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Meinung: Zwei Deutschamerikaner

George W. Bush und Gerhard Schröder sind sich ähnlicher, als ihnen lieb ist Von Jacob Heilbrunn

Gerhard Schröder spielt ein gefährliches Spiel mit seinem engsten Alliierten. Seine Devise „Mein Weg oder kein Weg“ wirft eine jahrzehntelange Zusammenarbeit über den Haufen, markiert einen radikalen Bruch deutscher Politik – und wird dort noch lange zu spüren sein.

Das war Schröders Spiel mit Amerika, als es um den Golfkrieg ging. So verhält er sich aber auch gegenüber den Gewerkschaften in Sachen Agenda 2010. Man kann ihn mögen oder nicht, aber er hat sich ohne Frage zum mutigsten deutschen Kanzler seit Menschengedenken entwickelt. Deshalb sollte ihn Präsident Bush auch nicht meiden wie ein beleidigtes Kind, sondern in die Arme schließen. Möglicherweise stellt sich nämlich raus, dass die beiden an der Politik des anderen durchaus Gefallen finden. Dass beide in die Geschichte eingehen als Figuren, die mehr gemeinsam haben, als sie sich vorstellen.

Schröder gilt in Amerika als Sozialist. Das ist ein Mythos. Man sollte ihn viel eher als Trojanisches Pferd der Wirtschaftspolitik à la Amerika deuten. Statt Handelsbarrieren zu errichten und seine Verbindung zu den Gewerkschaften zu stärken, versucht sich Schröder als Kuschelversion von Margaret Thatcher oder Ronald Reagan. Im deutschen Kontext drückt sein Reformprogramm schon fast so etwas wie Todessehnsucht aus. Aber Totgesagte leben länger, das sollte man nicht vergessen: Sollte Schröder sein Programm durchziehen, dann wäre das lediglich ein erster Schritt in Richtung einer Amerikanisierung der deutschen Wirtschaft. Diese Entwicklung auch nur zu beobachten, versetzt mir einen Stich. Deutschland ist eine gemütliche, behagliche Gesellschaft. Ich liebe die Brille, die mir die Krankenkasse als Student in München umsonst ausgehändigt hat. Schon damals wirkte es verblüffend, wie leicht ein Amerikaner den deutschen Wohlfahrtsstaat aussaugen konnte. Aber so war es damals. Und wird nie wieder so sein.

Am Ende wird Schröder nicht der Kanzler sein, der die Amerikaner aus Deutschland vertrieb, sondern derjenige, der das amerikanische System „eins zu eins“ übernahm. Wettbewerb, ein lockerer Kündigungsschutz, geringe Subventionen – all das sind die klassischen amerikanischen Themen.

Bush, auf der anderen Seite, vollzieht mit seiner Außenpolitik das genaue Gegenteil. Glaubt man den Europäern, verkörpert Bush die schießwütigste Tradition des Wilden Westens. Aber das ist ähnlich absurd wie die Vorstellung vom sozialistischen Schröder: In Wahrheit europäisiert Bush die Vereinigten Staaten. Auf Rat seiner neokonservativen Berater, von denen die meisten Jünger des brillanten deutschjüdischen Emigranten und politischen Philosophen Leo Strauss sind, umgibt er das Land mit dem Mythos eines Imperiums. Die Zeitungen sind voll mit philosophischen Debatten über den Einfluss von Strauss auf Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz und andere Kabinettsmitglieder. Wie weit hat Strauss’ Verehrung für das perikleische Athen das Denken der Bush-Regierung beeinflusst? Ist Amerika das neue Athen – oder Rom? Wird in Bush das Strauss’sche Ideal des guten Königs Realität, der sich von einer Philosophen-Elite beraten lässt? Versteckt sich in den Erklärungen der Regierung eine geheime Botschaft, wie es Strauss für die antiken Texte annahm? In der Zeitschrift „New York Review of Books“ unterstellt Ian Buruma dem Denker anti-demokratische Tendenzen und der Regierung, dass sie sich dessen Vorstellung von einer feindlichen Welt zu Eigen gemacht habe.

So überraschend es klingen mag: Unter Bush ist das Niveau des politischen Diskurses in Washington erheblich gestiegen. Man könnte fast denken, das anspruchsvolle europäische Feuilleton halte Einzug. Ein unablässiger Strom von Journalisten aus Frankreich und anderswo durchstöbert Washington nach den geheimen Botschaften des neuen Imperiums. Ob Bush aber wirklich clever genug ist, das Imperium aufzubauen, ist eine ganz andere Frage. Im Irak herrscht Chaos, und ein Präsident, der wiedergewählt werden möchte, kann kein Interesse daran haben, dort eine Minute länger zu bleiben als notwendig – vor allem jetzt, wo es immer mehr danach aussieht, dass es nie irgendwelche Massenvernichtungswaffen gab.

Der Preis für einschneidende Reformen könnte am Ende auch für Schröder zu hoch werden und ihn zu Kompromissen zwingen. Wie Bush wird sich Schröder aus einer Krise herausreden. Aber das ist schließlich auch eine gemeinsame Gabe: die der Stimmungsmache.

Deutschland und die Vereinigten Staaten mit gekreuzten Schwertern? Unsinn. Die beiden Länder sind sich sehr viel ähnlicher, als mancher meint. Und das fängt bei ihren politischen Führern an.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: Kai-Uwe Heinrich

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