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Die Zahl der Einsätze hat sich in den zurückliegenden 20 Jahren verdoppelt. Die der Kollegen ist die gleiche geblieben. Foto: Paul Zinken/dpa

© Paul Zinken/dpa

Missstände bei der Berliner Feuerwehr: "Was hier passiert, gefährdet Menschenleben"

In Berlin ist die Feuerwehr selbst in Not geraten: Ihre Wagen sind veraltet, wichtige Ausrüstung fehlt. Navis lotsen die Rettungsteams direkt in den Stau.

Der Brocken Putz, der von der Decke gefallen ist, hat den Kopf des Kollegen knapp verfehlt. Dafür musste ein anderer in die Klinik, weil er im Treppenhaus über eine verbogene Metallschiene gestolpert und gestürzt ist. Der Fitnessraum darf nicht mehr benutzt werden, es heißt, das Gewicht der Hanteln könnte das Mauerwerk weiter beschädigen. In der Dusche sieht man Risse in der Wand. Die Decke ist großflächig versifft. Die Männer, die an diesem Donnerstag durch die Wache der Freiwilligen Feuerwehr Oberschöneweide führen, benutzen ziemlich häufig das Wort „Ruine“.

Unten in der Halle fehlt ein Löschfahrzeug. Es wurde vor Monaten vom Land Berlin eingezogen, wird laut Prioritätenliste auf einer Wache der Berufsfeuerwehr dringender benötigt. Das jetzt noch verbliebene ist von 1999 und damit so alt, dass es kaum noch Ersatzteile gibt. Jeder Unfall könnte bedeuten, dass es verschrottet werden muss. Einer der anwesenden Männer heißt Sascha Guzy, er ist Vorsitzender des Landesfeuerwehrverbands. Guzy sagt: „Was Sie hier sehen, ist nur ein Beispiel von vielen.“

Seit Monaten klagen Berlins Feuerwehren über Unterfinanzierung und Missstände. Es gab Proteste vor dem Roten Rathaus. Der Landesfeuerwehrverband fordert 100 Millionen Euro als Soforthilfe für die Anschaffung von modernen Löschfahrzeugen – Berlins Feuerwehr stehe kurz vor der Handlungsunfähigkeit. Im Regeleinsatzdienst der Brandbekämpfung, aber auch im Katastrophenschutz drohe der totale Zusammenbruch. Klingt dramatisch – gerade jetzt, im rekordtrockenen Hochsommer, wo selbst herumliegende Glasscherben Feuer entfachen können, öffentliches Grillen größtenteils verboten ist und jeder Funke einen Flächenbrand auslösen kann.

Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) lehnt die 100-Millionen-Forderung ab. Ist sie übertrieben? Und was genau meinen die Feuerwehrleute eigentlich damit, wenn sie sagen: Was hier geschieht, gefährdet Menschenleben?

Bei einem Einsatz in der Furtwänglerstraße im Juli.
Bei einem Einsatz in der Furtwänglerstraße im Juli.

© Soeren Stache/dpa

Das verbliebene Löschfahrzeug in Oberschöneweide hat 50 000 Kilometer auf dem Tacho. Das ist einerseits viel, wenn man bedenkt, dass sich die Zahl vor allem aus kurzen Strecken durch die Stadt unter hohem Zeitdruck zusammensetzt. Andererseits ist es wenig im Vergleich zu den Wagen anderer Wachen, die bereits mehr als 250 000 Kilometer im Einsatz waren. Der Fuhrpark der Berliner Feuerwehr ist stark überaltert. 80 Prozent der 108 Löschfahrzeuge haben die vorgesehene Nutzungsdauer von 14 Jahren überschritten. Dasselbe gilt für die Rettungswagen. Mitarbeiter klagen über großflächigen Rost, undichte Stellen, kaputte Trittstufen. Bei vielen Wagen lassen sich nicht mehr alle Türen verriegeln. Deshalb kommt es immer wieder vor, dass aus Rettungswagen im Einsatz geklaut wird. Jacken, Ausrüstung, Wertgegenstände.

Die Software der Navigationsgeräte, mit denen alle Löschfahrzeuge und Rettungswagen der Stadt ausgestattet sind, wurde aus Kostengründen lange nicht erneuert. Sie basiert auf Kartenmaterial aus dem Jahr 2009. In der Zwischenzeit geänderte Straßenverläufe, neu errichtete Häuser, ganze Neubauviertel sind nicht verzeichnet. Ein erfahrener Feuerwehrmann sagt: „Würde ich mich auf die Anweisungen des Navis verlassen, würde ich regelmäßig frontal in Häuserfassaden rasen.“ Besonders fatal sei, dass die Geräte keine aktuellen Baustellen oder Staus anzeigten. Deshalb berechneten sie im Ernstfall selten den schnellsten Weg, sondern schickten die Rettungswagen auf Blaulichtfahrten direkt ins Verkehrschaos. Erst am Montag wollte ein Navi einen Wagen im Notfalleinsatz, der von Steglitz nach Charlottenburg musste, über die zugestaute A 100 dirigieren. Die Kollegen mussten sich auf gut Glück einen Weg durch die Nebenstraßen suchen.

Der Landesfeuerwehrverband bezweifelt, dass die Politik die Brisanz der Lage verstanden hat.
Der Landesfeuerwehrverband bezweifelt, dass die Politik die Brisanz der Lage verstanden hat.

© Soeren Stache/dpa

In der Voltairestraße nahe dem Alexanderplatz sitzt Mario Busch, 36, von der Gewerkschaft GdP in einem Besprechungszimmer der Feuerwache Mitte. Er hat die Protestkampagne „Berlin brennt“ mitinitiiert. Er sagt, die Navigationsgeräte seien eine Katastrophe. Kollegen würden im Einsatz am liebsten ihre privaten Mobiltelefone mit den dort aufgespielten Navi-Apps verwenden. Dürfen sie aber aus Datenschutzgründen nicht. Denn das würde bedeuten, dass die sensiblen Informationen ihrer Fahrten, Zeiten und Routen, automatisch an einen Konzern übertragen würden.

Um zu begreifen, wie schwerwiegend das Navi-Problem ist, sagt Busch, müsse man verstehen, warum seine Kollegen überhaupt darauf angewiesen sind. Aufgrund der jahrelangen Sparmaßnahmen und Personalknappheit sei es inzwischen Standard geworden, dass Feuerwehrleute weit außerhalb ihres gewohnten Reviers, des sogenannten „Ausrückebereichs“, zu Einsätzen gerufen werden. Entweder weil die näher gelegenen Wachen nicht genug Löschfahrzeuge haben – oder weil die Feuerwehrmänner kurzfristig in andere Reviere ausgeliehen wurden. Das sei auch deshalb ungünstig, weil in Berlin Wagen unterschiedlicher Hersteller mit jeweiligen technischen Eigenheiten eingesetzt würden. Nur der Mangel, der sei in Berlin weitestgehend einheitlich.

Zum Beispiel die Handschuhe. Üblicherweise, sagt Mario Busch, würden zwei verschiedene Typen benötigt: ein robuster, den man beim Löschen eines Brandes trägt, und einer für filigranere Tätigkeiten im Einsatz. Wenn man mehr Gefühl in den Fingern braucht, aber trotzdem vor Splittern und Scherben geschützt sein will, etwa bei einem Verkehrsunfall. „Jede Provinzfeuerwehr hat solche Handschuhe“, sagt Busch. „Nur die größte von Deutschland nicht.“ Um trotzdem arbeiten zu können, bringen viele Feuerwehrmänner private Handschuhe mit. Falls dann aber etwas schiefgeht, gilt das nicht als Dienstunfall.

80 Prozent der Löschfahrzeuge auf Berliner Wachen sind veraltet.
80 Prozent der Löschfahrzeuge auf Berliner Wachen sind veraltet.

© imago/Seeliger

Oder die Funkgeräte. Die funktionieren in einem alten Digitalnetz, das nicht ausgebaut und schlecht gepflegt ist. Sobald ein Rettungssanitäter ein Gebäude mit dicken Betonwänden oder zum Beispiel ein Einkaufszentrum betritt, wird der Empfang unterbrochen. Dann kann der Sanitäter keine Verstärkung anfordern.

Dafür befinden sich auf den Löschfahrzeugen Geräte, deren Funktionen die Kollegen nur teilweise kennen. Das sogenannte Halligan-Tool etwa, eine Art Brechstange, in den USA erfunden. Seit Jahren liegt es in jedem Löschfahrzeug. Von den eigentlich Dutzenden Einsatzmöglichkeiten, darunter etwa Schlösser ziehen oder Motorhauben öffnen, sind den meisten Kollegen lediglich die zwei bekannt, auf die jeder kommt: Türen öffnen, Fenster einschlagen.

Die Ausbildung sei mangelhaft, sagt Stefan Ehricht, Betriebsgruppensprecher von Verdi. Das gelte auch für den Umgang mit den Löschmitteln. Früher wurde in Berlin nur Wasser verwendet. Seit einigen Jahren stellt die Feuerwehr auf sogenannten „Caf“ um – einen Schaum, der im Einsatz viele Vorteile bietet. Er klebt an Wänden, dringt besser in Holz ein, zieht auch in Lücken, verdampft nicht. Wer den Umgang mit Caf üben will, kann das auf einem eigens eingerichteten Gelände in Heiligensee tun, sagt Ehricht. Allerdings nur außerhalb seiner regulären Schichten.

Dabei ist der Einsatz kompliziert: Die Menge des pro Wagen mitgeführten Schaums ist begrenzt, die Kollegen müssen vorher abschätzen, ob diese für das Löschen des kompletten Objekts reicht. Wenn ein Fahrzeug, nachdem sein Caf aufgebraucht ist, auf Wasser umsteigt, wird die Wirkung des Schaums aufgehoben.

Wochenlang protestierten Feuerwehrmänner vor dem Roten Rathaus.
Wochenlang protestierten Feuerwehrmänner vor dem Roten Rathaus.

© imago/Seeliger

Bei der Führung durch die Wache in Oberschöneweide sind Sascha Guzy und die anderen inzwischen im Schulungsraum angekommen.  Die zerschlissenen Couchgarnituren wurden in die Ecke geschoben, ein Großteil des Raums sieht aus wie eine Baustelle. Der Linoleumboden ist aufgerissen. Vor zwei Monaten gab es hier nachts einen Wasserschaden, der vom Land bereitgestellte Geschirrspüler hatte keinen Aqua-Stopp. „Hätte zehn Euro gekostet“, sagt ein Kollege. Und dann noch: „Es ist alles sehr deprimierend.“ 

Eigentlich sollte die Wache schon Ende der 1990er Jahre saniert werden. Die Senatsverwaltung hatte mehrfach Gelder in Aussicht gestellt, verlegte den Beginn der Arbeiten dann aber immer wieder nach hinten. Irgendwann hieß es: Eine Sanierung kommt wegen der Haushaltslage auf lange Sicht nicht in Betracht. Inzwischen, sagen die Männer vor Ort, gefährde der Gebäudezustand auch die eigene Nachwuchsarbeit. „Es gibt Eltern, die sich das Chaos anschauen und ihre Kinder entsetzt gleich wieder mitnehmen. So nach dem Motto: Das hier ist nicht euer Ernst, oder?“ Doch es gibt Hoffnung. Mit Mitteln des Bau-Investitionsfonds Siwana soll die Wache nun grundsaniert werden. Inzwischen sind Gelder bewilligt. Wenn die Planungen günstig verlaufen, wären die Mängel bis Ende 2021 beseitigt.

Die Innenverwaltung will berlinweit auch das Personal aufstocken, verspricht 350 neue Stellen. Viel zu wenig, sagt Mario Busch von „Berlin brennt“ – das „Loch, was wir stopfen müssen, ist deutlich größer“. Während die Zahl der Kollegen in den vergangenen 20 Jahren mit etwa 3500 konstant blieb, hat sich die Zahl der Einsätze verdoppelt, liegt inzwischen bei 450 000 pro Jahr, mehr als 1200 täglich. Laut Busch liegt das auch daran, dass der Rettungsdienst zunehmend wegen Nichtigkeiten gerufen werde. „Ein Kollege stand im Wohnzimmer einer älteren Frau, die den Notruf gewählt hatte. Ihr Problem war, dass sie mit einer Creme ihren Rücken einreiben wollte, aber an manche Stellen nicht drankam.“ Andere wurden wegen Sonnenbrand gerufen oder weil jemand etwas zu essen gebracht haben wollte. Die Feuerwehr ist verpflichtet, sich um jeden zu kümmern, der dringend Hilfe benötigt.

Die Überbelastung wiederum führt zu einer hohen Krankheitsquote unter den Kollegen, jeder Feuerwehrmann war zuletzt durchschnittlich 48 Tage im Jahr krankgeschrieben.

Berlins Feuerwehr stehe kurz vor der Handlungsunfähigkeit, warnt der Landesfeuerwehrverband.
Berlins Feuerwehr stehe kurz vor der Handlungsunfähigkeit, warnt der Landesfeuerwehrverband.

© imago/snapshot

Die Unterbesetzung könnte sich verschärfen. Anfang September tritt die 44-Stunden-Woche in Kraft. Die vier Stunden weniger bei gleicher Bezahlung kommen zwar einerseits einer indirekten Gehaltserhöhung um acht Prozent gleich – wobei man wissen muss, dass Feuerwehrleute nirgendwo sonst in Deutschland so wenig Geld erhalten wie in Berlin. Andererseits bedeutet die Anpassung auch eine zusätzliche Personallücke. Die sogenannten Drehleitern, Einsatzwagen mit aufmontierter ausfahrbarer Leiter, sollen künftig nicht mehr automatisch mit Personal besetzt werden. Braucht man sie, werden Kollegen vom Löschfahrzeug derselben Wache abgezogen, die dann nur noch mit insgesamt sechs statt acht Männern in den Einsatz fährt.

Sascha Guzy, der Vorsitzende des Landesfeuerwehrverbands, glaubt, das Gros der Landespolitik habe noch gar nicht begriffen, wie brisant die Lage ist. Selbst wenn der Senat plötzlich doch einlenke und genügend Geld für Löschfahrzeuge freigebe, würde es mehrere Jahre von der Bestellung bis zur Auslieferung dauern.  

Im vergangenen Jahr hat die Feuerwehr vier neue Löschfahrzeuge eingekauft. Der allerneueste Stand in Deutschland. Jeder Wagen hat drei Computer an Bord. Allerdings, sagt Mario Busch von „Berlin brennt“, seien die Fahrzeuge technisch so hochgerüstet, dass es mehrere Minuten dauere, die Systeme hochzufahren. Und immer wieder kommt es zu Fehlfunktionen. Zum Beispiel verfügen die Wagen über einen automatischen Bremsassistenten. Der schlägt Alarm, wenn der Abstand zu den Fahrzeugen nebenan zu gering wird – und reagiert mit einer Vollbremsung. Für Fahrzeuge, die im Notfalleinsatz durch eine Rettungsgasse müssen, ist das gefährlich. Monatelang gelang es nicht, den automatischen Bremsassistenten auszuschalten. Inzwischen besteht das Problem nur noch für drei der vier Wagen. Im April ist einer komplett ausgebrannt. Vermutlich wegen eines technischen Defekts.

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