zum Hauptinhalt

Meinung: Wo die Bürger immer bürgen

Der Skandal um das Tempodrom zeigt, wie das System Berlin funktioniert

Zwei populäre Missverständnisse über Berlin: Erstens, die Bankenaffäre sei allein eine der CDU. Zweitens, seit Thilo Sarrazin Finanzsenator ist, werde aus dem alten Filz, so überhaupt noch vorhanden, jeder Cent herausgeschüttelt. Alles falsch.

Der Skandal um das Tempodrom, ein Veranstaltungsbau in Kreuzberg, zeigt beispielhaft, wie das System Berlin, genauer: das System West-Berlin jahrzehntelang funktionierte und noch immer funktioniert. In diesem System ist es zum Beispiel ganz offensichtlich bis heute ziemlich egal, ob Bankbürgschaften gesichert sind, jedenfalls dann, wenn ein Projekt dem einen oder anderen einflussreichen Politiker irgendwie symphatisch ist, aus welchen Gründen auch immer. Im Schadensfall zahlt selbstverständlich das Land. Und wenn das mal auffällt – Pech gehabt, gezahlt wird trotzdem, meistens mit der Begründung, nur so ließe sich ein noch größerer Schaden verhindern.

So kam es zum großen Bankenskandal, und so kam es auch zum viel kleineren ums Tempodrom.

Das Tempodrom ist ein Mythos der alten West-Berliner Alternativkultur und gilt deshalb nach dem ungeschriebenen Berliner Gewohnheitsrecht aus Prinzip als schützenswert. Es gehört zu den selbstverständlichen Kuriositäten dieser Stadt, dass auch dieser Veranstaltungsort, von dem aus früher gerne mal die Revolution, egal welche, herbeigesehnt wurde, von den dubiosen Geschäften einer Bankgesellschaftstochter profitierte – und eingewoben wurde in das System Berlin. Ausstieg unmöglich.

Irene Moessinger hat als Veranstalterin das Tempodrom zu einem Markenzeichen gemacht, das mit ihr untrennbar verbunden scheint. Als Geschäftsfrau hat sie einen nicht ganz so guten Namen. Spätestens, als ihr Zelt nicht länger in der Nähe des neuen Kanzleramtes stehen sollte oder durfte und deshalb ein fester Bau anderswo in der Stadt ins Gespräch kam, griff das System Berlin ein. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, SPD, damals noch Bezirksbürgermeister von Kreuzberg und um seine nächste Wahl besorgt, wollte sich schmücken mit dem Tempodrom. Gut für ihn, dass die SPD im Senat saß, und gut für die SPD, dass die CDU auch mit dabei war. Die große Koalition des Geldausgebens nahm es damals, in den neunziger Jahren, nicht so genau. Geld ist alle? Leihen wir uns neues.

Dafür gibt es ja das Land, genauer: den Senat, und noch genauer: den Steuerzahler. Wie man es eben so kennt aus der Bankgesellschaft.

1,8 Millionen Euro sind eigentlich nicht so viel Geld für ein Land, das ohnehin dutzende Milliarden Schulden hat und auf Hilfe vom Bund wartet. Also hat der liebe Senat bei seinem großen Tempodrom-Entschuldungsschlag, um es fit zu machen für einen Verkauf, die Bürgschaft der lieben Irene Moessinger und ihres bestimmt ebenso netten Kompagnons gleich mit verrechnet. Sie brauchen den guten Teil des Namens Moessinger ja auch noch bei der Vermarktung.

Was Sarrazin damit zu tun hat? Er hat diesen Teil der Geschichte einfach verschwiegen, weil sich eine solche Privatentschuldung auf Landeskosten ja nicht ganz so gut macht, wenn man gleichzeitig den Berliner Zoos eine halbe Million streicht. Passt auch nicht so gut zum Image des oberhärtesten Sparkommissars aller Berliner Zeiten.

Noch ein populäres Missverständnis: Die Tempodrom-Affäre sei überstanden. Könnte gut sein, dass sie gerade erst richtig anfängt.

SEITE 9

Zur Startseite