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Mode und Coronakrise: Ran an die Kundin

Wer in der Modebranche arbeitet, kann sich Stillstand nicht leisten. Es hilft, wenn aus Kunden Fans werden. Die Designer Malaika Raiss und Dawid Tomaszewski erzählen, wie das funktioniert.

„Es war wohl eine Schockstarre von zehn Tagen. Bis sich alle wieder orientiert hatten, wurde Geld erst mal für Klopapier ausgegeben – und nicht für Luxus, wozu unsere Sachen definitiv gehören.“ Die Berliner Mode- und Schmuckdesignerin Malaika Raiss erwischte es dennoch kalt, als ihr Online-Shop mitten in der Coronakrise plötzlich überhaupt keinen Umsatz mehr machte. Die Dinge mussten sich ändern und zwar schnell. Wenn die Kundinnen nicht mehr ihren Shop besuchten, musste Malaika Raiss auf sie zugehen. Virtuell.

Zusammen mit der Modebloggerin Jessica Weiß beschloss sie, die Produktion ihrer Herbst-Winter-Kollektion 2020/21 auf deren Webseite „Journelles“ durch eine Pre-Order-Aktion zu sichern. Die Kundinnen bestellen dabei die noch nicht produzierte Ware, erhalten sie früher als alle anderen, zahlen dafür schon jetzt einen Vorschuss und die andere Hälfte bei Erhalt. Dafür braucht es in diesen unsicheren Zeiten Begehrlichkeit und Vertrauen.

Um diese Gefühle zu erzeugen, führte die Bloggerin auf ihrem Instagram-Livestream ihre Lieblings-Looks aus der Kollektion vor, wobei die Designerin via Splitscreen zugeschaltet war. Während Jessica Weiß Mode anprobierte, erzählte Malaika Raiss etwas über die Idee hinter der Kollektion und erklärte ausführlich die Materialwahl und Passform jedes Teils. „Jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich es hasse, vor einer Kamera zu sprechen. Dafür musste ich ganz schön weit raus aus meiner Komfortzone.“

Doch der Einsatz hat sich gelohnt. An den Live-Kommentaren während der Übertragung konnte Raiss ablesen, dass die Zuschauer durch ihre Erklärungen die aufwändigen Prozesse hinter den schlichten Kleidern verstanden, und dass die nachhaltig in Europa produzierten Stücke eben Geld kosten. „Außerdem interessieren sich die Leute in einer Zeit von Kontaktverboten sehr dafür, was für Menschen hinter den Marken stecken.“ Ein wenig hört sich das nach Teleshopping an. Malaika Raiss lacht: „Es gab Kommentare, dass wir gleich beim Verkaufskanal QVC anfangen könnten.“

Die Idee ist nicht so weit hergeholt. Designer Dawid Tomaszewski, der wie seine Kollegin seit zehn Jahren in Berlin Mode macht, entwirft seit vergangenem September für QVC. „Anfangs wurden wir dafür belächelt, aber in der jetzigen Situation hilft uns das durch die Krise. Denn dort läuft alles, wenn auch unter erschwerten Umständen, wie immer weiter“, sagt Tomaszewski. Die Bestellungen für seine eigene hochpreisige Herbst- Winter-Kollektion waren um 15 bis 20 Prozent zurückgegangen. „Doch mit QVC produzieren wir mehrere Saisons im Voraus. Daraus ergeben sich ganz andere Spielräume.“

Tomaszewskis Markenzeichen sind grafisch gemusterte, extravagante Drucke, die er zuletzt im Januar als Tableau vivant über einem künstlichen Nebelmeer im runtergerockten Prince Charles Club zeigte. „Ich kreiere ein Bild. Wer das nicht versteht und die Show vermisst, hat Pech“. Zur Fashion Week gibt er den strengen Couturier, auf der cleanen QVC-TV-Bühne hingegen streicht Dawid Tomaszewski einem Model fürsorglich das Top glatt: „So ein Muster kaschiert auch sehr schön!“, erklärt er dem vorwiegend weiblichen Publikum von durchschnittlich 50 Jahren.

Tomaszewski sagt: „Die Kundinnen von QVC müssen mich erst einmal kennenlernen"

Die meisten seiner Entwürfe für QVC sind zurückhaltender, praktische Aspekte wie Waschbarkeit und leichte Kombinierbarkeit spielen eine ebenso wichtige Rolle. „Die Kundinnen von QVC müssen mich erst einmal kennenlernen. Mit der Zeit werden die Entwürfe immer mehr Tomaszewski werden.“ Der Prozess des Kennenlernens beginnt in den Live-Shows und endet auf Instagram. Der Designer liefert dort ständig Futter. In einer Insta-Story regt er sich auch mal über den achtlos weggeworfenen Müll auf der Straße auf.

Sympathie und Zugänglichkeit sind wichtig, denn QVC will das Gefühl von einer Community erzeugen, in der man sich sicher fühlen und auch modisch mal etwas mehr riskieren könnte. Man glaubt Tomaszewski gerne, wenn er sagt: „Man darf sich nicht verstellen. Du bist Du.“ Die Emotionen der Moderation jedoch werden per Knopf im Ohr aus dem Regieraum gesteuert, der die Verkaufszahlen im Auge behält, die vor der Sendung festgelegt wurden. Das unterscheidet dieses Geschäftsmodell von einfachen Bestellplattformen. So lassen sich neben dem Neuesten aus der TV-Show „Höhle der Löwen“ und Haushaltshelfern auch immer mehr hochpreisige Marken von Kitchen Aid bis Bang & Olufsen bewerben.

Mit 93 Prozent hat QVC eine der höchsten Raten bei den Wiederholungskäuferinnen. Stammkundinnen bestellen im Schnitt 25 Mal pro Jahr. Wer ihre Herzen gewonnen hat, dem helfen sie auch durch Krisenzeiten. „Bei QVC habe ich entdeckt, dass ich mehr zu bieten habe – meine Personality. Natürlich muss man es mögen, sich zu präsentieren“, sagt Tomaszewski.

Das wäre überhaupt nicht das Ding von Malaika Raiss. „Ich habe bei der Journelles-Aktion gesehen, dass ich nicht mein Leben teilen muss, um meine Inspiration zu teilen.“ Eigentlich würde sich die Designerin wünschen, dass diese Arbeit von Einzelhändlern übernommen würde, die nicht nur etwas verkaufen, weil ein bekannter Markenname draufsteht. „Wenn das nicht stattfindet, ist es an uns, zu informieren, ob auf Instagram-TV oder QVC. Corona tritt dir in den Arsch, endlich Dinge zu tun, die schon lange anlagen“, sagt deshalb Malaika Raiss drastisch.

Ingolf Patz

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