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Briten folgen starken Premiers, bis sie genug von ihnen haben und sie abwählen. Darin besteht Camerons Herausforderung.

© Reuters

Wahlschlappe in Großbritannien: Briten in der Vertrauenskrise

Die Wahlniederlage der britischen Regierungskoalition bei den landesweiten Kommunalwahlen offenbart die dramatische Krise, in der das ganze Land steckt. Nicht einmal der knappe Wahlsieg des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson war ein Trostpflaster.

Großbritannien rüstet sich für Jubel und Trubel von Diamantjubiläum der Königin und Olympia. Aber hinter der Fassade ist vieles brüchig. Nicht nur die Infrastruktur und die Kapazität der britischen Zöllner werden in den kommenden Wochen Stresstests erleben.

Die Wahlschlappe der Regierungskoalition bei den landesweiten Kommunalwahlen wäre eigentlich nicht mehr als die übliche Abmahnung zwischen zwei Unterhauswahlen gewesen. Labours Wahlerfolg bedeutet keinesfalls, dass die Briten Labourchef Ed Miliband schon als den nächsten Premierminister sehen. Die Krise geht so tief, weil die Koalition in zu schlechter Verfassung ist, um den Rüffel einfach wegzustecken und mit der Arbeit weiterzumachen. Es fehlt ihr die Richtung, der Konsens und die Energie der eigenen Überzeugungen.

Nicht einmal der knappe Wahlsieg des Londoner Bürgermeisters Boris Johnson war ein Trostpflaster. Er verhinderte höchstens, dass die Revolte der Tory-Hinterbänkler gleich am Wochenende ausbrach. Sie sehen Johnson jetzt als Vorbild und wollen seine Kombination von knochenhartem Erz-Konservatismus und kosmopolitischer Liberalität gegen Camerons koalitionsbedingten „Windmühlen-Konservatismus“ aufstellen. Aber Londoner wählten Johnson nicht, weil er Europaskeptiker ist oder Steuersenkungen will, sondern weil er tut, was er sagt, und sagt, was er denkt. Das wäre eher die richtige Lektion für Cameron.

Die Briten haben eine Vertrauenskrise. Sie trugen die Sparpolitik willig mit, weil sie glaubten, die Regierung wisse, was sie tut. Nach den jüngsten Pannen sind sie nicht mehr sicher: stagnierende Wirtschaft, Staatsbeamte, die sich vor der Steuer drücken, Koalitionsquerelen und Haushaltsfehler, die Murdoch-Affäre mit ihren unschönen Einblicken ins Leben des Establishments. Dabei sitzt allen noch die Erinnerung an die Krawalle des vergangenen Sommer in den Knochen.

Konsens und Gelassenheit, immer eine Stärke der Briten, sind schwächer geworden. An allen Ecken und Enden ist Klassenneid zu spüren, Misstrauen gegenüber Geldeliten, Empörung über soziale Härte. Der Vorwurf an den politischen Gegner, abgehoben zu sein, ist klingende Münze geworden. Schotten wollen den Nationenbund so oder so verlassen, während in London, mehr aus Koalitionsopportunismus als Notwendigkeit, an der Verfassung herumgebastelt wird – wie üblich als Flickschusterei, ohne die große Vision.

Das ist die Situation. Nicht alles, aber viel ist auf die Führungsschwäche der Downing Street zurückzuführen. Briten haben keine deutsche Tradition ewiger Koalitionskompromisse. Sie folgen starken Premiers, bis sie genug von ihnen haben und sie abwählen. Darin besteht Camerons Herausforderung. Er hat gezeigt, dass er das Zeug zum Regieren hat, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht – wie jetzt. Eingeklemmt zwischen dem Wählermisstrauen, dem Koalitionspartner und den Unzufriedenen seiner Partei muss er sich nun als Premier für alle durchsetzen.

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