineshop haben: „Oft steht es auf der Liste, aber man kommt im normalen Alltag nicht dazu.“ Ein Laden hat ihr vor Kurzem die Order sogar noch per Fax geschickt. Melanie Bauer glaubt, dass nun auch der Letzte aufgewacht ist: „Der Kanal nach draußen ist digital. Jetzt ist das Internet das Schaufenster.“

Das nutzt die Designerin Gabi Lück von Bananas jetzt auf ihre eigene Art. Sie startet die Aktion „Windowshopping“. Lück führt zwei Geschäfte in Berlin, eins in der Kreuzberger Bergmannstraße, eins in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg. Dort verkauft sie eigenen Schmuck und Bekleidung. Zweimal in der Woche dekoriert sie jetzt die Schaufenster ihrer Läden mit den neuesten Kleidungsstücken, die sie dann parallel und exklusiv in ihrem Onlineshop anbietet. Abholen können die Kunden die Ware zu einem verabredeten Zeitpunkt auch im Laden. „Jeder, der vorbeigeht, kann sehen, was wir Neues zu bieten haben. So gerät man nicht in Vergessenheit“, sagt sie. Jetzt, wo sie die organisatorischen Schritte hinter sich hat – Kurzarbeit für ihre drei Mitarbeiterinnen, Soforthilfe beantragt, Verhandlungen mit den Vermietern – kann sie sich darum kümmern, wie sie das Geschäft ohne Geschäft wieder ankurbeln kann.

Homeschool. Bei der Vertriebsagentur Melagence (rechts) gibt man jetzt Web-Tutorials.
Homeschool. Bei der Vertriebsagentur Melagence (rechts) gibt man jetzt Web-Tutorials.

© Benjamin Höhner/Promo

Die Schließung ihrer Läden hat Lück kalt erwischt. „Meine Finanzplanung ist konservativ, aber so ein Worst-Case-Szenario habe ich nicht eingerechnet.“ Januar und Februar sind für sie die schwächsten Monate. Es ist aber auch die Zeit, um in Neues zu investieren, damit im März der Verkauf richtig losgehen kann. Ein Großteil ihrer Ware ist noch in Thailand, auf Bali und den Philippinen, wo ihr Schmuck aus Holz und ihre Kleidung hergestellt werden. Einiges davon ist bezahlt, anderes wird gerade hergestellt.

„Das sind kleine Firmen, die kann ich nicht hängen lassen“, sagt Gabi Lück. Deshalb versucht sie, einige Prozesse hinauszuzögern, wie den Versand nach Deutschland, der ist ihr im Moment schlicht zu teuer. „Das ist eine komplette Kollektion, die vielleicht erst in einem Jahr verkauft wird.“ Sie versucht positiv zu bleiben und nutzt jeden Kanal – von Facebook bis zu neuen Portalen wie „Tagesspiegel Kiezhelfer“, auf denen man Gutscheine kaufen kann. Und im analogen Schaufenster weist sie auf den Onlineshop hin.

Digitale Konzepte sind die Spezialität von Silke Bolms. Zusammen mit Kerstin Geffert führt sie die Agentur Silk Relations. Gerade jetzt brauchen ihre großen Kunden wie Levi's und Lego neue Ideen, wie sie sich digital zeigen können. Normalerweise stehen bald die Pressdays an: Journalisten, Blogger und Influencer schauen sich die Kollektionen in den Berliner PR-Agenturen und Ateliers an. Weil die Präsentationen abgesagt wurden, baut Silke Bolms mit ihrem Team nun einen virtuellen Showroom, durch die sie Journalisten per Skype führt. Für all diese Arbeit braucht sie ihre 25 Mitarbeiter. Allerdings weiß Bolms nicht, wie lange sie die noch bezahlen kann. Denn im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat der Berliner Senat kein Soforthilfe-Programm für Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern aufgelegt. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärte erst am Mittwoch wieder, dass sie vornehmlich den Bund in der Pflicht sieht, Firmen dieser Größe zu helfen.

„Die Folgen werden uns über das ganze Jahr verfolgen“

„Ich dachte erst, ich habe etwas übersehen“, sagt Agenturchefin Bolms. Sie ist derart entsetzt über die fehlende Unterstützung, dass sie zusammen mit anderen Berliner Unternehmerinnen und Unternehmern in der gleichen Situation einen offenen Brief an den Senat geschrieben hat mit der Forderung, auch größeren Firmen zu helfen, wie das in den meisten anderen Bundesländern geschehen sei.

Jonas Buck hat die Soforthilfe schon auf seinem Konto, weil er nur zwei Mitarbeiterinnen hat. Er ist der Geschäftsführer des Schmucklabels Quite Quiet mit einem Laden in der Auguststraße. Er hat Verständnis dafür, dass den meisten Menschen jetzt nicht der Sinn danach steht, neue Ohrstecker zu kaufen. „Wir machen ein Luxusprodukt, das hat gerade keine Priorität.“ Schmuck online zu verkaufen, sei noch einmal schwerer als Bekleidung. Die meisten Kunden wollen persönlich vorbeikommen, um ihren Schmuck auszusuchen. Das sind gerade im Frühjahr vor allem Hochzeitspaare, viele verschieben ihre Hochzeit jetzt auf unbestimmte Zeit. Noch arbeiten die zwei angestellten Goldschmiedinnen weiter an Aufträgen.

Zusammen haben sie das Label über Jahre aufgebaut, eine eigentlich solide Grundlage geschaffen, die jetzt langsam zu bröckeln beginnt. Zwei Monate können Jonas Buck und seine Partnerin Johanna Schoemaker das Geschäft aufrechterhalten. „Die akute Bedrohung ist nicht das Problem, aber die Folgen werden uns über das ganze Jahr verfolgen“, sagt Buck. Jetzt einen Liquiditätskredit aufzunehmen, um die Krise zu überbrücken, kommt für ihn nicht infrage. „Da steht ja kein Gewinn dahinter.“

Die Soforthilfe von Bund und Land hat Quite Quiet ein wenig Luft verschafft. Aber Buck wünscht sich einen klaren Kriterienkatalog. Damit kleine Unternehmen sich genauso schützen können wie große. Ihnen würde die Stundung der Miete allerdings nichts nützen: „Wovon soll ich die später zurückzahlen?“ Eine Sicherheit hat Jonas Buck: Seine Ware wird nicht schlecht. Und die meisten Hochzeiten sind hoffentlich nur verschoben – und nicht für immer abgesagt.

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