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Meinung: Trialog: Nicht auf Ballhöhe

Wie mache ich das, selbst im Osterurlaub, einen Beitrag für Menschen und Gesprächspartner zu schreiben, die hoffentlich auch noch ein bisschen Ferien in den Sinnen haben? Für solche Zeiten eignet sich immer das Thema Fußball.

Wie mache ich das, selbst im Osterurlaub, einen Beitrag für Menschen und Gesprächspartner zu schreiben, die hoffentlich auch noch ein bisschen Ferien in den Sinnen haben? Für solche Zeiten eignet sich immer das Thema Fußball. Es ist überhaupt ein gutes Thema, um die Lage der Republik einmal anders zu betrachten. Ich zum Beispiel nehme den Aufstand derer auf den Rängen der Fußballstadien ernst, die derzeit für die traditionelle Anstoßzeit am Samstag um 15 Uhr 30 demonstrieren und sich damit der Zergliederung der Spiele von Freitag bis Sonntag widersetzen. Es stimmt mich geradezu hoffnungsfroh: Er signalisiert, dass die Kommerzialisierung der gemeinnützigen Volkskultur Fußball an ihre Grenzen gerät.

Selbstverständlich ist Fußball Teil der Kultur und Beitrag zur Zivilisation. In keinem anderen öffentlichen Spiel lernen wir so viel über die Regeln, auf die wir uns verständigt haben: Wir sind ein Team, der Einzelne ist wichtig, aber er erreicht nur etwas im Zusammenspiel mit anderen. Es geht um Kampf, aber dieser Kampf erfordert Fairness. Das Publikum ist Teil der Energie, aus der die Spieler ihre Kraft schöpfen. Körpereinsatz ist notwendig, aber körperliche Attacken und Gewalt werden sanktioniert. Der Trainer wird für bestimmte Zeit mit Vollmachten ausgestattet. Wenn er die Erwartungen nicht erfüllt, dient er allen als Sündenbock und muss gehen. Die Spieler sind Idole wie Rockgrößen, sie erfüllen das gesellschaftliche Versprechen, dass jeder von ganz unten nach ganz oben gelangen kann.

Weil der Fußball eine Art Code-Spiel für das ist, was bei uns überhaupt in der Gesellschaft akzeptabel ist, gehört er allen. Deswegen kann er nicht zum Eigentum eines mächtigen Medienmoguls werden. Notfalls muss der Bundestag eingreifen, um diesem Zugriff des Privateigentums auf das Kollektiveigentum Grenzen zu setzen.

Aber auch die Vereine müssen wissen, dass sie sich inzwischen zu weit von der Basis, der sie ihre Magie verdanken, entfernt haben. Sie treiben außer der Vermarktung von Reisen und Fan-Utensilien faktisch keine Sozialarbeit mehr. Die Betreuung schwieriger Randgruppen versuchen sie auszulagern. Damit verspielen sie das eigentliche Geheimnis ihres Erfolges, nämlich mittels des Spiels Körperkraft auszuagieren, ohne sie in sozialgefährlicher Gewalt explodieren zu lassen. Insofern hat das Entstehen von rechtsradikalen Milieus auch damit zu tun, dass die Fußballvereine einen Teil ihrer gesellschaftlichen Funktion verloren haben. Auch das utopische Versprechen, dass mittels der Vereine wilde Talente auf der Straße gefunden werden und in den Vereinen zu Stars heranreifen können, gerät in Vergessenheit. Schon in den Jugendmannschaften sind sie so auf äußerste Disziplin und Professionalität geeicht, dass die ungewöhnlichsten Talente davon abgestoßen werden. So erklärt sich auch, dass unsere Nationalmannschaft wie aus lauter Musterschülern zusammengesetzt erscheint. Da fehlt die Straße, der Kiez und die Pampa, in denen die Fußballgenies geboren werden.

Vielleicht können sich die Herren vom DFB noch einmal zusammensetzen und darüber nachdenken, dass sie dabei sind, sich alle Wurzeln gleichzeitig abzuschneiden: Die Liebe ihres Publikums, die Chance, neue Talente zu finden, die gesellschaftliche Rolle, der sie ihren Status verdanken. Wenn wir den Fußball nur noch zu Hause vor der "Glotze" erleben werden, ist es gesellschaftlich gesehen ein Spiel von Untoten.

Antje Vollmer

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