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Der chinesische Flugzeugträger „Liaoning“.

© dpa

Taiwan und China: Konkurrenz belebt die Demokratisierung

Peking will alle Landesteile vereinigen - andererseits will die KP ihr Machtmonopol sichern. Deshalb ist es gut für die Welt, dass es Taiwan gibt. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was wäre, wenn es nur ein China gäbe? Die Welt wäre um einige Hoffnungen ärmer. Das gilt aktuell für die Beschneidung des Wahlrechts in Hongkong durch die Führung in Peking, aber auch generell für die Meinungsfreiheit in China und die Aufarbeitung der Verbrechen im Bürgerkrieg.

Nach der staatsrechtlichen Theorie gibt es nur ein China. Doch in der Praxis stellen zwei Staaten den Anspruch, die legitime Regierung dieses einen Chinas zu stellen: die Volksrepublik China und die Republik Taiwan. Ihre Beziehungen erinnern an die zwischen den beiden deutschen Staaten vor der gegenseitigen Anerkennung 1971. Nur sind die Kräfteverhältnisse gerade umgekehrt. Das Land mit dem kommunistischen Ein-Partei-System hat in fast allen Belangen das Übergewicht: Bevölkerung, Landmasse, Wirtschaft, internationaler Einfluss.

Taiwan mit seinen 23 Millionen Bürgern auf einer Insel von der Größe Baden-Württembergs vor der Küste des Festlands ist freilich eine ständige Herausforderung für China. Je länger die autoritäre Ära unter Chiang Kai-shek und die Aufhebung des Kriegsrechts 1987 zurückliegen, desto deutlicher werden die Kontraste. Taiwan ist heute eine Demokratie, die den friedlichen Machtwechsel zwischen konkurrierenden Parteien verlässlich praktiziert. Es hat eine lebendige Zivilgesellschaft, freie Medien mit einem breiten Meinungsspektrum und Oppositionsbewegungen, die die Regierung das Fürchten lehren. Es ist eine erfolgreiche Marktwirtschaft, die Nachbarländer wie die Philippinen, Indonesien, Vietnam ökonomisch und technisch hinter sich gelassen hat und sich dynamisch modernisiert wie Korea. Taiwans Alltag widerlegt die von Chinas KP vorgebrachte These, dass Chinesen ein anderes Wertesystem haben, in dem individuelle Freiheiten und Grundrechte eine geringere Rolle als im Westen spielen.

Die Führung in Peking agiert in einem Zielkonflikt. Einerseits will sie alle Landesteile vereinigen und weiß, dass Taiwan das nur akzeptieren wird, wenn Freiheit und Demokratie garantiert bleiben. Andererseits will die KP ihr Machtmonopol sichern. In den sechs Jahren, seit die Kuomintang wieder an der Regierung ist, hat Taiwans Präsident Ma die Annäherung betrieben. Peking und Taipeh schlossen 21 Abkommen, unter anderem zu Tourismus und Investitionsschutz. Heute gibt es über 800 Direktflüge zwischen Taiwan und China. 2013 kamen drei Millionen Touristen aus China nach Taiwan und umgekehrt fünf Millionen Taiwanesen aufs Festland. Immer mehr taiwanesische Firmen lassen in China produzieren. 40 Prozent der Exporte gehen aufs Festland, 28 Prozent der Importe kommen von dort.

China riskiert handfeste Proteste

Nun aber wächst die Besorgnis in Taiwan. Viele Bürger wenden sich gegen noch mehr Verflechtung mit einem China, das die Demokratisierung verzögert. Mit Demonstrationen und der Besetzung des Parlaments stoppten Studenten Präsident Mas nächstes Projekt, ein Dienstleistungsabkommen. Jetzt ruft Pekings Eingriff in Hongkongs Wahlrecht neue Proteste hervor. Als Großbritannien die Kronkolonie 1997 an China zurückgab, hatte Peking „Ein Land, zwei Systeme“ und die Achtung der politischen Freiheiten versprochen. Die allgemeine freie Wahl des nächsten Verwaltungschefs 2017 unterläuft China nun mit der Vorgabe, dass nur drei Kandidaten antreten dürfen, die ein von Peking kontrolliertes Wahlkomitee zuvor genehmigt hat.

China riskiert handfeste Proteste. Die Demokratiebewegung in Hongkong hat angekündigt, unter der Losung „Occupy Central“ den Finanzdistrikt zu besetzen. In Taiwan ist die Erbitterung ebenfalls groß. Kein Taiwanese sei bereit, um der nationalen Einheit willen Einschränkungen der Freiheit hinzunehmen, versichern Vertreter von Regierung und Opposition. Taiwanesische Studenten wollen nach Hongkong reisen und sich „Occupy Central“ anschließen.

Auch Taiwans Geschichtspolitik fordert China heraus. 2011 eröffnete es ein Menschenrechtsmuseum, das über den „weißen Terror“ unter Chiang Kai-shek aufklärt, über politische Gefangene, Folter, die Hinrichtungen von mehr als tausend Oppositionellen. Die Opfer erhalten Entschädigungen. Festlandchina schweigt über den „roten Terror“. Das macht es schwerer. Das wohl einflussreichste chinesische Buch der jüngsten Zeit stammt von der taiwanesischen Schriftstellerin Yingtai Lung. Seit 2012 ist sie Kulturministerin. In „Großer Strom, großes Meer“ erzählt sie die Schicksale der Opfer auf beiden Seiten des Bürgerkriegs. In China ist es verboten. Es kursieren aber mehrere Millionen Raubkopien.

Konkurrenz belebt die Demokratisierung. Gut für die Welt, dass es Taiwan gibt. Vor allem aber: gut für die Festland-Chinesen.

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