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Grit Seymour als Model in den achtziger Jahren in der DDR.

© imago/PEMAX Model

Mode in der DDR: Der Befreiungsschlag der Grit Seymour

In der DDR Mode studieren? Mit 17 wusste Grit Seymour davon nichts. Heute ist sie eine international erfolgreiche Designerin

Grit Seymour lehnt sich in dem rosafarbenen Sessel zurück, lächelt und schaut auf den wolkenverhangenen Berliner Himmel. Der Gedanke gefällt ihr: Dass sie genau hier sitzt, wo einst die Mitglieder des Politbüros über die Geschicke der Stadt bestimmten. „Schon dafür lohnt es sich, im Soho House Mitglied zu sein.“ Grit Seymour hat ihre Träume verwirklicht, obwohl die Parteigenossen damals alles versuchten, sie daran zu hindern.

Die Professorin für Modedesign an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) kommt gern in das Gebäude an der Torstraße, das heute einen privaten Club beherbergt, um über ihre Vergangenheit in der DDR zu sprechen. Die ist so voller Wendungen und Zufälle, dass sie der Plot zu einem Spielfilm sein könnte. Genau deshalb berät Seymour jetzt die Produzentin Tanja Ziegler und Regisseurin Aelrun Goette für den Kinofilm über eine junge Frau, die als Model für die Zeitschrift „Sibylle“ entdeckt wurde. Es geht um die Mode in der DDR, und die war für Grit Seymour als junges Mädchen das Ziel ihrer Träume.

Sie nähte Kleider für Margot Honecker

Für eine Modenschau der Kunsthochschule Weißensee fuhr sie extra von ihrer Heimatstadt Halle nach Berlin, da war sie schon für ein Medizinstudium eingeschrieben. „Ich dachte, ein Modestudium gibt es gar nicht.“ Am Rande der Schau wurde sie nicht nur von einer späteren Kommilitonin als Model entdeckt, dort entschloss sie sich auch, dass sie Mode studieren wollte. Erst einmal musste sie eine Schneiderlehre beim Modebetrieb „Exquisit“ hinter sich bringen. „Ich habe Kleider für Margot Honecker aus französischer Seide genäht“, erzählt sie. Eingefädelt hatte das Arthur Winter, Professor und Chef von Exquisit.

Doch kaum hatte ihr Studium begonnen, war es auch schon wieder vorbei. Von einer Rückreise aus der Tschechoslowakei wurde sie aus dem Zug geholt. Eine Schallplatte von Nina Hagen, ein Buch von Max Frisch, eines von Erich Fromm und das Magazin „Spiegel“ fand die Staatssicherheit in ihrer Tasche – Grit Seymour stand da schon länger unter Beobachtung. In der Schule war sie Teil der Bewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ gewesen, sie hatte sich heimlich mit aus der DDR ausgewiesenen Klassenkameraden getroffen. In ihrem Schulzeugnis stand: "Ihre positive Haltung zu unserem Staat zeigt sie nicht."

Zur Strafe stand sie im Kombinat VEB Jugendmode Mühlhausen am Band

Auf Bewährung wurde sie in die Produktion geschickt. Statt Kleider zu entwerfen, stand sie im Kombinat VEB Jugendmode Mühlhausen am Band und wurde immer wieder gedrängt, in die Partei einzutreten, um ihren Fehler wettzumachen. Als sie sich weigerte, wurde Grit Seymour exmatrikuliert. Der 20-Jährigen war klar, in der DDR würde sie keine Zukunft als Designerin haben. Sie stellte einen Ausreiseantrag.

Bis zu dem Tag im Herbst 1988, als ihr mitgeteilt wurde, dass sie in wenigen Stunden ausreisen müsse, verdiente sie ihr Geld weiter als Model. „Warum es keinem auffiel, dass eine unerwünschte Person als Covergirl des Magazins ,Sibylle’ lächelt, ist mir bis heute schleierhaft“, sagt sie. Nach drei Tagen im West-Berliner Notaufnahmelager fuhr sie an die damalige Hochschule der Künste und traf auf ihren nächsten Professor, den West-Berliner Designer Uli Richter. Der sah sich ihre Arbeiten an und immatrikulierte sie mit den Worten: „Nehm wa.“

Grit Seymour, Professorin für Modedesign an der Hochschule für Wirtschaft und Technik
Grit Seymour, Professorin für Modedesign an der Hochschule für Wirtschaft und Technik

© HTW

Grit Seymour hatte drei verlorene Jahre nachzuholen, da begannen ihre Kommilitonen zu streiken. Kurzerhand bewarb sie sich für einen Austausch ans Central Saint Martins College nach London. Der Grund für ihre Wahl war profan: „Ich hatte schon im Osten in der "Bravo" darüber gelesen, die Sängerin Sade hatte dort studiert.“ Auf der Schule traf sie auf Stella McCartney, Philip Treacy, Alexander McQueen, die alle eine Weltkarriere vor sich hatten. „Nach drei Monaten bin ich einfach geblieben und habe mein Studium beendet“, sagt sie.

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Während dieser Zeit modelte sie für internationale Marken und Magazine. Am 9. November 1989 wurde sie gerade in Mailand für Giorgio Armani und Versace fotografiert. Als sie von der Grenzöffnung erfuhr, fuhr sie zum Flughafen und buchte einen Flug nach Schönefeld. „Erst als ich ein Hotel mit Devisen gebucht hatte, haben sie mich reingelassen.“ Endlich konnte sie ihre Freunde wiedersehen.

In den Jahren danach hat Grit Seymour so viel gearbeitet, wie sie nur konnte – bei Max Mara in Italien, Donna Karan in New York. Es folgten Jobs bei Boss und Wolford, sie wurde Professorin an der Universität der Künste, vor gut zwei Jahren wechselte sie an die HTW. 1998 wurde ein Traum wahr, als sie Chefdesignerin des französischen Labels Daniel Hechter wurde. Eine Freundin hatte ihr noch zu DDR-Zeiten gesagt: „Du wirst einmal die erste Ostdeutsche sein, die eine Modenschau in Paris zeigt.“ Sie hatte Recht behalten.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels war von Regina Ziegler die Rede, tatsächlich ist die Produzentin Tanja Ziegler gemeint. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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