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Schwitzen für die Mode. Das ist die aktuelle Kollektion "Snow Blind" von Mundi, die in Kooperation mit  66°NORTH entstand. Mundi gehört zu den bekanntesten Designern Islands. 

© promo

Mode aus Island: Wolle ist Gold

Wer in Island Mode macht, der hat immer auch ein bisschen Lust zu spielen

Island ist wie die Mafia, heißt es in der Kreativszene: Jeder schuldet jedem einen Gefallen, und man kann praktisch nicht Nein sagen. „Ich schulde eine Menge Gefallen“, bestätigt auch Guðmundur Hallgrímsson, der Mundi genannt wird wie sein Modelabel. Vor drei Wochen ist der Isländer nach Berlin gezogen. Nicht etwa aus Angst vor der heimischen Mafia – er probiert etwas Neues aus, mal wieder. Bereits mit 19 Jahren entwarf er die ersten poppigen Wolloutfits, zeitweise wohnte er in Paris. Mundi hat bisher 14 Kollektionen entworfen, so manche avantgardistische Schau konzipiert, bei Kunstprojekten mitgewirkt und surreale Videos gedreht. Heute ist er 26 Jahre alt. „Bei mir beginnt jedes Projekt mit Zeichnungen“, sagt der gelernte Grafikdesigner. „Daraus entstehen Geschichten und schließlich eine neue Welt.“ Wie in dem Video, mit dem Mundi im März auf dem Reykjavík Fashion Festival seine neue Kollektion „Snow Blind“ präsentierte. Die Outfits sind in Kooperation mit der isländischen Outdoor-Marke 66°North entstanden. Die wollten ein cooles Image, Mundi interessierte die Herausforderung. Das Budget für den Begleitfilm war gering, also bat er mal wieder seine Freunde um Hilfe – die Hauptrolle übernahm Tómas Lemarquis. Er ist ein bekannter Schauspieler, wie so mancher isländische Kreative lebt auch er schon seit Jahren in Berlin. In Island ist es selbstverständlich, einander zu helfen. Das hat Tradition auf der abgelegenen Insel im hohen Norden Europas mit ihren knapp 320 000 Einwohnern. Außerdem arbeiten viele Isländer in mehreren Jobs und finanzieren sich so ihre kreativen Abenteuer. Die wenigsten Künstler und Designer planen ein, von ihren Projekten leben zu können. Das kann ein Vorteil sein: Wer sich nach keinem Markt richtet, ist experimentierfreudiger. Auch Mundi sagt: „Ich mache Mode nicht, um damit reich zu werden. Meine Kollektionen werden immer eher Avantgarde sein.“ Sein aktuelles Abenteuer in Berlin ist die Konzeption eines Computerspiels, es soll ein „episches Lifestyle-Spiel“ werden. „Wir entwerfen gerade eine neue virtuelle Welt“, sagt er: „Es soll die am meisten entwickelte Welt sein, die je ein Mensch gesehen hat.“ Das Projekt hat für ihn auch eine philosophische Komponente. Parallel dazu arbeitet er an der nächsten Winterkollektion, wieder in Kooperation mit 66°North. Die Outdoor-Marke übernimmt die Produktion der Jacken, Hosen und Pullover. Das kleine Häuschen im Zentrum Reykjavíks ist gleichzeitig seine Wohnung. Er hat die Lichtschalter so gepolt, dass, sobald seine Mitarbeiter das Studio betreten, auch in seinem Wohnbereich das Licht aufleuchtet. Anfangs schreckte es ihn noch aus dem Schlaf, später irritierte es nur noch den gelegentlichen Damenbesuch. Seinen Laden hatte Mundi bis vor kurzem mitten auf der Straße Laugavegur – sie ist der Hot Spot des Nachtlebens und die Shoppingmeile der isländischen Hauptstadt. Während die allseits bekannten, teuren und günstigen Modeketten in Reykjavíker Einkaufscentern vertreten sind, zeigen die meisten einheimischen Designer ihre Kollektionen in den wellblechverkleideten Häusern von 101 Reykjavík. So heißt das zentrale Viertel, wo auch der Laugavegur liegt. Hier und in den angrenzenden Straßen befinden sich rund vierzig Boutiquen, die meisten werden direkt von den Designern betrieben. Steinunn zum Beispiel war früher Head-Designerin bei Calvin Klein und Gucci, weiter oben bei KronKron gibt es farbenfrohe Kleider und extravagante Schuhe. Im bonbonbunten KronKron-Shop verkaufte Mundi einst seinen allerersten Pullover, den er zum Spaß für sich entwarf – und der plötzlich sehr begehrt war. Der Laden ist der ideale Ausgangspunkt, um den aktuellen isländischen Stil zu erkunden. Die Isländerinnen geben sich Mühe, individuell auszusehen, und sei es durch eine silberne Netzstrumpfhose oder eine glitzernde Papageitaucher-Brosche. Besonders ist auch der ausgefallene Haarschmuck von Thelma Design, den schon Popstars wie Björk und Emilíana Torrini trugen. Die Designerin fertigt alles in Handarbeit an. Inspiriert dazu hat sie ihre Großmutter, die bis heute mitstickt und -häkelt. Ihre Kreationen passen ideal zum Style der Isländerinnen. Der ist verspielt und couragiert – zumindest in 101 Reykjavík. Seit einiger Zeit wandelt sich der Laugavegur. Schon immer war es so, ähnlich wie in Berlin-Mitte oder Prenzlauer Berg, dass hier ständig Läden öffneten, Monate später wieder schlossen und ein paar Häuser weiter neu eröffneten. Mittlerweile weichen einige Boutiquen oder Bars Souvenirshops. Die steigende Anzahl von Touristen verändert besonders im Sommer das Lebensgefühl der Reykjavíker. Als mutig empfindet es die Designbranche, dass vor fünf Monaten mit Atmo am Ende des Laugavegur ein Geschäft eröffnete, in dem über 70 Designer aus verschiedenen Bereichen ihre Arbeiten zeigen – neben fellüberzogenen Hockern, Accessoires wie Ketten sowie Kindermode ist hier nun unter anderem auch die Mode von Mundi beheimatet.

Die Hand drauf. Vík Prjónsdóttir sind von links nach rechts: Brynhildur Pálsdóttir, Þuríður Sigurþórsdóttir und Guðfinna Mjöll Magnúsdóttir. Neuerdings arbeitet Vík Prjónsdóttir mit dem britischen Label Eley Kishimoto zusammen.
Die Hand drauf. Vík Prjónsdóttir sind von links nach rechts: Brynhildur Pálsdóttir, Þuríður Sigurþórsdóttir und Guðfinna Mjöll Magnúsdóttir. Neuerdings arbeitet Vík Prjónsdóttir mit dem britischen Label Eley Kishimoto zusammen.

© Ari Magg

Auf einer großen Truhe liegen die Healing Hands der Marke Vík Prjónsdóttir. Der lange Schal mit den übergroßen Händen ist derzeit eines der erfolgreichsten Designprodukte Islands. Vielerorts sieht man die Reykjavíker damit durch die Straßen spazieren, auch im Café Bergsson wärmen sie am Nebentisch einen Gast, wo zwei der drei Designerinnen sitzen</SB>. „Ich kriege immer noch Herzklopfen, wenn ich jemanden mit unseren Schals sehe“, sagt Brynhildur Pálsdóttir. Gemeinsam mit Guðfinna Mjöll Magnúsdóttir und einer dritten Kollegin betreiben sie Vík Prjónsdóttir. Hinter jeder Kreation steckt dabei eine eigene Geschichte oder ein Mythos. Die Healing Hands sollen an Schamanen aus Alaska erinnern, die mit ihren Händen heilen können. Alle Produkte der Marke sind aus isländischer Wolle hergestellt. Durch die Isolation auf der Insel entwickelten die Schafe in den vergangenen eintausend Jahren eine einzigartige Wolle. Das lange Außenhaar ist widerstandsfähig und wasserabweisend, die innere Schicht besteht aus kürzerem, feinem Fell, das isoliert und vor der Kälte schützt. Die Lopapeysas, die Islandpullis mit dem traditionellen Zackenmuster am Kragen, sind wärmende Pullis und Regenjacken zugleich. Seit einigen Jahren schon erfreut sich das Material wieder großer Beliebtheit. „Ull er gull“ – „Wolle ist Gold“, sagt Guðfinna. Dieses lokale Gold nutzen sie, um daraus fantasievolle Decken, Umhänge und eben die Healing Hands zu entwickeln. Eigentlich sind sie Produkt- und keine Modedesignerinnen, aber durch ihre Schals sind sie dazu geworden. Genau dieser Mix der Genres macht das isländische Design so überraschend und interessant.

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