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Meinung: Wo ist Gott?: Wenn es ihn denn gibt

Wo ist Gott?" fragt nur, wer weiß oder glaubt, dass es ihn gibt, denn nur was es gibt, kann irgendwo sein.

Wo ist Gott?" fragt nur, wer weiß oder glaubt, dass es ihn gibt, denn nur was es gibt, kann irgendwo sein. Wir können nicht wissen, ob es Gott gibt, wenn "Wissen" bedeutet, eine wahre Überzeugung zu haben, die sich begründen lässt. Können wir es glauben? Dann hätten wir nur eine Überzeugung ohne Wahrheitsbeweis, und die meisten unserer Überzeugungen sind von dieser Art; wir halten sie für glaubwürdig und verlassen uns auf sie. Wird dieses Zutrauen erschüttert, dann beginnt der Zweifel und die Suche nach Gründen für oder gegen unsere Überzeugungen. Man kann aber auch versuchen, sich erneut der Glaubwürdigkeit der Quellen zu versichern, aus denen wir einmal unsere Überzeugungen bezogen haben. Gerade in der modernen Mediengesellschaft bleibt uns meist gar nichts anderes übrig, als diesen Weg zu gehen.

Was wäre eine glaubwürdige Quelle für die Überzeugung, dass es Gott gibt? Mein Katechismus behauptete, man könne sein Wirken in der Natur und in der Geschichte erkennen, aber wem ist das schon möglich? Georg Solti sagte, seine Gottesbeweise seien Mozart und das erste Lächeln seiner Kinder. Andere haben das, was sie Gott nennen, erfahren in der Liebe anderer Menschen. Das Christentum verweist uns an die Bibel und darin an den Menschen Jesus, an dem Gott "offenbar" wurde; die Schwierigkeit ist nur, dass sich diese Botschaft ursprünglich an die Juden richtete, die ihren Gottesglauben schon mitbrachten, und an "Heiden", denen man die Existenz von Göttern nicht erst andemonstrieren musste. In der säkularen Welt ist die Heilige Schrift Weltliteratur, sonst nichts; sie wird zur Quelle des Glaubens nur dort, wo schon geglaubt wird. Das bloße Dass der Existenz Gottes enthält wenig Informationen, so lange man nichts weiter von ihm weiß, und auch deswegen kann man dann auch nicht wissen, wo er ist. Ist es glaubwürdig, dass er die Welt geschaffen hat? Dass er aus Liebe Mensch geworden und am Kreuz gestorben und auferstanden ist? Dass er allmächtig, gerecht, aber auch barmherzig ist? Oder ist er wirklich der Gott der "Gotteskrieger" einst und jetzt, der Vollstrecker von "Gottesgerichten", der Waffensegner und Gottlosenvernichter? Was wir hier für glaubwürdig halten, hängt von uns ab, von unserer Vorstellung von dem Gott, dem zu vertrauen und zu folgen wir bereit wären.

Angesichts des drohenden Krieges der Kulturen, der außerhalb der westlichen Welt primär als Krieg der Weltreligionen geführt werden dürfte, wäre vielleicht auch zu empfehlen, Gott ganz aus dem Verkehr zu ziehen und allerseits auf einen "obersten Kriegsherren" zu verzichten, der "alles so herrlich regieret". Aber nicht nur, weil das nicht zu erwarten ist, sondern auch wegen des dann fälligen Verzichts der Hoffnung auf den Gott der Liebe empfiehlt sich ein dritter Weg zwischen Gottesglauben und Atheismus hindurch: Wir sollten so leben, dass wir die Existenz eines gerechten und gütigen Gottes durch unser Tun glaubwürdig machen und erhalten, und im Übrigen diese Frage auf sich beruhen lassen; von einer Antwort hängt dann nichts weiter ab.

Herbert Schnädelbach

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