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Blick in den Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt. Die geplante Rundfunkbeitragserhöhung in Deutschland von 17,50 Euro auf 18,36 Euro ist hier höchst umstritten.

© dpa/Ronny Hartmann

Sachsen-Anhalt blockiert Rundfunkbeitrag: Wer aus Furcht vor der AfD Überzeugungen aufgibt, lähmt die Demokratie

Die CDU in Sachsen-Anhalt wird wegen der Ablehnung des höheren Rundfunkbeitrags attackiert. Dabei ist ihre Position nicht neu und kein Dammbruch. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Julius Betschka

Es hat eine Pandemie gebraucht, um die AfD eine Zeit lang politisch fast völlig egal zu machen. Nun schafft ein Streit um 86 Cent die Voraussetzungen dafür, dass die blaue Partei wieder auf Diskurskaperfahrt gehen kann. Weil die CDU in Sachsen-Anhalt die Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht mittragen mag, eine fast ein Jahrzehnt alte Position der Partei, steht die Kenia-Koalition dort vor dem Aus und das finanzielle Rundfunkgerüst auf der Kippe.

Um den Beitrag von 17,50 Euro auf 18,36 Euro - ein Plus von immerhin fünf Prozent - zu heben, müssten alle 16 Länderparlamente zustimmen. Sachsen-Anhalt schert aus.

Auch die AfD will, freilich aus niederen Beweggründen, gegen die Erhöhung stimmen, gemeinsam mit der CDU-Fraktion hätte sie eine Mehrheit im Magdeburger Landtag. Stimmten sie zusammen ab, könnte die CDU-Bundesspitze das allerdings als Verstoß gegen das Kooperationsverbot werten.

Vor allem aber hat die Unionsfraktion in Sachsen-Anhalt deshalb Ärger mit den eigenen Koalitionspartnern. SPD und Grüne beschwören ein Attentat an der Demokratie und drohen mit dem Ende der Regierung. Sollte die Union mit der AfD stimmen, sei das ein zweiter Fall Kemmerich – in Thüringen hatte die CDU-Fraktion im Frühjahr gemeinsam mit der AfD kurzzeitig den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Mauer nach rechts bröckle auch in Sachsen-Anhalt.

Das ist nicht ganz falsch. Gerade hier ist diese Mauer schon länger wackliger Maschendrahtzaun – stabilisiert allein von Ministerpräsident Reiner Haseloff. Mehrmals hat der Rechtsdrall der Union schon die Kenia-Koalition an den Rand des Kollaps geführt.

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Aus dem Streit um den Rundfunkbeitrag allerdings den ultimativen Fall dieser Brandmauer abzuleiten, ist falsch und spielt den Falschen in die Karten. Das Gespenst der AfD wird als politisches Druckmittel eingesetzt. Die CDU ist aber nicht auf den Kurs der Blauen eingeschwenkt, nutzt die Partei nicht wie Thomas Kemmerich für den Griff zur Macht.

Auch wenn vereinzelte Aussagen ihrer sachsen-anhaltischen Funktionäre darauf schließen lassen, dass sie nur der politische Anstand vor AfD-ähnlichen „Staatsfunk“-Formulierungen rettet: Die Beziehung der Ostdeutschen zum öffentlichen-rechtlichen Rundfunk gilt schon länger als kompliziert.

Ineffiziente Strukturen, überhöhte Alt-Gehälter und eine viel zu starke Westprägung – in welcher Rückblicksshow kommt der Osten vor? – werden seit Jahren kritisiert, nicht nur von der Union. Viele Ostdeutsche fühlen sich auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in ihrer Lebensrealität kaum von Radio und Fernsehen abgeholt.

Der AfD muss die Macht genommen werden, Debatten zu lähmen

Das alles ist berechtigte Kritik, die nichts zu tun hat mit der medienfeindlichen „Staatsfunk“-Hetze der AfD – und muss offen diskutiert werden. Nicht umsonst hatte sich die schwarz-rot-grüne Kenia-Koalition 2016 die „Beitragsstabilität“ sogar in den Koalitionsvertrag geschrieben. Nur die CDU hält daran fest. Interessantes Detail: Bis vor Kurzem wollte auch die Linke in Magdeburg gegen den 86-Cent-Aufschlag stimmen und zog erst kurzfristig zurück. Gab die Partei ihre eigene politische Position auf, um sich nicht mit der AfD gemeinzumachen?

Das wäre falsch – gerade bei einem Thema, das derart ideologisch aufgeladen is. Zwar sind stabile Brandmauern wichtiger denn je. Die Blauen versinken immer stärker im Rechtsextremismus. Doch wer aus Furcht eigene Überzeugungen aufgibt, verleiht der AfD nur noch mehr Macht: die Macht, Themen zu kapern und Debatten zu lähmen.

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Eine Verschiebung der Abstimmung und eine ergebnisoffene Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hingegen könnte der AfD ihre Diskursbeute wieder entreißen. Auch wenn der Rest der Republik dann auf eine Entscheidung eines Bundeslandes warten müsste, von dem viele wohl nicht einmal die Hauptstadt nennen könnten.

Abgesehen davon muss sich auch die CDU in Magdeburg sortieren: Im kommenden Herbst wird gewählt und eine Koalition mit der AfD wohl wieder rechnerisch möglich, von Teilen der CDU auch gewollt. Die Partei muss dann zeigen, dass sie genauso dickköpfig Haltung gegen rechts wahrt wie gegen eine Beitragserhöhung von 86 Cent. Gewiss ist das nicht.

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