zum Hauptinhalt
Aus dem Ei geschlüpft. Mit der Ausstellung des Preises des Präsidenten ermöglichen es die Galerie Nord und die UdK Berlin den drei Preisträgern, ihre Arbeiten in einem professionellen Rahmen zu zeigen.

© Daniel Nartschick

Meisterschüler: Raumspiele und Spielräume

Was bedeutet es, bildender Künstler, jung und zeitgenössisch zu sein? Drei Meisterschüler und Preisträger liefern drei sehr unterschiedliche Antworten.

Sie sind Künstler und frei, per definitionem, ab sofort. Die geschützten Räume und Ateliers der Hardenbergstraße haben sie hinter sich gelassen. Magdalena Mitterhofer, Claudius Hausl und Sandra Vater sind drei von insgesamt 66 Meisterschülern, die innerhalb der vergangenen zwölf Monate ihr Studium der Bildenden Kunst an der UdK Berlin mit der Meisterschülerprüfung abgeschlossen haben. Sie konnten die Jury des Meisterschülerpreises überzeugen und zeigen ihre Arbeiten nun in der Galerie Nord in Moabit, im Rahmen der „Ausstellung des Preises des Präsidenten der UdK Berlin 2019“.

Zwei Künstlerinnen und ein Künstler, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Für Magdalena Mitterhofer ist es gar die erste Ausstellung in einem „White Cube“ – dem typischen Ausstellungsraum mit weißen Wänden, in dem Gegenwartskunst seit etwa 100 Jahren vorwiegend gezeigt wird. Für die 24-jährige Künstlerin aus Südtirol hat der Ort einen zwingenden Einfluss auf ihre Arbeit. „Was wollen wir vom Kunstwerk? Was will das Kunstwerk von uns?“, fragt sie sich bei jeder Arbeit. „Vielleicht will es gar nicht in einem weißen Raum stehen, sondern zum Beispiel im Wald.“

Die Videoarbeit, die Mitterhofer zeigt, könnte auch im Internet stehen wollen. Der teils in schwarz-weiß gehaltene Film erzählt mit dezenter Ironie und in einer zwischen Realismus, Abstraktion und Verfremdung schillernden Ästhetik die Geschichte einer georgischen Game-Entwicklerin, die auf der Artificial-Intelligence-Messe arbeitet. Allerdings nicht als Vortragende, sondern als Hostess, deren Job darin besteht, bei der Roboter-Präsentation gut auszusehen und auswendig gelernte Marketing-Texte herunterzubeten.

Magdalena Mitterhofer bindet Ort und Publikum ein

Ihre filmische Inspiration zieht Mitterhofer aus einer bestimmten Netz-Ästhetik und nicht zuletzt aus der Arbeit von Experimentalfilmemacherin Hito Steyerl, in deren Fachklasse sie studierte. Für die Ausstellung fügte Mitterhofer dem Video einen Kontext hinzu: eine Installation und eine Performance. Auf Performances hat die Künstlerin in den vergangenen Jahren ihren Fokus gelegt. Mit Fiktionen und Fantasien, die Ort und Publikum einbinden, sucht sie wieder Arten, über Kunst zu sprechen. Die falsche Ehrfurcht vor dem Kunstapparat bringe einen Austausch darüber allzu oft zum Verstummen. Wer spricht wie? Wer darf sprechen? Wer wird erhört und warum? Das sind Fragen, die sie gezielt stellt. Machtverhältnisse beobachtet sie zurückgenommen, aber dennoch sehr scharf.

Auf ganz andere Weise beschäftigt sich Claudius Hausl, 31, mit Theatralik. Sein künstlerischer Ansatz besteht darin, Spiele aus der digitalen Welt ins Analoge zu übersetzen und Aktionsräume zu schaffen, in denen er viele Menschen einlädt, mitzuspielen und das Kunstwerk aktiv mitzugestalten. So ist an der Wand der Galerie Nord ein riesiger Schriftzug mit den Lettern „ENCOUNTERS“, also Begegnungen, zu lesen. Er besteht aus knapp 4000 in die Wand geschlagenen Nägeln, an jedem Nagel hängt ein Kettenanhänger. Besucher können sich eine Halskette basteln und ab sofort mit jeder Person, die ihnen mit diesem Erkennungszeichen begegnet, das Spiel „Schere Stein Papier“ spielen. Eine Art „Pokémon Go“ mit echten Begegnungen. Dass sich das Spiel im Stadtraum zwangsläufig verselbstständigt und er als Designer die Kontrolle darüber verliert, findet Hausl spannend. Der Einzelne nutzt das Spiel, ohne zu überblicken, welche Daten er wo hinterlässt – wie die Nutzer von Google oder Facebook. „Dennoch bin ich kein Netzpessimist“, sagt Hausl, „im Gegenteil, ich nutze die ganzen digitalen Werkzeuge, die mir zur Verfügung stehen.“ Zum Beispiel, um Festivals mit anderen Kreativen zu organisieren.

Bei Claudius Hausl hat Kunst einen pädagogischen Aspekt

Zunächst sind seine Spiele völlig inhaltsfrei, seine künstlerische Arbeit rein konzeptionell. Doch Hausl, der auch Philosophie auf Lehramt studiert hat und Kunst gern mit pädagogischen und didaktischen Aspekten verbindet, gefällt die Idee, dass das Regelwerk mit Inhalt gefüllt werden kann – wenn er etwa ein Anti-Rassismus-Training für eine Schulklasse entwickelt. Kaum zu glauben, dass Hausl mit seinem gesellschaftsorientierten Ansatz in der Bildhauer-Klasse von Karsten Konrad studiert hat.

Genauso wie Sandra Vater. Bei der 35-Jährigen besteht kein Irritationsmoment: Sie ist eine Bildhauerin, wie sie im Buche steht. In ihrem Teil der Ausstellung fällt zuallererst ein 7,40 Meter langer, haargenau gearbeiteter Holz-Zopf ins Auge. Eine Skulptur, die zwar phallisch in den Raum ragt, aber als Symbol für Weiblichkeit und gleichzeitig für eine Befreiung verstanden werden kann – wie die „abgeschnittenen Zöpfe“ der Studentenbewegung zur Zeit Napoleons. Den wuchtigen, 350 Kilo schweren Zopf hat die Künstlerin ein halbes Jahr lang Tag und Nacht mit Stechbeiteln aus einem Birkenstamm geschlagen – und das bei einer Körpergröße von 1,50 Metern.

Sandra Vater ist "contemporary, aber eigentlich ziemlich eingestaubt"

Mehrfach betont Vater ihre Liebe zur Tradition. „Ich bin contemporary, weil ich nun mal contemporary bin“, sagt sie, „aber eigentlich bin ich ziemlich eingestaubt.“ Immer wieder hatte sie das Gefühl, ihren Ansatz verteidigen zu müssen gegenüber Kommilitonen, deren Positionen dem künstlerischen Zeitgeist mehr entsprechen. Doch sie sucht nicht die Zwischenräume und Schnittstellen unterschiedlicher Disziplinen, wie etwa Mitterhofer und Hausl. Vaters Interesse gilt dem puren Material. Und der Kunst- und Wissenschaftsgeschichte. „Da habe ich eine gewisse Arroganz“, sagt sie selbstbewusst. „Ich bin sicher: Man kann auch mit klassischer Bildhauerei noch etwas Neues gestalten, man kann der Kunstgeschichte trotzen und sie fortschreiben.“

Kraftvoll, aber unprätentiös folgt sie ihrer Intuition. Ihre Ideen begegnen ihr oft im Traum. Und danach denkt sie nach, zeichnet, rechnet, beschäftigt Mathematik-Studenten, bis ihr Konzept zu 100 Prozent steht. Erst dann arbeitet sie mit dem Material. Damit verbindet sie einen konzeptionellen Ansatz mit traditioneller Ästhetik.

Galeristin Veronika Witte hatte nun die Aufgabe, die drei Positionen in einer Ausstellung zusammenzubringen. Zum ersten Mal wird die jährliche Ausstellung zur renommiertesten Auszeichnung, die die UdK Berlin vergibt, bei ihr in der Galerie Nord präsentiert, dem „Tanker“, wie Witte die langgezogene Ausstellungshalle mit den großen Fenstern zur Turmstraße scherzhaft nennt. Es sind Fenster, die eine Brücke schlagen zur Welt da draußen – in diesem Fall der Kunstwelt jenseits der Uni. Einer Welt, die erwartet, dass man seine Positionen weiterentwickelt und vertritt.

Die Arbeiten von Sandra Vater, Magdalena Mitterhofer und Claudius Hausl sind noch bis zum 20. Juli in der Galerie Nord in der Turmstraße 75 in Moabit zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag von 13 bis 19 Uhr.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false