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Rose auf einem Tisch in einem Patientenzimmer der Palliativstation im Roten Kreuz Krankenhaus in Kassel.

© dpa

Sterbehilfe: Unwissenheit trifft Moral

Warum die Sterbehilfe derzeit nicht neu geregelt werden sollte. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

Gut vier Wochen sind es nur noch, dann will der Deutsche Bundestag ein Gesetz beschließen, über das seit Jahren gestritten wird, das die Gemüter erhitzt wie wenig andere, über alle Parteigrenzen hinweg. Ein Gesetz zur Sterbehilfe.

Dabei geht es keineswegs um die grundlegende Entscheidung, ob in Deutschland – wie etwa in den Niederlanden – Tötung auf Verlangen, die sogenannte aktive Sterbehilfe, erlaubt werden soll. Das will zurzeit kaum einer. Es geht vielmehr um die vergleichsweise marginale Frage, ob Menschen, die ihr Leben wegen einer unheilbaren Krankheit oder unerträglicher Schmerzen beenden wollen, Hilfe von anderen, von Ärzten oder Organisationen, in Anspruch nehmen dürfen, um den assistierten Suizid.

All die Debatten der vergangenen Jahre und Monate könnten Makulatur sein

Die Frage betrifft nur sehr, sehr wenige Personen, gleichwohl vermag sie sehr, sehr viele in Aufregung zu versetzen. Es geht schließlich um Leben und Tod.

Es ist nach den neuesten Entwicklungen allerdings nicht ausgeschlossen, dass diese Erregung schon bald in sich zusammenfallen könnte. Denn gerade erst hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags eine Expertise herausgegeben, nach der drei der vier vorliegenden Gesetzentwürfe aus verschiedenen Gründen vermutlich verfassungswidrig sind (der vierte, der einzig verfassungskonforme, ist zu vernachlässigen; er hätte im Parlament ohnehin keine Chance). All die Debatten der vergangenen Jahre und Monate könnten also Makulatur sein.

Das ist jedoch nicht der einzige Grund, warum das Gesetzesvorhaben auf eine schiefe Bahn geraten ist. Hinzu kommt nämlich, dass in der Diskussion eine erschreckende Unwissenheit zutage getreten ist. Bei Politikern, bei Journalisten, sogar bei Fachleuten. Selbst Kanzlerin Angela Merkel, die sich derzeit zugegebenermaßen um andere Themen zu kümmern hat, zeigt wenig Kenntnis und verwechselt schon mal den assistierten Suizid mit aktiver Sterbehilfe. Dabei handelt es sich hier um einen fundamentalen Unterschied. Bei Ersterem bleibt die Tatherrschaft beim Sterbewilligen selbst, bei Zweiterem geht es um die Tötung durch eine andere Person. Merkel ist nicht allein. CDU-Generalsekretär Peter Tauber ließ gar verlauten, er wende sich gegen „jede Form der Sterbehilfe“. Also auch gegen die passive oder indirekte – beides Formen, die von allen, sogar vom Vatikan, akzeptiert werden?

Zur Unwissenheit gesellt eine hohe emotionale Erregbarkeit

Selbst bei denen, die von Berufs wegen Bescheid wissen müssten, herrscht viel Unwissenheit. Eine Umfrage unter deutschen Betreuungsrichtern ergab, dass über ein Drittel von ihnen den Unterschied zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe nicht kannte. Noch drastischer sind die Zahlen in der Allgemeinbevölkerung. 93 Prozent der Deutschen glauben fälschlicherweise, dass Suizidhilfe strafbar sei; selbst unter Medizinstudenten ist dieser Irrtum weit verbreitet, immerhin 73 Prozent sitzen ihm auf. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Und dass unter Bundestagsabgeordneten die Informationslage entschieden besser sein würde, ist nicht zu vermuten.

Das alles wäre nicht so besorgniserregend, wenn sich zu dieser Unwissenheit nicht eine hohe emotionale Erregbarkeit gesellen würde. Schließlich sind Sterbensfragen existenzielle Fragen, die an tiefe Überzeugungen und Ängste rühren. Gerade deshalb sind sie fast immer auch weltanschaulich besetzt. Sind religiös oder antireligiös konnotiert, sprechen persönlichste, intime Grundüberzeugungen an.

Wenn aber Unwissenheit und private Moral aufeinandertreffen, kommt selten etwas heraus, was einem rationalen Gesetzgebungsverfahren dienlich sein könnte. Das zeigte sich vergangene Woche sogar bei der Expertenanhörung vor dem Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags. Dort gab es kaum eine Frage, bei der die geladenen Fachleute zu einer einheitlichen, unwidersprochenen Meinung kommen konnten. Der Boden, auf dem die Gesetzgeber stehen, ist also nicht gerade solide.

Verfassungsrechtliche Bedenken, mangelnde Information, weltanschauliche Aufladung – vielleicht wäre es bei dieser Ausgangslage besser, der Bundestag würde im Moment auf die Verabschiedung des Gesetzes verzichten oder sie zumindest auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Die derzeitige Gesetzeslage ist zwar keineswegs zufriedenstellend, aber immer noch besser als ein allzu angreifbarer Kurzschluss.

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