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Viel Power. Nizaqete Bislimi ist im Kosovo geboren und flüchtete als Jugendliche mit ihrer Familie nach Deutschland.

© Kai-Uwe Heinrich

Minderheiten: „Die Menschen haben ein einseitiges Bild von uns Roma“

Nizaqete Bislimi kam mit 14 Jahren als Flüchtling aus dem Kosovo nach Deutschland. Wie sie zur Rechtsanwältin wurde, beschreibt die Romni in ihrem Buch.

Sie könnte Italienerin sein, oder Griechin. Oder Albanerin? Wer Nizaqete Bislimi zufällig auf der Straße begegnet, macht sich sicher wenig Gedanken über ihre Herkunft - irgendetwas Südländisches, dürfte der Durchschnittspassant allenfalls denken. Was er vermutlich nicht erwartet: Diese junge Frau im eleganten schwarzen Mantel ist eine Romni. Sie gehört zum Volk der Roma und damit zu jener Minderheit, die Studien zufolge stärker als jede andere Minderheit abgelehnt wird.

„Die Menschen haben ein sehr einseitiges Bild von uns Roma“, sagt Nizaqete Bislimi. „Sie wissen gar nicht, dass wir eine sehr heterogene Gruppe sind, dass es viele Roma gibt, die ganz normal berufstätig sind und völlig unauffällig leben. Es ist eine Frage der Sichtbarkeit.“ Sichtbar sind diejenigen Roma und Sinti, die durch ihre Kleidung und ihr Verhalten als solche erkennbar sind. Diejenigen, die dem jahrhundertealten Bild vom fahrenden Volk nicht entsprechen, geben sich oft nicht zu erkennen. „Ich kenne viele Roma, die sich nicht geoutet haben“, sagt Bislimi, „und das kann ich ihnen nicht verübeln. Sie befürchten, dass sie dann Nachteile haben." Oder komisch angeguckt werden. Was, du, eine Romni?

14 Jahre lang lebte sie als Geduldete

Sie selbst hat ihre Herkunft auch lange Zeit verschwiegen. Nun aber spricht sie darüber, ist sogar Vorsitzende des Bundes Roma Verbands und hat ein Buch geschrieben: "Durch die Wand", heißt es, „Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin“. Darin erzählt Nizaqete Bislimi ihr ungewöhnliches Leben: Im Kosovo ist sie geboren, mit 14 kam sie als Flüchtling nach Deutschland und lebte mit ihrer Familie 14 Jahre lang als Geduldete in Flüchtlingsunterkünften, in ständiger Furcht vor der Abschiebung. Dennoch schaffte sie es, das Abitur zu machen und Jura zu studieren, und arbeitet heute als Rechtsanwältin in einer Essener Kanzlei, spezialisiert auf Fragen des Ausländer- und Asylrechts. Wer das Buch gelesen hat, ahnt, welche Kraft in dieser zarten Frau steckt, die so freundlich wirkt, aber so energisch wird, sobald es um die Belange der Roma und der Flüchtlinge geht.

"Warum strengst du dich so an?"

„Ich habe dieses Buch nicht geschrieben, um meine eigenen Leistungen hervorzuheben“, stellt sie gleich zu Beginn des Gesprächs klar. „Ich möchte damit andere Roma ermutigen, zu ihrer Herkunft zu stehen, möchte Roma-Kinder ermutigen, ihre Träume zu verfolgen. Das Buch ist auch ein Dank an meine Eltern und an diejenigen Deutschen, die meine Familie und mich unterstützt haben. Und hoffentlich erreicht es auch ganz normale Menschen, die vielleicht noch denken, alle Roma sind Nomaden.“

Wer das denkt, wird gleich auf den ersten Seiten eines Besseren belehrt: Nizaqete Bislimi stammt aus einem Dorf im Kosovo, in dem ihre Familie seit Generationen ansässig war, der Vater arbeitete als Agrartechniker, sie ging mit ihren Geschwistern ganz normal zur Schule, hatte eine glückliche Kindheit. Erst als die Spannungen zwischen der albanischen und der serbischen Bevölkerung im Kosovo zunahmen, floh die Familie 1993 nach Deutschland. „Wenn es Krieg zwischen zwei Volksgruppen gibt“, sagte damals ihre Großmutter, „sind wir die Ersten, die wie Körner zwischen zwei Mühlsteinen zermahlen werden. So war es immer.“

In Deutschland allerdings warten nur verschiedene Flüchtlingsheime auf die Familie. Nizaqete, immer schon wissbegierig und ehrgeizig, nimmt sich vor, die neue Sprache schnell zu lernen, sie beißt sich durch und gibt nie auf, obwohl die Familie nicht weiß, wie lange sie noch bleiben kann. Diese Unsicherheit empfindet sie als das eigentlich Belastende. „Warum strengst du dich so an, ihr werdet doch eh abgeschoben“, sagen die anderen Jugendlichen im Heim zu ihr. Notgedrungen begleitet sie ihre Mutter zu Behörden und zum Anwalt, übersetzt Anträge und Formulare für sie und entdeckt dabei ihre Liebe zur Juristerei. Sie schließt das Jurastudium ab, das sie als Geduldete eigentlich gar nicht hätte beginnen dürfen. Just in der Kanzlei, die den Fall der Familie Bislimi vertrat und endlich ihr Aufenthaltsrecht erstritt, arbeitet sie heute.

Nationalsozialistische Verbrechen an Roma und Sinti

Bislimi vertritt zum Beispiel Mandanten aus dem Kosovo, Roma und Nicht-Roma, die hier Asyl beantragen, und ärgert sich über eine Asylpolitik, die mit der Festlegung von „sicheren Herkunftsländern“ das Ergebnis von Verfahren quasi vorwegnimmt.

Die Zeit im Flüchtlingsheim liegt für Nizaqete Bislimi nun schon Jahre zurück, aber ihre Beschreibungen sind gerade jetzt aufschlussreich zu lesen. Sie bieten eine Binnensicht, die sich aufs Heute übertragen lässt: In zehn, 15 Jahren werden die heutigen Flüchtlingskinder womöglich ähnliche Erinnerungen aufschreiben – auch wenn die Ausgangssituation bei Flüchtlingen mit Bleibeperspektive eine andere ist.

Für ihr eigenes Volk wünscht sich Nizaqete Bislimi mehr Respekt, Verständnis, eine differenzierte Wahrnehmung und Sensibilisierung gegenüber antiziganistischen Vorurteilen. Dazu gehört auch, die nationalsozialistischen Verbrechen an den Roma und Sinti aufzuarbeiten und in den Schulen zu behandeln: „Damals sind viele aus der Elite getötet worden, und die Nachkommen haben es nicht geschafft, in das Bildungssystem reinzukommen.“ Jeder Mensch, jedes Roma-Kind müsse als Individuum gesehen und gefördert werden: „Das habe ich erfahren und deswegen sitze ich heute hier. Die Frau, die Sie als Romni wahrnehmen, weil sie auf dem kalten Boden bettelt, die hat einfach nicht so viel Glück gehabt wie ich.“

– Nizaqete Bislimi, mit Beate Rygiert: „Durch die Wand. Von der Asylbewerberin zur Rechtsanwältin“.

Dumont Buchverlag, Köln 2015. 256 Seiten. 19,99 Euro. Dieser Text erschien in der Beilage zur Diversity-Konferenz 2015 des Tagesspiegels. Mehr zum Thema Diversity lesen Sie hier.

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