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Ein Aufhänger im Hospiz des Juliusspitals in Würzburg.

© dpa

Sterbehilfe-Debatte in Deutschland: Es geht um das Leben

Wie gehen wir mit Krankheit, Alter, Tod um? Die Ausweitung der Sterbehilfe kann nicht die Antwort darauf sein. Ein Gastkommentar.

Wie wollen wir in unserer Gesellschaft das Ende des Lebens gestalten und Menschen beim Sterben begleiten? Wie gehen wir damit um, dass Menschen in Alter, Krankheit und Einsamkeit befürchten, anderen zur Last zu fallen oder einsam zu sterben? Brauchen wir Sterbehilfe? Diese Fragen stellen sich zurzeit im Deutschen Bundestag.

Gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe zu erarbeiten, ist keine Aufgabe der Bundesregierung, sondern eine Aufgabe der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Alle Fraktionen waren sich einig, diese Debatte mit ausreichend Zeit und in Ruhe zu führen, die Entscheidung der Abgeordneten zu einer Gewissensentscheidung ohne Fraktionszwang zu machen und die Initiativen hierzu aus der Mitte des Bundestages als Gruppenanträge zu entwickeln. Meine Kollegin, Kerstin Griese, und ich haben hierzu bereits eine erste Positionierung verfasst.

Es geht um viel mehr als nur um die Frage nach der Strafbarkeit des assistierten Suizids. Wir müssen unseren Umgang mit Alter, Krankheit und Tod und die Rolle der Palliativmedizin in diesem Zusammenhang thematisieren. Die aktuelle Debatte über Sterbehilfe ist geprägt von Unsicherheiten und Ängsten, die viele Menschen haben, wenn sie an ihr Lebensende denken. Sie wünschen sich ein Sterben ohne Leiden und ohne Schmerzen. Dass dies im Rahmen der Palliativmedizin bereits heute selbst bei schwersten Krankheiten in den meisten Fällen möglich ist, wissen hingegen nur Wenige. Die Angst vor einem schmerz- und leidvollen Tod müssen wir den Betroffenen nehmen.

Die Antwort einer solidarischen Gesellschaft darf meines Erachtens nicht die Ausweitung von Sterbehilfe sein. Stattdessen müssen Hospize weiter unterstützt und die Versorgung mit Palliativmedizin ausgebaut werden, wir brauchen mehr Aufklärung, um die vielfältigen Versorgungs-, Betreuungs- und Hilfsangebote ins öffentliche Bewusstsein zu bringen, sowie den Erhalt und die Sicherung des Freiraumes, den Ärztinnen und Ärzte in ethischen Grenzsituationen am Ende des Lebens schon heute haben.

In Einzelfällen bleibt das Leid zu groß

Alle Menschen müssen Zugang zu den Möglichkeiten der Palliativmedizin, der spezialisierten ambulanten Palliativ- und der Hospizversorgung haben, ihnen müssen gut ausgebildete Ärztinnen und Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger zur Seite stehen. Schwerkranke und sterbende Menschen müssen in ihrer letzten Lebensphase die bestmögliche menschliche Zuwendung, Versorgung, Pflege und Betreuung erhalten und nach ihren Wünschen begleitet werden können.

Nach dem dringlichen Appell an unseren Bundesgesundheitsminister, er müsse schnellstmöglich etwas vorlegen, hat er nun ein Eckpunktepapier vorgestellt mit Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung sowie der Verbesserung der Beratung. Fakt ist: Für den Ausbau von Hospizarbeit und Palliativmedizin müssen wir Geld in die Hand nehmen. Wenn wir es schaffen, den Menschen am Ende ihres Lebens ihre Ängste und Sorgen zu nehmen, ist das die beste Suizidprävention. In vielen Fällen wird dann ein zunächst gefasster Suizidwunsch wieder aufgegeben werden.

Es wird jedoch Einzelfälle geben, in denen auch nach Ausschöpfung aller palliativmedizinischen Möglichkeiten das Leiden zu groß ist. Daher bin ich der Meinung, dass der Freiraum, den Ärztinnen und Ärzte in ethischen Grenzsituationen am Ende des Lebens schon heute haben, unbedingt erhalten und gesichert werden muss. Ein behandelnder Arzt kennt den Patienten und sein Leiden in der Regel seit längerer Zeit. Ihm sind alle therapeutischen und palliativ-medizinischen Möglichkeiten zugänglich. Er kann den Zustand des Patienten einschätzen und beurteilen, ob es wirklich keinen anderen Ausweg gibt. Und er genießt das Vertrauen des Patienten, dessen Tod auch bei Mithilfe des Arztes im Privatbereich bleibt.

Dieser Punkt ist mir sehr wichtig: Das Ende des Lebens sollte unter Einbeziehung der Menschen aus dem Umfeld des Sterbenden, der Ärztinnen und Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger unter ethischen Gesichtspunkten individuell gestaltet werden. Ihnen muss erlaubt bleiben, in besonderen Fällen individuelle Entscheidungen zu treffen, die auch darin bestehen können, einem Menschen bei der Durchführung seines freiverantwortlichen Sterbewunsches zu unterstützen.

Ein Problem stellt dabei das ärztliche Standesrecht dar. Der Deutsche Ärztetag in Kiel hat im Frühjahr 2011 beschlossen, dass Ärztinnen und Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen. In der Muster-Berufsordnung ist das nunmehr klargestellt. Die Änderung der Muster-Berufsordnung wird durch die Landesärztekammern in den verbindlichen Berufsordnungen allerdings unterschiedlich umgesetzt. In einigen Bundesländern ist den Ärzten standesrechtlich verboten, Sterbehilfe zu leisten, in anderen nicht.

Ein Arzt muss eine Gewissensentscheidung treffen können

Einen Appell möchte ich daher an die Ärztekammern richten: Selbstverständlich sind Ärztinnen und Ärzte in erster Linie Helfer zum Leben und die Mitwirkung bei der Selbsttötung sollte auch keine primär ärztliche Aufgabe sein. In Ausnahmefällen muss aber möglich sein, dass der Arzt eine Gewissensentscheidung treffen kann, ohne dass er berufsrechtliche Konsequenzen zu befürchten hat.

Die Sterbehilfe durch Vereine sowie durch Einzelpersonen, die im Zentrum ihrer Tätigkeit assistierten Suizid regelmäßig und organisiert betreiben, möchte ich unterbinden. Auf keinen Fall darf der assistierte Suizid zu einer normalen Dienstleistung werden oder gar ein Rechtsanspruch darauf entstehen. Es wäre fatal, wenn zukünftig Patientinnen und Patienten den assistierten Suizid als eine von mehreren gleichwertigen Optionen am Ende des Lebens wählen könnten.

Eva Högl, SPD-Bundestagsabgeordnete.
Eva Högl, SPD-Bundestagsabgeordnete und Vize-Fraktionschefin, hat zusammen mit ihrer Parteikollegin Kerstin Griese eine erste Positionierung zum geplanten Gesetz zur Sterbehilfe verfasst.

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Daher bin ich auch strikt gegen eine Ausweitung oder Aufwertung der Suizidbeihilfe durch Institutionalisierung und Festschreibung eines entsprechenden rechtlichen Rahmens. Wenn es gesetzlich ausdrücklich gestattet wäre, sich bei schweren und unheilbaren Leidenszuständen beim Suizid helfen zu lassen, könnte ein bedenklicher Trend entstehen, von dieser Möglichkeit auch Gebrauch zu machen. Alte und kranke Menschen werden nicht selten den Eindruck haben, dass sie für ihre Angehörigen eine Belastung sind. Warum sollten sie dann nicht den gesetzlich aufgezeigten Weg zum Tod einzuschlagen?

Ich möchte ganz klar betonen, dass ich die bisherigen Regelungen in Deutschland für gut halte. Die Abgrenzung von strafbarer Tötung auf Verlangen, auch aktive Sterbehilfe genannt, und straffreier Beihilfe zum Suizid hat sich bewährt und daran sollten wir festhalten. Wir sollten weder Einfallstore für die Legalisierung von aktiver Sterbehilfe schaffen, noch an der grundsätzlichen Straffreiheit des assistierten Suizids etwas ändern. Weitergehende Regelungen – sei es im Strafgesetzbuch oder im Bürgerlichen Gesetzbuch – lehne ich daher ab. Immer mehr komme ich hier zu dem Ergebnis: weniger ist mehr! Denn die notwendigen Voraussetzungen für ein würdevolles Sterben können wir nicht über Regelungen zur Sterbehilfe schaffen, sondern nur über die Stärkung der Palliativbegleitung und der Hospizbewegung.

Eva Högl ist SPD-Bundestagsabgeordnete. Zusammen mit Kerstin Griese, ebenfalls SPD, hat sie im Rahmen der aktuellen Diskussion über die Sterbehilfe ein Positionspapier verfasst. Für die Tagesspiegel-Debatte zur Sterbehilfe hat unter anderen auch Peter Hintze, CDU, einen Beitrag geschrieben.

Eva Högl

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