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Leise Sprache der Zeichen. Während die große Markenmode in der Krise steckt, suchen die Modeabsolventen nach Formen abseits von Verkaufsstatistiken und Rentabilität.

© Pawel Kocan; Models: Annie – Girls Club Management, Clara – Tigers Management

Mode: Weniger Show, mehr Seele

Für die neue Generation von Designern steht die Mode selbst im Vordergrund. Das war nicht immer so.

Mode ist nicht immer ein Volkssport gewesen, lange Zeit war sie ein Privileg des Adels. Ob man die Briefe liest, die Madame de Sévigné im 17. Jahrhundert ihrer Tochter schrieb, oder die vor einem Jahrtausend von der japanischen Hofdame Murasaki verfasste „Geschichte vom Prinzen Genji“: Neuheiten der Mode, Stoffe, Farben, Drappagen, Dekor, Haarstile und Haltungsfragen nehmen einen großen Teil des Interesses ein. Es gibt eine Erwartungshaltung hinsichtlich des Erscheinungsbildes namhafter Persönlichkeiten, die neben Glanz und Prunk auch das vom Bekannten abweichende Neue goutiert. Denn Kompetenz für das Spektakuläre ist seit jeher ein wesentliches Element in der Machtdemonstration der Eliten. Insofern ist die Aufmerksamkeitsökonomie keine Erfindung unseres Jahrhunderts. Die Schaulust ist schon in der Tierwelt virulent, wo ein farbenfroheres Gefieder den Reproduktionserfolg begünstigt. In der menschlichen Gesellschaft führte die Begrenztheit der Mittel von selbst dazu, dass Mode ein Vorrecht weniger blieb; anderenfalls sorgten Kleiderordnungen dafür, dass nur ein illustrer Kreis auf ihre Strategien zurückgreifen durfte.

Begnadete Schneider wurden im 19. Jahrhundert wie Aktien gehandelt

Schon feudale Repräsentationsformen beruhten auf einer Fluidität, die für demokratische Gesellschaftsstrukturen selbstverständlich geworden ist. Wer bei Hofe gefiel, durfte sich Chancen ausrechnen, und im Wettstreit der Günstlinge war jedes Mittel recht. Persönliche Distinktion verdankte sich der Kunst begnadeter Schneider, deren Namen im 19. Jahrhundert der Dandys wie Aktien gehandelt wurden. In Zeiten des Absolutismus reisten hölzerne Mannequins mit den neuesten Pariser Looks ausstaffiert in alle europäischen Residenzen. Und Elizabeth I. schockiert bis heute durch die exklusive Grandezza der Kleider, in denen sie vor ihre Porträtmaler trat. Wenn es darum ging, Staat zu machen, ob bei Zeremonien, Umzügen oder hochherrschaftlichen Besuchsprogrammen, war blendende Mode ein entscheidender Trumpf.

Im vergangenen Jahrhundert hat das Modedefilee die Paraden und höfischen Festzüge abgelöst. Es dauerte erstaunlich lange, bis das Showpotenzial in dieser Präsentationsform wahrgenommen wurde. Bis in die 60er Jahre war die Modenschau ein Serviceunternehmen, das die vermögende Kundin nicht brüskieren wollte. Die Vorführdamen waren diskret und züchtig, das Ambiente sachlich, der Fokus lag ganz auf den Kleidern, mit denen sich die Kundin in aller Ruhe beschäftigen konnte. Erst als die Mode die Jugend entdeckte, wendete sich das Blatt. Nun durften Models auf dem Laufsteg tanzen, Gefühle und Persönlichkeit zeigen. Als die Runways in den 80ern vom Maximalismus angesteckt wurden, machten die Kronleuchter grellen Spotlights Platz, die im verdunkelten Auditorium alle Aufmerksamkeit auf sich zogen. Das Defilee mutierte zum einschüchternden Spektakel. Die Laufstege wurden höher, die Musik aggressiver, sexueller und lauter, die Zuschauerzahlen vervielfachten sich, und die göttlichen Vorführdamen hießen jetzt Supermodels. Spezialisten für Soundtrack, Mise-en-scène, Casting, Styling, Hair und Make-up verwandelten die Modenschau in eine neue Art von Gesamtkunstwerk.

Designer wie Alexander McQueen, John Galliano bei Christian Dior und Tom Ford bei Gucci bevorzugten nun den Titel des Creative Directors und inszenierten ihre vielschichtigen Shows so minutiös wie ein Hollywood-Großprojekt. Es ging nicht mehr darum, eine Kollektion über Stunden erschöpfend vorzuführen, es ging ums Marken-Statement, um die Attitude, um ein Eintauchen in die Phantasmen einer spezifischen Design-Ästhetik. Bei Prada war der Zauber nach 15 Minuten vorbei. Doch diese Viertelstunde tätowierte sich dem Gedächtnis durch Multimedia-Screens, betäubende Musik, extremes Styling und charakterstarke Models unauslöschlich ein.

Die Absolventen suchen nach Alternativen für die Präsentation ihrer Arbeit

Während Pariser Couturiers bis in die 60er Jahre Fotografen von ihrer Schau ausschlossen, war der Kamerapulk am Ende der Runway jetzt der Hauptadressat. Anfang des 21. Jahrhunderts kam die Phalanx der iPhone-Kameras hinzu, deren blaues Licht Sitz für Sitz in der Dunkelheit glühte. Aus dem intimen Salon betuchter Kunden war durch das Netz eine Bühne für die ganze Welt geworden, die in Realzeit am Ereignis partizipierte. Die Modeindustrie hatte begriffen, dass die Schaulust kostbare Mythenbildung betrieb und die Kundschaft dazu brachte, nicht nur das zu kaufen, was ihr stand und ihrem Typ entgegenkam, sondern alles, was sie fetischhaft mit der Markenpräsenz zu verbinden vermochte. Kleidung wurde Nebensache. War die Show nur imposant genug, dann konnte man endlos Handtaschen, Düfte und Sneakers mit entsprechendem Logo auf dem Markt platzieren.

Kein Wunder, dass die Marken hemmungslos in ihre Shows investierten. Karl Lagerfeld ließ für Chanel einen Eisberg ins Pariser Grand Palais bringen, pflanzte eine ausgewachsene Baum-Allee auf den Laufsteg und baute einen Supermarkt ausschließlich mit Chanel-Produkten auf. Louis Vuitton ließ eine antike Lokomotive in den Cour carrée du Louvre einfahren, der die Models als Orientexpress- Phantasmagorie entstiegen. Große Marken frischten ihr Renommee durch Künstler-Kooperationen auf und fütterten die Sozialen Medien durch VIPs in den ersten Reihen.

Angesichts der Muskeln, die Big Players der Mode auf dem Laufsteg spielen ließen und lassen, ist es kein Wunder, dass junge Marken aus dem Geschäft gedrängt werden. Ohne spektakulären Show-Wert und globale Resonanz fehlt ihren Defilees die Relevanzanmutung. Die Entfaltung der Mode zum globalen Corporate Business ist auch an den Modeakademien nicht spurlos vorübergegangen. Die Absolventen sind kaum motiviert, es mit dem erhabenen Medientheater von Paris, New York oder Mailand aufzunehmen. Sie suchen intensiv nach Alternativen für die Präsentation ihrer Arbeit, nach Formen, die auf Suggestivität, Hypnose und mediale Machtausübung verzichten. Dabei hilft ihnen die Einsicht, dass die große Markenmode in der Krise ist und aus der Megashow nicht zurückfindet. Performance heißt für diese Designergeneration eher die Konzentration auf die Mode selbst, die Kunst des Weniger, eine bewusst leise Sprache der Zeichen, eine Beiläufigkeit, die ironisch mit unserer Markenhörigkeit umgeht. Weniger Show verspricht heute mehr Seele: die Abwesenheit von Managementdruck, Verkaufsstatistiken und Rentabilität.

Die diesjährige Schau der UdK Berlin wird auf der Straße des 17. Juni, direkt neben der Ausbildungsstätte, stattfinden. Logenplätze sind die Sitze in am Rande der Runway geparkten Autos, von denen der Blick peripher auf das Gezeigte geht, wie auf den Straßen des wirklichen Lebens.

Die Autorin ist Professorin für Designtheorie am Institut für experimentelles Bekleidungs- und Textildesign der Universität der Künste Berlin.

Ingeborg Harms

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