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Meinung: US-Wahlkrimi: Leitartikel: Der Gipfel von Vittel

Die Amerikaner bezeichnen den Zeitraum, der zwischen der Wahl eines Präsidenten und seiner Amtseinführung liegt, als transition. Es ist die Übergangsperiode, in der Bill Clinton allmählich abtritt und sein Nachfolger - wer immer es ist - sich auf den Einzug ins Weiße Haus vorbereitet.

Die Amerikaner bezeichnen den Zeitraum, der zwischen der Wahl eines Präsidenten und seiner Amtseinführung liegt, als transition. Es ist die Übergangsperiode, in der Bill Clinton allmählich abtritt und sein Nachfolger - wer immer es ist - sich auf den Einzug ins Weiße Haus vorbereitet. Der Abschnitt, der von innenpolitischem Stühlerücken und einem außenpolitischen Minimalprogramm gekennzeichnet ist, endet am 20. Januar 2001. Zufällig ist das auch eine für Europa entscheidende Periode. Während die Amerikaner Nabelschau betreiben, denken die Europäer über ihre künftige Rolle in der Welt nach. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob wir uns auf die Vereinigten Staaten von Europa zubewegen oder nicht.

Es wäre vermessen, wenn die Europäische Union im Moment des Machtwechsels in Washington eine Schau der außenpolitischen Stärke inszenieren wollte, die den Realitäten nicht entspricht. Doch hat gerade die Reise des Kanzlers in den Nahen Osten gezeigt: Auch diese Krisenregion erwartet von der Europäischen Union keine Kultur der Zurückhaltung mehr, sondern tatkräftiges Engagement. Eine starke EU mit fester Währung, gemeinsamer Außenpolitik und eigenen militärischen Strukturen - ob wir sie bekommen, wird sich im Dezember beim Gipfel in Nizza zeigen.

Wenn man Europa schön nach Plan zeichnen könnte, dann müssten die 15 EU-Staaten ihre ganze Aufmerksamkeit in den kommenden Wochen auf die Frage richten, die in Nizza entschieden werden soll: Wie bleibt die EU auch mit 22 oder 25 Mitgliedern handlungsfähig? Erst nach der Klärung dieser Frage würde die EU, immer noch schön nach Plan, an die Erweiterung gehen. Dann könnte man, in aller Ruhe, das Problem der gewaltigen Finanztransfers von West nach Ost lösen und nebenbei auch noch den EU-Agrarhaushalt reformieren.

Aber die Welt ist leider nicht so. Frankreich, das den EU-Ratsvorsitz innehat, möchte die Diskussion vor Nizza auf die EU-Reform - und nicht auf die Erweiterung - konzentrieren. Verständlich, denn allein die Neuordnung der EU-Entscheidungsmechanismen, die noch aus der Zeit der Sechser-Gemeinschaft stammen, ist eine diplomatische Mammutaufgabe. Leider bündeln sich derzeit aber mehrere europapolitische Fragen. Die Kompetenzverteilung zwischen Brüssel, den Nationalstaaten und den Regionen muss geregelt werden. Das wirft die Frage eines europäischen Verfassungsvertrages auf. Gleichzeitig hat EU-Erweiterungskommissar Verheugen mit seinen Fortschrittsberichten für die EU-Kandidatenländer Pflöcke eingeschlagen. Unter seiner Federführung entsteht jetzt ein Drehbuch für den Beitritt. Zypern, Malta, Estland, Ungarn und Polen könnten bereits 2004 Mitglieder der EU sein.

Natürlich ist ein rascher Beitritt Polens im deutschen Interesse, aber der steht in den nächsten Wochen der EU-internen Nabelschau erst einmal nicht zur Debatte. Von Nizza sind keine neuen Versprechungen über Erweiterungsdaten zu erwarten. Dennoch müssen die beiden "Kernländer" der EU im Moment viel Kraft zur Austarierung ihrer unterschiedlichen Interessen aufwenden. Deutschland und Frankreich wissen, dass die geplante Reform scheitert, wenn sie nicht von beiden Ländern forciert wird. Bei der Verkleinerung der EU-Kommission sind sich die beiden schon einig. Ob die Reform von Nizza zum Erfolg wird, wird man aber daran ablesen können, ob die Nationalstaaten in entscheidenden Fragen wirklich zur Aufgabe ihres Vetos bereit sind. Deutschland tut sich schwer, in der Asylpolitik auf seine Einspruchsrechte zu verzichten, Frankreich hat eine Reihe von Bedenken in der Handelspolitik, bei Steuerfragen sowie bei gemeinsamen Beschlüssen in der Justiz- und Innenpolitik. Aber ohne Verzicht auf Einstimmigkeit bei den Abstimmungen im Ministerrat kann es eine Erweiterung wohl nicht geben.

Die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Paris in diesen entscheidenden Wochen vor Nizza sei exzellent, haben Kanzler Schröder und Frankreichs Präsident Chirac in Vittel gerade wieder betont. Das Städtchen in den Vogesen ist für sein gutes, klares Wasser bekannt. Bis Nizza wird sich zeigen, ob das Vittel auch zur Klarheit der deutsch-französischen Europa-Vorstellungen beitragen konnte.

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