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Meinung: Wie einst die ersten Pioniere

Die Siedlerbewegung hatte einmal viele Sympathien bei den Israelis, selbst bei manchen Linken. Die hat sie aber inzwischen verspielt

Am 12. Mai 1967, kurz vor dem Sechs-TageKrieg, gewährte David Ben Gurion, der Staatsgründer Israels, der Zeitung Maariv ein Interview. „Was würden Sie Ihrem Enkelsohn antworten, wenn er Sie nach den Grenzen der Heimat fragen würde?“, wollte die Journalistin Geula Cohen wissen. „Das sind die heutigen Grenzen Israels.“ „Und seit wann ist der Sinai nicht mehr unser?“, fuhr sie fort. „Sobald wir ihn verlassen mussten (1956), gehörte er uns nicht mehr,“ antwortete der inzwischen pensionierte Staatsmann. „Mehr noch, wenn die Araber den UN-Teilungsplan von 1947 akzeptiert hätten, hätte Israel ein noch kleineres Territorium. Grenzen sind kein abstrakter Begriff, sondern entstehen aus Notwendigkeiten. Die historischen Grenzen (des biblischen Israels) sind ein messianischer Begriff.“ Würden Sie ein israelisches Kind ermuntern, ein Lied der Sehnsucht nach einem vereinten Jerusalem zu schreiben? „Wenn es schreiben will, soll es schreiben. Ich würde keins schreiben.“

Drei Wochen später fiel die Mauer in Jerusalem, Israel eroberte die Westbank und den Gazastreifen. Geula Cohen gründete die Siedlerbewegung und die Siedlerpartei Hatchija mit. Vergeblich kämpfte sie dafür, dass Israel das Westjordanland und den Gazastreifen annektiert. Aber durch die Errichtung von 118 Siedlungen mit heute 240000 Einwohnern versuchen die Siedler die Rückgabe der besetzten Gebiete im Rahmen eines Friedensvertrags, so wie es Ben Gurion wünschte (er wollte nur Ost-Jerusalem behalten), zu verhindern. Zudem entstand 1974, kurz nach Ben Gurions Tod, die Siedlerbewegung Gusch Emunim.

Die erfolgreichste politische Bewegung in der Geschichte Israels hat das Ziel, „durch Besiedlung unser unerschütterliches Recht auf das gesamte Land zu verankern, vor allem in Judäa und Samaria, auf den Golanhöhen, im Jordantal und auf dem Sinai“, wie es im Gründungsmanifest hieß. Bereits die geografischen Begriffe waren Programm. Sie definieren die eroberten Gebiete durch die jüdische Geschichte, als ob die Palästinenser dort keine Wurzeln hätten. Die hebräische Abkürzung für „Judäa, Samaria und den Gazastreifen“ – „Jescha“– weist darauf hin, dass die Besiedlung dem Volk Israel die Erlösung – auf Hebräisch „Jeschua“ – bringen würde. Den Begriff „Palästinenser“ nehmen die Siedler wiederum nicht in den Mund. Sie sprechen von „Arabern“ und meinen, dass die Palästinenser im Konflikt nicht die Schwachen, sondern als Teil der arabischen Welt die Starken seien. Als Arabern stünde es ihnen frei, sich in 22 Staaten niederzulassen. Nachdem der hebräische Begriff für Siedler, „Mitnachalim“, in Verruf kam, nennen sie sich nun „Mitjaschwim“, genauso wie die Zionisten der vorstaatlichen Zeit.

Erfolgreich waren die Nationalreligiösen auch, weil sie an einem Tiefpunkt des Zionismus die politische Bühne betraten. Die nationale Depression resultierte aus den verheerenden Folgen des Jom-Kippur-Krieges 1973 (2350 Tote) und dem israelischen Teilrückzug aus dem Sinai und den Golanhöhen im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens. Die PLO – damals noch eine Terrororganisation – wurde international anerkannt, und Jassir Arafat durfte im November 1974 vor der UN-Vollversammlung sprechen. Ein Jahr danach verurteilte dieses Gremium den Zionismus als eine Form des Rassismus.

Während dieser Depression tauchten junge Israelis auf, die mit großer Begeisterung und unter Selbstaufopferung die nationalen Ziele der Pioniere der Arbeitsbewegung aus der Zeit vor der Staatsgründung verfolgten, allen voran die Besiedlung des Landes. Auch die Medien begleiteten wohlwollend, wie die Siedler nach sieben Räumungen durch die Armee im Winter 1975 die Rabin-Regierung zwangen, ihre Siedlung zuerst innerhalb einer Militärbasis anzuerkennen. Sie nannten diese erste Siedlung in einem von Palästinensern dicht bevölkerten Gebiet „Elon More“. So hieß der erste Ort Abrahams im Land Kanaan.

Hinter den Kulissen half Verteidigungsminister Schimon Peres den „neuen Zionisten“. Ganz offen unterstützte sie ein ehemaliger General und Sicherheitsberater des Premiers Rabin: Ariel Scharon. Eines Tages tauchte er in der Siedlung außerhalb von Nablus auf und erzählte, dass sein Sohn Omri heißt. „Wisst ihr, wer Omri war?“ Sie wussten es: Er war Kriegsminister des Königreiches Israel, dessen Hauptstadt Samaria war. „An diesem Ort sind unsere Wurzeln,“ predigte er den Überzeugten.

Nicht nur die Medien priesen die „neuen Zionisten“ als „unsere besten Söhne, eine Quelle des Patriotismus“. Sogar der Chef der links-sozialistischen Mapam-Partei, Jaakov Chazan, sagte: „Sie glauben an ihren Weg der Besiedlung wie unsere Jugendbewegung in den 20er Jahren.“ Die bekannte Liedermacherin Naomi Schemer, die aus einem Kibbutz stammt, dichtete über die Siedler: „Schöne Menschen, an eurer Seite möchte ich stehen.“

Gusch Emunim übernahm einige Methoden des klassischen Zionismus vor der Staatsgründung 1948: Die Pioniere gründeten in Nacht- und-Nebel-Aktionen Kibbutzim in Grenzregionen, um dadurch die künftigen Grenzen des Judenstaates zu bestimmen. So wie in vorstaatlichen Zeiten die zionistische Führung oft übergangen wurde, erfuhren auch israelische Regierungen erst im Nachhinein von neuentstandenen Siedlungen. Geräumt wurden solche Orte nur sehr selten.

Die Sicherheitsinteressen der Regierungen unterschieden sich manchmal durchaus von den messianischen Ziele der Siedlerbewegung, die die Erlösung des Volkes ausgerechnet durch die Besiedlung palästinensischer Gebiete realisieren wollte. Weder das Jordantal noch die Golanhöhen oder Galiläa interessierte sie, sondern lediglich Hebron, Jericho oder zumindest umstrittene Gebiete. Einmal orteten Regierungsexperten ein passendes Gebiet südlich von Hebron. Der Vorschlag wurde prompt abgelehnt: Die Siedlung würde 500 Meter von der Grünen Linie entfernt entstehen, die Israel von der Westbank trennt. Viele Millionen Schekel mussten die Behörden aufwenden, um ein neues Territorium auf der östlichen Seite der Waffenstillstandslinie (in der Westbank) zu finden. Als das israelische Parlament 1979 das Friedensabkommen mit Ägypten billigte, das die Räumung des Sinai bedeutete, gründeten National-Religiöse ausgerechnet dort die Siedlung Atzmona. Durch staatliche Subventionen wurde dieser illegale Ort wurde bis zur Räumung am Leben gehalten. Dann zogen die Siedler in den Gazastreifen weiter. Atzmona II soll in den kommenden Wochen durch die Scharon-Regierung geräumt werden.

Die Einheimischen interessierten dabei weder die echten noch die falschen Zionisten, ebenso wenig das internationale Recht. Und doch ist es wichtig, zwischen beiden Gruppen zu unterscheiden. Sie agierten unter völlig unterschiedlichen historischen Bedingungen und verfolgten verschiedene Ziele. Die Zionisten hatten versucht, das Recht der Juden auf ein eigenes Stück Land zu erkämpfen, wo die vor Pogromen, Antisemitismus und Völkermord geflohenen Juden eine Heimat finden konnten. Mehr noch: Vor 1948 handelte es sich um einen Kampf zwischen zwei Gemeinschaften um Land: zwischen Juden und Arabern in Palästina, das unter britischem Mandat stand. Die Grenzen Palästinas wie auch die anderer Staaten im Nahen Osten wurden willkürlich durch die Großmächte gezogen. Internationales Recht war damals irrelevant. Der Teilungsplan der UN von 1947 berücksichtigte dann tatsächlich die jüdische Besiedlung entlang der Mittelmeerküste, in Galiläa und in der Negev-Wüste, stellte jedoch Jerusalem unter internationales Mandat.

1948 wurde Israel zu einem souveränen Staat, der 1951 die vierte Genfer Konvention unterzeichnete. Da das Parlament dieser aber niemals zustimmte, ist sie auch nicht Grundlage der israelischen Gesetzgebung. Die Konvention verbietet die Besiedlung besetzter Gebiete durch die Besatzungsmacht. Alle israelischen Regierungen nach 1967 behaupteten jedoch, dass es niemals eine Souveränität der palästinensischen Gebiete gegeben habe, so dass man nicht von einer Besatzung sprechen könne. Andere argumentieren, dass die Genfer Konvention nur die gewaltsame Vertreibung von Zivilisten verbiete, die Siedler sich aber freiwillig in „Judäa und Samaria“ niederließen. Die großzügigen staatlichen Subventionen wurden eher verschwiegen.

In den ersten zehn schwierigen Jahren unter der Arbeitspartei ließen sich 5000 Israelis in den besetzten Gebieten nieder, viele von ihnen im Jordantal, das eine Sicherheitszone für die Regierung darstellte. Seit der Machtübernahme durch den Likud 1977 wurden die neuen Pioniere mit staatlichen Hilfen überhäuft. Dadurch und durch den Bau moderner Straßen um die palästinensischen Ortschaften herum, wurden nicht-ideologische Siedler angezogen, die in malerischer Natur und „nur fünf Minuten Autofahrt von Jerusalem entfernt“ – so die Werbeprospekte – ihren Traum vom Eigenheim preiswert verwirklichen konnten. Dazu gehören rund 100000 Säkulare und 20000 Neueinwanderer, vor allem aus Russland.

In vielen Siedlungen bestimmt eine Aufnahmekommission, wer Mitglied werden darf. In der Regel werden bürgerliche Familien, also Gleichgesinnte, bevorzugt. Die Siedlerfamilien verdienen durchschnittlich 10 Prozent mehr als Familien in Tel-Aviv und ein Drittel mehr als in Jerusalem. Die Landkreise erhalten pro Einwohner mehr als das Doppelte an Staatsgeldern als ein Landkreis im Kernland. Dazu kommen Steuererleichterungen für Einwohner und Investoren. Die öffentlichen Investitionen in Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder und Synagogen ist um zwei Drittel höher als im Kernland.

Den Siedlern gelang es, durch den Dienst in Eliteeinheiten und die Besetzung von Spitzenfunktionen innerhalb der Armee Akzeptanz bei vielen Israelis zu finden. Denn die israelische Armee, Zahal, genießt mehr Respekt in der Gesamtbevölkerung als jede andere staatliche Institution. Der geistige Mentor der Siedler, Rabbiner Zvi Jehuda Kook, der mit 83 Jahren gegen die Räumung von Siedlungen vor Ort protestierte, verehrte gleichzeitig die Armee. Er nahm zum Beispiel regelmäßig an Militärparaden zum Unabhängigkeitstag teil. Trotz der Auseinandersetzungen mit Soldaten betrachtet Gusch Emunim die Armee als heilig, denn sie befreite die Westbank und den Gazastreifen.

Inzwischen sind bis zu 40 Prozent der Offiziere in den mittleren Rängen national-religiös. Noch eine Generation zuvor war der Anteil der (linksorientierten) Kibbutzniks ebenso hoch, ging aber seitdem dramatisch zurück. Sogar während der gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Soldaten Ende Juli bei dem Marsch auf Gaza skandierten national-religiöse Jugendliche im Chor: „Wir lieben Zahal!“

Aber je mehr Gewalt die Siedler ausüben – gegen Israelis, aber auch gegen Palästinenser – und je mehr Siedlersoldaten den Räumungsbefehl verweigern und andere Soldaten gegen ihre Befehlshaber aufhetzen, desto unbeliebter werden die Siedler in der Gesamtbevölkerung. Die demografische Bedrohung durch eine zügig wachsende palästinensische Bevölkerung überzeugt immer mehr Israelis, dass eine Räumung vieler Siedlungen notwendig ist, um eine stabile jüdische Mehrheit innerhalb der Staatsgrenzen zu gewährleisten.

Vize-Premier Ehud Olmert, der sich als Scharons Nachfolger ins Gespräch bringt und der als gewiefter Taktiker gilt, zitierte bei der jährlichen Gedenkveranstaltung für Ben Gurion im Dezember 2003 den Staatsgründer mit den Worten: „Vor die Wahl gestellt zwischen einem ungeteilten Eretz Israel (vom Jordan bis zum Mittelmeer) und einem jüdischen Staat bevorzuge ich einen jüdischen Staat auf einem Teil des Landes.“

Als Handels- und Industrieminister ordnete Olmert erstmalig an, Exportprodukte aus den Siedlungen speziell zu markieren, wie es die Europäische Union gefordert hatte. Ab Februar wird die Herkunft der Produkte genannt. Dadurch werden diejenigen israelischen Waren, die aus dem Kernland Israel stammen, von Zöllen befreit. Bis zum Jahresende werden die europäischen Zollbeamten wohl 24 Siedlungen aus ihrer Liste streichen müssen. Diese werden ab Mitte August geräumt.

Igal Avidan

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