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Schwule und Lesben feiern während des Christopher Street Day vor dem Brandenburger Tor in Berlin die Freiheit sexueller Orientierung.

© dpa

Sexuelle Orientierung: Wie tolerant ist unsere Gesellschaft?

Frauenfußball-WM, Christopher-Street-Day, sexuelle Orientierung als ein Grundschulthema. Derzeit wird viel über Geschlechterrollen diesseits und jenseits der Norm diskutiert. Ist unsere Gesellschaft tolerant genug?

Von Anna Sauerbrey

Kürzlich kam in Toronto ein Baby namens „Storm“ zur Welt. Wie bei vielen Babys lässt sich auch bei Storm nicht auf den ersten Blick sagen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Es ist auch nicht leicht herauszufinden, denn Storms Eltern haben sich entschieden, das Geschlecht ihres Kindes nicht zu verraten. Sie wollen, dass Storm sich selbst entscheidet, ob es Frau oder Mann sein möchte.

Diese Entscheidung verursachte einen kleinen Skandal. Im Internet hetzten aufgebrachte Menschen gegen die Eltern. Der „Bild“-Zeitung war Storm eine Meldung wert. Ein Mensch, der sich nicht eindeutig in ein Geschlechterbild fügt, ist im Jahr 2011 und in der westlich-liberalen Gesellschaft noch immer ein Affront. Kurz vor Beginn der Frauen-WM, deren Auftakt auf das Wochenende des Christopher-Street-Days fällt, wird das auch in Deutschland wieder augenfällig. Fußball ist eine Männersportart. Wenn die Frauen schon spielen, sollen sie dabei wenigstens hübsch aussehen. Umgekehrt müssen im Fußball der Männer, dieser urmännlichsten aller Betätigungen, Schwule weiterhin Angst haben, sich zu bekennen.

Der gesellschaftliche Wunsch nach Eindeutigkeit auf einen Blick ist tief verwurzelt. Geschlechter, so eine weit verbreitete Meinung, gibt es zwei – und die sind biologisch definiert. Woran man Frauen und Männer erkennt, lernen Kinder schon in der Grundschule. Männchen und Weibchen, so die biologische Sichtweise, sind bestimmt durch ihre Körper und ihren Hormonspiegel. Ihre Funktion ist die Fortpflanzung, dementsprechend müssen sie in ihre Rollen schlüpfen. Und wenn das Geschlecht, wie im Fall von Babys, noch nicht so eindeutig erkennbar ist, wird es eben erkennbar gemacht: rosa oder blau.

Die Welt ist queer

Das Unterdrückungspotenzial, das sich aus dieser Sichtweise speist, ist enorm. Denn so einfach, wie eine oberflächliche, biologistische Sichtweise suggeriert, ist es nicht. Es gibt Männer, die sich als Frauen fühlen, und Frauen, die sich als Männer fühlen, und Frauen und Männer, die beides sind. Es gibt Männer, die Männer lieben, und Frauen, die Frauen lieben, und manche, die mal das eine, mal das andere bevorzugen. Und ja, es gibt Männer, die sich gern um Haushalt und Kinder kümmern, und Frauen, die gern Fußball spielen. Die Welt ist „queer“, eine einzige große Abweichung von der Norm. Einfacher wird es nur, wenn man Geschlechtsidentität als ein Kontinuum begreift, auf dem sich jeder verorten kann, wo er möchte: rosa, blau, irgendwo dazwischen oder jenseits.

In diesen Tagen gab es eine Debatte darüber, ob es richtig ist, bereits in Berlins Grundschulen mit den Kindern über all diese Möglichkeiten des „Dazwischen“ zu sprechen. Ja, es ist richtig. Wir sollten mit Kindern darüber sprechen, bevor sie beginnen, sich auf die Suche nach ihrer eigenen Identität zu machen. Wir können ihnen zumuten, mehr zu kennen als die äußeren Geschlechtsmerkmale. Damit sie wissen, dass sie akzeptiert werden, egal, wo auf dem rosa-blauen Kontinuum sie später landen.

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